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Aha-Momente

Wie man Antiziganismus mit Filmen konterkariert: Ein Gespräch mit dem künstlerischen Leiter des Internationalen Roma-Filmfestivals AKE DIKHEA?, Hamze Bytyçi, das vom 21. bis 27.10.2024 in Berlin stattfindet.

Veröffentlicht am
18. Oktober 2024
Diskussion

In der Kunst- und auch in der Kinogeschichte waren Roma und Sinti lange nur als „Zigeuner“ – mal als Feindbild, mal als romantische Projektion – präsent. Die alten antiziganistischen Klischees in den Köpfen mit neuen, vielfältigen Geschichten zu konterkarieren, ist das Ziel des internationalen Filmfestivals AKE DIKHEA?, das Filme von und mit Roma und Sinti zeigt. Vom 21. bis 27.10.2024 werden in der achten Festivalausgabe im Berliner Kino Babylon 23 Kurz- und Langfilme gezeigt und von einer vierköpfigen Jury prämiert. Zusätzlich zu den Filmvorführungen gibt es Podiumsdiskussionen, Performances und vieles mehr im Grünen Salon der Volksbühne. Ein Gespräch mit Hamze Bytyçi, dem künstlerischen Leiter.


Wie kam es zur Gründung des Festivals?

Hamze Bytyçi: Es hat eigentlich mit einer Anekdote angefangen. Der Titel verrät es schon. „Ake Dikhea“, also „Na, siehst du?“, war eine Art Beweis an uns selbst, ob wir in der Lage sind, etwas Einzigartiges, etwas von großer Bedeutung zu schaffen, das nicht nur einmal, sondern regelmäßig stattfindet. Für mich und Veronika Patočková, mit der ich das Festival gegründet habe, war es auch ein Wortspiel für meine Community. Viele waren kritisch, ob das überhaupt funktionieren würde. Jetzt sind wir im achten Jahr – das hätten nicht alle gedacht. Wir sind positiv überrascht und hoffen auf viele weitere Jahre. Dabei haben uns viele Künstler:innen und Freund:innen mit ihrer wohlwollenden Unterstützung geholfen, die im Nachhinein erkannt haben, wie mächtig das Medium Film sein kann. Das Festival bietet ein Kaleidoskop an unglaublichen Geschichten, die sich am besten auf der großen Leinwand entfalten lassen. Menschen lassen sich auf diese Geschichten ein, die sie so vielleicht nicht kannten, und erleben oft einen „Aha-Moment“ – das ist das Schöne daran. Das wollen wir eine Woche lang wie einen Dauerworkshop gegen Antiziganismus wirken lassen. Seit 2022 haben wir auch das „Avazya Netzwerk für Film Professionals“, das explizit Roma- und Sinti-Filmschaffende adressiert. Wir brauchen Verbündete, um die Einzigartigkeit dieses Festivals weiter auszubauen.

Hamze Bytyçi (© RomaTrial)
Hamze Bytyçi (© RomaTrial)

Ihr nutzt eure Netzwerke auch für die Filmauswahl. Wie findet die statt? Ihr berücksichtigt Filme aus der ganzen Welt.

Hamze Bytyçi: Es gibt Empfehlungen von Freund:innen, und dann gibt es auch immer eine politische Komponente. Wir haben beschlossen, dass wir Filme nicht weiter ansehen, wenn sie in der ersten Sequenz ein nacktes Kind oder einen Müllberg zeigen, die keinen Zusammenhang mit der weiteren Handlung haben. Es geht uns mehr um Qualität als um Quantität. Viele Geschichten haben damit zu tun, dass wir als Roma nicht einmal als Menschen dargestellt werden. Roma machen eher Kurzfilme, während Langspielfilme nochmal eine andere Liga sind. Traurig finde ich, dass wir oft keinen Zugang zu den Archiven haben. Wie bei dem Film „Time of Darkness and Silence“ von Nina Gladitz, der vor zwei Jahren bei uns gezeigt wurde und lange in den geschlossenen Archiven des WDR lag, weil Leni Riefenstahl sich durch die Aufnahmen in ihrem Ruf geschädigt sah.

Es gibt immer einen Schwerpunkt, dieses Jahr ist es Demokratie. Wie geht ihr da an die Filme heran?

Hamze Bytyçi: Es klingt absurd, aber solange es Antisemitismus gibt, können wir in dessen „Windschatten“ irgendwie mitbedacht werden. Es ist wichtig zu betonen, dass dies eine historische Realität beschreibt – der Antiziganismus wird im Land der Täter oft marginalisiert. Wir haben dieses Jahr einen speziellen Fokus auf Dekolonisierung und Archivierung sowie auf selbstbestimmte Erzählungen. Ein besonderes Highlight ist unser Panel am 24. Oktober, in dem wir darüber diskutieren, inwieweit diese Themen überhaupt in der Film- und Kunstwelt aufgegriffen werden.

„Na, siehst du?“ - Das Logo des AKE DIKHEA? Festivals
„Na, siehst du?“ - Das Logo des AKE DIKHEA? Festivals

Das Festival ist auch eine Plattform, um Filmemachen von Roma und Sinti zu fördern. Wie steht es um die Bedingungen?

Hamze Bytyçi: Die Bedingungen sind schwierig und werden immer schlechter. Länder wie die Slowakei und Tschechien haben eine Fülle von Roma-Filmen, aber diese stammen oft nicht von Roma-Filmschaffenden. In Deutschland schneiden wir ganz schlecht ab. Es fehlt an Strukturen, die Roma, insbesondere Migranten-Roma, langfristig begleiten und fördern. Das Festival kann einen Einfluss haben, aber zu viel Hoffnung sollte man nicht schüren.

Gibt es Filme, die explizit auf das Demokratieproblem reagieren?

Hamze Bytyçi: Jeder Film reagiert auf seine Weise darauf. Besonders interessant ist der Dokumentarfilm „Narrow Path to Happiness“, der das Demokratiebewusstsein innerhalb einer Familie in einem kleinen ungarischen Dorf thematisiert. Es geht um queere Identität und um Zwischenmenschlichkeit, und das ist das Schönste, was es gibt.

"A Narrow Path to Happiness" (© RomaTrial)
"A Narrow Path to Happiness" (© RomaTrial)

Im Festivalprogramm findet sich Andres Veiels Dokumentarfilm „Riefenstahl“. Was ist hier der Kontext? Veiels Einlassungen zu Riefenstahls Film „Tiefland“, für dessen Dreh die Regisseurin internierte Sinti und Roma aus sogenannten „Zigeunerlagern“ zwangsrekrutierte?

Hamze Bytyçi: Veiels Film beleuchtet, wie Riefenstahl im Nachhinein versucht hat, die Geschichte nach ihrem eigenen Narrativ umzuschreiben. In einem speziellen Moment des Films sehen wir einen kleinen Jungen, der nicht nur mit unserer Community, sondern mit der Kontinuität der Geschichte in Verbindung steht. „Tante“ Leni hat ihm und anderen Roma-Kindern versprochen, sie zu retten, aber letztendlich erzählt sie die Geschichte so, wie sie sie als „Gewinnerin“ der Geschichte sehen will.

Was sind weitere Highlights des Festivals?

Hamze Bytyçi: Für viele sind die Shorts ein Highlight. Für mich persönlich sind alle Filme Highlights. Zum Beispiel „Mami“, ein Kurzfilm von Alecio Araci, der ebenfalls anwesend sein wird und für ein Q&A bereitsteht. Oder „La Singla“ – auch da wird es eine Q&A mit der Produzentin Nadja Smith geben. Außerdem wird Sejad Ademaj mit seinem Film „Deutsche Sprache, schwereSprache“ teilnehmen und ebenfalls für ein Q&A zur Verfügung stehen. Sejad Ademaj würde ich sogar als die deutsche Roma-Hoffnung für den Neuen Deutschen Film bezeichnen wollen.

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