Wird Jack Reacher nun vom Drifter zum veritablen Outlaw? In der irritierenden Actionsequenz, mit der Serienschöpfer Nick Santora in die dritte Staffel seiner Lee-Child-Adaption einsteigt, sieht es ganz danach aus. Tatsächlich aber bewegt sich der Ex-Militärpolizist (Alan Ritchson), der seit seinem Ausscheiden aus der US-Army auf eigene Rechnung gegen Gangster, Terroristen und andere Schurken kämpft, nur außerhalb seiner Komfortzone. Reacher hat sich auf etwas eingelassen, was seinem Geradeheraus-Naturell eigentlich zuwider ist. Er befindet sich auf einer Undercover-Mission, weil eine DEA-Agentin aus Boston seine Unterstützung bei der Art von Aufgaben braucht, die Reacher einfach nicht ablehnen kann.
Eine Frau schwebt mutmaßlich in Lebensgefahr. Sie hat als Informantin für die Ermittlerin Susan Duffy (Sonya Cassidy) gearbeitet und sich als angebliche Sekretärin bei dem dubiosen Geschäftsmann Zachary Beck (Anthony Michael Hall) einschleusen lassen, der in großem Stil in Drogenschmuggel verstrickt sein soll. Seit einiger Zeit meldet sie sich nicht mehr; Duffy befürchtet das Schlimmste. Als die Agentin durch eine glückliche Verkettung von Umständen an Reacher gerät, entwerfen sie, ihre beiden Kollegen und Reacher gemeinsam einen trickreichen Plan, um bei Beck einen Fuß in die Tür zu bekommen. Bald darauf findet sich Reacher auf Becks noblem, streng bewachtem Anwesen an der Küste von Maine wider. Dort spielt er seine Rolle als einer von Becks Handlangern und Security-Leuten und hat alle Hände voll zu tun, seine neuen Aufgaben zu erfüllen, sich nebenbei unauffällig nach der verschwundenen Frau umzusehen und gleichzeitig seine nicht gerade wasserdicht konstruierte Tarnung zu schützen.
Mit der Vergangenheit verknüpft
Für die neue Staffel haben sich Santora und sein Team den Lee-Child-Roman „Der Janusmann“ als Vorlage gewählt. Wie schon die beiden in den ersten Staffeln verfilmten Reacher-Bücher liefert auch dieser Roman einen Stoff, der innerhalb der Reihe einen besondere emotionalen Drive mitbringt, weil der Fall, um dem es darin geht, dem notorischen Einzelgänger und coolen Hund Reacher auf besondere Weise persönlich nahegeht. Die Geschichte um Beck und die verschwundene Informantin wird mit Ereignissen aus Reachers Vergangenheit als Militärpolizist verknüpft: mit dem grausamen Tod einer jungen Kollegin, der ihn damals schwer getroffen hat, und den verräterischen Umtrieben eines Mannes namens Quint, von dem Reacher fälschlicherweise glaubte, dass er tot sei, der jetzt aber quicklebendig die Fäden hinter Becks illegalen Aktivitäten zieht. Es ist einer der sadistischsten und bösartigsten Gegner, mit denen es Reacher jemals zu tun bekam.
Die Verquickung dieser beiden Handlungsstränge gelingt auch deshalb stimmig, weil sich die Motive spiegeln. Die Hintergrundstory um den Tod der jungen Kollegin in der Vergangenheit erhöht in der Handlungsgegenwart die Dringlichkeit, dass sich Ähnliches nicht wiederholt. Dabei ist es nicht nur die verschwundene Informantin, deren Leben auf dem Spiel steht. Auch Becks Sohn (Johnny Berchtold), ein sanftmütiger Student, der mit den Umtrieben seines Vaters nichts zu tun hat und zu dem Reacher in seiner Leibwächter-Rolle eine Art väterlicher Freundschaft aufbaut, droht ebenfalls unter die Räder zu kommen.
Agent Duffy als schlagfertige Co-Heldin
Und dann ist da noch die schlagfertig-lakonische Duffy, zu der Reacher im Lauf der Staffel eine mehr als nur professionelle Beziehung entwickelt. Ähnlich wie in den vorherigen Staffeln, in denen Nebenrollen so ausgebaut wurden, dass Reacher mehr als in den Büchern als Teamplayer agierte, wird auch Duffys Part aufgewertet. Was sich als dramaturgisch sinnvoll erweist, denn Duffy schafft als Reachers Ansprechpartnerin und Co-Heldin einen Ausgleich dafür, dass die literarische Vorlage aus der Ich-Perspektive des Protagonisten erzählt ist, quasi als Eintauchen in Reachers Kopf, was sich in einer Serienverfilmung nur schwer adäquat umsetzen lässt. Zusätzlich kommt damit eine Extra-Portion Frauenpower in die Serie. Wozu auch beiträgt, dass die Serienmacher erneut einen Weg finden, auch Reachers wichtigste VerbündeterFrances Neagley (Maria Sten) in die Handlung mit einzubinden.
Dass auf diese Weise notgedrungen auch die nervenzerrende Isolation Reachers aufs Becks Anwesen etwas weniger intensiv rüberkommt als im Roman, gleichen die Macher damit aus, dass sie den Schwerpunkt auf die knallharten Action-Inszenierungen und die beeindruckende Physis ihres Hauptdarstellers legen. Dass Reacher diesmal in Gestalt eines riesenhaften Handlangers von Quint auf einen Gegner trifft, der ihn an Statur und Muskelmasse sogar noch überragt, kann ihn langfristig genauso wenig aufhalten wie der anfängliche Zwang, Beck und Co. falsche Tatsachen vorzuspiegeln. Der Spaß an der Serie speist sich weiterhin aus dem schlichten Vergnügen, Alan Ritchson als Reacher im Dienst der Gerechtigkeit in brachialer No-Nonsense-Manier wie ein reinigendes Gewitter zwischen die Gewissenlosen, Ausbeuterischen und Grausamen fahren zu sehen, die sich dank ihres Geldes, ihrer Waffen und/oder ihrer korrupten Klüngeleien unantastbar wähnen.