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Von Menschen, Katzen & Kameras

Von der Kunst, Katzen richtig zu filmen: Ein Gespräch mit dem japanischen Dokumentarfilmer Kazuhiro Soda über seinen Film „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“

Veröffentlicht am
05. Dezember 2024
Diskussion

Der 1970 geborene Filmemacher Kazuhiro Soda begann in den 1990er-Jahren fürs Fernsehen zu arbeiten und machte ab 2005 mit Dokumentarfilmen auf sich aufmerksam, in denen er seine Vorstellung eines „beobachtenden Filmemachens“ umsetzte. Aktuell startet sein Werk „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ in den deutschen Kinos, das eine Katzenkolonie in Ushimado und die Interaktion der dort lebenden Menschen mit den Vierbeinern einfängt. Im Interview spricht er unter anderem davon, welche Herausforderungen die pelzigen Protagonisten für seine Methoden als Filmemacher darstellten.


Um mit einer allgemeineren Frage anzufangen: Sie nennen Ihre Filme „Observational films“ („Beobachtende Filme“) und haben ein Manifest mit dem Titel „10 Commandments for Observational Filmmaking“ („10 Regeln für den beobachtenden Film“) geschrieben. Warum ist Ihnen dieser Begriff der Beobachtung so wichtig?

Kazuhiro Soda: Wenn ich über Beobachtung spreche, meine ich: genaues Hinsehen und genaues Zuhören. Sehen und Hören sind die wichtigsten Elemente des Dokumentarfilmschaffens, aber sie werden oft vernachlässigt, weil viele Regisseure eine Agenda haben und diese Agenda priorisieren, sodass sie die Realität auf ihre Pläne hin zuschneiden. Ich nenne die Filme „Observational Films“, um mich selbst genau daran, also an die Bedeutung des Hinschauens und Zuhörens, zu erinnern.


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Es geht aber nicht um Distanzierung, nehme ich an? Sie mischen sich ja durchaus in Ihre eigenen Filme ein.

Soda: Genau, es ist nicht möglich, sich selbst von der Realität, die man zeigt, zu trennen. Dadurch, dass man anwesend ist, verändert man etwas. Ich will da ehrlich sein, und außerdem ist die Dynamik zwischen dem Filmemacher und der Realität, die er filmt, oft sehr interessant; deshalb zeige ich auch Interaktionen zwischen mir und den Menschen in meinen Filmen.

Kazuhiro Soda beim Dreh zu "Die Katzen vom Gokogu-Schrein" (© Laboratory X/Fugu Films Berlin)
Kazuhiro Soda beim Dreh zu "Die Katzen vom Gokogu-Schrein" (© Fugu Films Berlin)

Eine Ihrer Regeln über den beobachtenden Film besagt: Vorbereitung ist verboten. Wie beginnt dann ein Projekt wie „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“? Geht es darum, aufmerksam zu sein für die Welt um einen selbst?

Soda: Gewissermaßen. In diesem Fall war es so, dass ich gemeinsam mit Kiyoko Kashiwagi, meiner Ehefrau und Produzentin, nach 27 Jahren in New York während der Covid-Pandemie nach Ushimado gezogen bin. Wir hatten dort bereits zwei Filme gedreht („Oyster Factory“, 2015, und „Inland Sea“, 2018). Unmittelbar neben unserer neuen Wohnung, wirklich nur zehn Sekunden zu Fuß, gibt es diesen kleinen Schrein, Gokogu, um den herum viele Katzen leben. Kiyoko wurde gefragt, ob sie bei einem Programm mithelfen möchte, das die Straßenkatzen sterilisiert und danach wieder aussetzt, um eine weitere Vermehrung der Population zu verhindern. Ich wusste noch nicht, dass ich einen Film machen wollte, aber ich dachte mir: Ich nehme einfach meine Kamera und begleite sie. Das war der Anfang.

Ab 5.12.2024 im Kino: Die Katzen vom Gokogu-Schrein" (© Fugu)
Ab 5.12.2024 im Kino: Die Katzen vom Gokogu-Schrein" (© Fugu)

War es anders, einen Film vor der eigenen Haustür zu machen und nicht, wie vorher, nur zu Besuch zu sein?

Soda: Der größte Unterschied ist: Wenn man direkt dort lebt, vergisst man oft, dass man einen Film dreht. Wenn man zu Besuch ist, ist man 24 Stunden am Tag ein Filmemacher, jederzeit bereit zu drehen. Aber wenn man dort lebt, ist man einfach einer der Bewohner. Zum Beispiel, wenn ich höre, wie sich Katzen vor unserer Wohnung streiten, ist mein erster Instinkt, vor die Tür zu gehen und den Streit zu schlichten. Erst hinterher denke ich mir: Oh, das hätte ich filmen sollen. Ich habe auf diese Weise viele tolle Szenen verpasst!

Eine andere Ihrer Regeln besagt, dass das Thema des Films nicht vor dem Filmschnitt feststehen darf. „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ fühlt sich noch einmal ein bisschen freier und offener an als ihre vorherigen Filme. Wie haben Sie entschieden, wann der Dreh abgeschlossen und das Projekt fertig für den Schnitt war?

Soda: Normalerweise beginne ich mit dem Schnitt erst, nachdem die Dreharbeiten abgeschlossen sind. Dieses Mal war es anders, weil ich über zwei Jahre hinweg gedreht habe. Deshalb habe ich schon während des Drehs mit dem Schnitt begonnen. Aber als ich, knapp nacheinander, die Beerdigung einer Katze und die Ankunft dreier neuer Katzenbabys gefilmt hatte, war mir klar: Jetzt habe ich einen Film.

Das ist Ihr erster Film, der Katzen ins Zentrum stellt. Allerdings tauchen sie auch schon in einigen Ihrer vorherigen Arbeiten auf, wie etwa in „Peace“ (2010) oder „Oyster Factory“. Es ist, als hätten Katzen darauf bestanden, Teil Ihres Kinos zu sein. Warum, glauben Sie, ist das so?

Soda: Weil ich Katzen liebe, das ist das ganze Geheimnis. Wenn ich Katzen sehe, habe ich keine Wahl, ich muss sie filmen. Inzwischen ist das zu meiner Signatur geworden. Anstatt dass ich, wie Alfred Hitchcock, selbst in meinen Filmen auftauche, bitte ich die Katzen um einen Auftritt.

In diesem Zusammenhang habe ich mich gefragt, ob es einfacher ist, Katzen oder Menschen zu filmen.

Soda: Es ist mehr oder weniger dasselbe. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Katzen empfindlicher sind. Das ist eine Herausforderung. Wenn ich von einer Katze etwas will, reagiert sie sofort, entweder rennt sie davon, oder sie wird in anderer Weise aktiv. Das wirkt dann unnatürlich. Insofern geht es darum, einfach nur in ihrer Nähe zu sein, ohne zu sehr ans Filmen zu denken. Und dann trotzdem zu filmen. Bei Menschen ist das im Grunde ähnlich, nur dass sie, wie gesagt, nicht so empfindlich sind. Deshalb war es eine gute Übung für mich, diesmal Katzen zu filmen.

Empfindliche Stars: Katzen aus der Kolonie auf Ushimado (© Laboratory X/Fugu Films Berlin)
Empfindliche Stars: Katzen aus der Kolonie auf Ushimado (© Laboratory X/Fugu Films Berlin)

Das heißt, dass man auf Menschen ein bisschen aktiver zugehen muss beim Filmen?

Soda: Nicht unbedingt. Auch Menschen merken, wenn man etwas von ihnen will, und das beeinflusst den Film in einer negativen Weise. Auch Menschen sollte man am besten filmen, ohne dabei eine bestimmte Intention zu verfolgen.

In einer schönen Szene des Films entschuldigt sich eine Frau bei einer Katze, weil sie sie einfangen muss, um sie zum Tierarzt zu bringen …

Soda: … das ist Kiyoko, meine Frau.

Die Katze hat offensichtlich Angst, weil sie nicht weiß, was passiert und dass die Frau ihr nicht schaden, sondern helfen möchte. Das zeigt, dass die Beziehung zwischen Menschen und Tieren nie nur eindimensional ist.

Soda: Es gibt nun einmal dieses Machtgefälle. Menschen und andere Tiere sind schlichtweg nicht gleich. Es liegt an uns, wie wir Tiere behandeln. Wenn wir wirklich wollten, könnten wir alle Tiere auf diesem Planeten vernichten. Früher hatten Menschen viel weniger Macht, aber technologische Erfindungen haben uns die Möglichkeit gegeben, andere Lebewesen und die Natur zu zerstören. Deshalb müssen wir lernen, mit dieser Macht in einer ethisch korrekten Weise umzugehen, das betrifft auch unser Verhältnis zu Katzen.

Appell an veranwtortliches Handeln von Menschen an Tieren (© Laboratory X/Fugu Films Berlin)
Appell an verantwortliches Handeln von Menschen an Tieren (© Laboratory X/Fugu Films Berlin)

Die Katzen des Schreins scheinen im Film auch in Verbindung zu stehen mit den älteren Männern, die am Hafen angeln. In gewisser Weise scheinen beide, die Katzen und die Angler, aus einem älteren Japan zu stammen. Ist „Die Katzen vom Gokogu-Schrein“ ein nostalgischer Film?

Soda: Vielleicht ein bisschen. Derzeit wird der Film in japanischen Kinos gezeigt. Wenn ich mit Journalisten in Großstädten wie Tokio oder Osaka rede, erzählen sie oft, dass der Film nostalgische Gefühle in ihnen weckt. Sie fühlen sich an die Shōwa-Zeit [1926-1989, Regierungsjahre des Kaisers Hirohito] erinnert, also an die Zeit, in der ich selbst geboren wurde. Die Art, wie in Ushimado die Gemeinschaft gepflegt wird und die Leute miteinander reden, erinnert manche daran, wie wir früher miteinander umgegangen sind, in der Nachkriegszeit vor allem.

Im Film wird oft darüber geredet, ob es sinnvoll ist, mehr Aufmerksamkeit auf die Katzen, die bei dem Tempel leben, zu ziehen. Diese Frage betrifft natürlich auch Ihren Film. Glauben Sie, dass Ihr Film insgesamt den Katzen, die er zeigt, eher genutzt oder eher geschadet hat?

Soda: Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube jedoch, dass es wahrscheinlich ist, dass Leute, die den Film anschauen, Katzen besser behandeln werden. Natürlich nicht unbedingt die Katzen, die im Film zu sehen sind. Ich denke, der Film kann dazu führen, dass Menschen allgemein anderen Lebewesen weniger schaden. Aber natürlich gibt es auch Leute, die allein aufgrund der Publicity von den Katzen in Ushimado erfahren, ohne den Film überhaupt zu sehen. Diese Leute könnten in der Tat Dinge tun, die den Katzen schaden, das ist etwas, was uns Sorgen bereitet.

Tatsächlich gibt es im Film ja eine Szene, in der ein Mann über diese Themen spricht. Aber während er sagt, dass die Katzen nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen sollen, macht er selbst Fotos von ihnen. Es scheint da immer eine gewisse Ambivalenz zu geben.

Soda: Genau! Wobei der Fotograf inzwischen seine Meinung geändert hat. Wie haben eine Vorführung für die Menschen organisiert, die im Film zu sehen sind, in Ushimados Community Center, ungefähr 70 Leute waren da. Nach dem Film gab es ein Gespräch mit dem Publikum darüber, wie sie über den Film denken. Der Fotograf meinte dann, dass Leute, die den Film sehen, möglicherweise davon abgehalten werden, Katzen am Schrein auszusetzen.

Der Film könnte das Verhalten gegenüber den Tieren beeinflussen (© Laboratory X/Fugu Films Berlin)
Der Film könnte das Verhalten gegenüber den Tieren beeinflussen (© Laboratory X/Fugu Films Berlin)

Wie haben die anderen Leute nach dem Screening reagiert?

Soda: Die meisten Reaktionen waren positiv. Einige meinten, dass die Landschaft um sie herum, die sie jeden Tag sehen, im Kino ganz anders aussieht. Darauf waren sie stolz und sie freuten sich darüber, dass Leute auf der ganzen Welt diese Bilder sehen werden. Was mich gefreut hat, waren außerdem einige Reaktionen derer, die keine großen Freunde der Katzen sind. Sie meinten, dass sie überrascht waren, wie viel Aufwand betrieben wird, um die Katzen zu sterilisieren. Dieser Prozess war ihnen unbekannt. Sie haben besser verstanden, was Katzenliebhaber machen. Insofern hat der Film dazu geführt, dass wir uns gegenseitig besser verstehen.

Um noch einmal auf allgemeinere Fragen zu sprechen zu kommen: Sie haben gelegentlich auch mit jungen Filmemacher:innen gearbeitet, zum Beispiel bei dem Film „The Big House“ (2018). Ist die jüngere Generation grundsätzlich interessiert an Ihrer Art des beobachtenden Dokumentarfilms? Oder müssen Sie da viel Vermittlungsarbeit leisten?

Soda: Es geht mir nicht darum, anderen vorzuschreiben, wie sie arbeiten sollen. Ich möchte ihnen lediglich einen möglichen Weg zeigen. 100 Dokumentarfilmregisseure sollten 100 verschiedene Arten des Dokumentarischen realisieren. Ich lasse Studenten immer die Möglichkeit, das, was ich ihnen zeige, auch komplett zurückzuweisen.

Die letzte Frage betrifft die letzte Ihrer Regeln: Bezahle selbst für die Produktion Deines Films. Manche werden vielleicht fragen, wie realistisch das ist. Warum ist Ihnen dieser Punkt so wichtig?

Soda: Das ist, glaube ich, sehr realistisch! Zumindest in dem Bereich, in dem ich arbeite. Ich hatte bisher das Glück, meine Filme in Japan im Kino auswerten zu können. Diese Möglichkeit gibt es hier. Außerdem ist es mir gelungen, die Filme immer wieder in andere Länder zu verkaufen. Reich sind wir damit nicht geworden, aber wir sind auch nicht arm und haben keine Schulden. Ich mache nur das, was ich machen möchte, und das ist ein sehr gutes Gefühl. In meinen Augen muss man als unabhängiger Filmemacher selbstbestimmt arbeiten. Ohne ökonomische Unabhängigkeit gibt es keine künstlerische Unabhängigkeit. Das ist die Realität im Kapitalismus. Wenn jemand für etwas bezahlt hat, wird er sich einmischen. Ich habe das auf die harte Tour gelernt. Als ich fürs Fernsehen gearbeitet habe, habe ich immer mit den Chefs der Sender gekämpft, und ich habe jeden einzelnen Kampf verloren. Weil ich nur ein Angestellter war.

Kazuhiro Soda und seine Frau und Produzentin Kiyoko Kashiwagi (© Fugu Films Berlin)
Kazuhiro Soda und seine Frau und Produzentin Kiyoko Kashiwagi (© Fugu Films Berlin)

Es geht also darum, keine Kompromisse zu machen.

Soda: Genau. Und nicht zuletzt: Wenn man selbst zahlt, behält man auch das Copyright! Jedes Mal, wenn einer meiner Filme irgendwo gezeigt wird, habe ich Einnahmen. Von den 50 Fernsehfilmen, die ich gedreht habe, bekomme ich gar nichts. Man steckt so viel Energie und so viel von sich selbst in diese Arbeit, und wenn sie vorbei ist, bleibt nichts zurück. Man kann die Filme nicht einmal zeigen ohne die Erlaubnis der Verantwortlichen. Das ist etwas, was ich nicht einmal versuche. Wer weiß, ob sie die Filme überhaupt archivieren. Um als unabhängiger Filmemacher zu überleben, ist es unbedingt notwendig, das Copyright zu behalten!

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