© IMAGO / Capital Pictures (Maggie Smith in „Harry Potter und der Halbblutprinz“)

Zwischen Tradition und Moderne - Maggie Smith

Nachruf auf die britische Schauspielerin Maggie Smith (28.12.1934-27.9.2024), die im Film wie auch auf der Bühne außergewöhnliche Frauenfiguren kreierte

Veröffentlicht am
16. Oktober 2024
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Als Charakterdarstellerin startete Maggie Smith nach frühen Theatererfolgen auch im Film der 1960er-Jahre schnell durch und zeigte ihre außergewöhnliche Begabung und Vielseitigkeit. Sowohl für das Drama „Die besten Jahre der Miss Jean Brodie“ als auch für die Komödie „Das verrückte California-Hotel“ wurde sie mit einem „Oscar“ geehrt. In späteren Jahren fiel ihr oft das Fach exzentrischer alter Frauen zu, das sie nuancenreich ausfüllte. Mit den „Harry Potter“-Filmen prägte sie ein ganzes Jahrzehnt magischen Kinos mit, und durch die Serie „Downton Abbey“ wurde sie im hohen Alter noch zur Fan-Ikone.


Ihren ersten „Oscar“ erhielt Maggie Smith 1969 für ihre Hauptrolle in „Die besten Jahre der Miss Jean Brodie“. Ein Film, den heute vermutlich kaum noch jemand kennt. Darin spielt sie eine Lehrerin, die in den 1930er-Jahren an einer Schule in Edinburgh unterrichtet. Mit Esprit und einer feinen Prise Exzentrik verkörpert Maggie Smith diese moderne Frau, die von ihren Schülerinnen dafür ähnlich angehimmelt wird wie ziemlich genau 20 Jahre später Robin Williams alias John Keating in Peter Weirs „Der Club der toten Dichter“.

Als Maggie Smith als Filmschauspielerin bekannt wurde, war sie längst eine gefragte Theaterschauspielerin. Mit der Gründung des Hauses 1963 wurde sie Mitglied der „Royal National Theatre Company“, die von Laurence Olivier geleitet wurde. Mit ihm in der Titelrolle spielte sie 1964 die Desdemona in Shakespeares „Othello“. Auf der Basis dieser Inszenierung erschien ein Jahr später eine Verfilmung von Stuart Burge, die ihr die erste Nominierung für den „Oscar“ einbrachte. Dem Theater blieb sie Zeit ihres Lebens treu. Das britische Branchenmagazin „The Stage“ wählte sie 2010 zu einer der besten britischen Theaterschauspielerinnen aller Zeiten. Nur Judi Dench landete auf der Liste vor ihr. Die beiden waren befreundet, traten auf der Bühne zusammen auf und standen 1986 für James Ivorys „Zimmer mit Aussicht“ auch erstmals zusammen vor der Kamera.

Maggie Smith als Lehrerin mit unkonventionellen Ideen in „Die besten Jahre der Miss Jean Brodie“ (© IMAGO / Allstar)
Als Lehrerin mit unkonventionellen Ideen in „Die besten Jahre der Miss Jean Brodie“ (© IMAGO / Allstar)

Nicht auf einen Nenner zu bringen

Man kann Maggie Smith nicht auf einen Nenner bringen. Dafür war ihr Spiel und waren ihre Rollen zu unterschiedlich und auch zu präzise von aneinander abgegrenzt. Die Art und Weise jedoch, wie sie in James Ivorys Historienfilm eine Frau spielt, die ihre konservativen britischen Moralvorstellungen im lebenslustig dargestellten Italien bröckeln sieht, zeigt die Vielseitigkeit in ihrem körperlichen und vor allem mimischem Ausdruck. Und ebenfalls zu erkennen ist ihr begnadetes komödiantisches Talent. Typisch ist die Empörung oder Entrüstung, wenn sich jemand außerhalb standesgemäßer Konventionen bewegt, während sich in ihrer Reaktion aber zugleich andeutet, dass sie sich auch gerne aus dem Korsett altbackener Etikette befreien würde.

Diesen Stil des Verkörperns von Frauenfiguren, die in ihrer Zwiespältigkeit Komik entfachen, hatte sie auch in den Jahren davor schon kultiviert, etwa in den Agatha-Christie-Verfilmungen der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre, „Tod auf dem Nil“ und „Das Böse unter der Sonne“. Ihrer Krankenschwester beziehungsweise ihrer Hotelbesitzerin traut man die Morde eher nicht zu. Doch Maggie Smith stattet ihre Figuren mit jener Prise Unberechenbarkeit aus, die reicht, um die Möglichkeit einer kriminellen Energie offen zu lassen.

Mit diesen Filmen, und natürlich auch den Komödien „Eine Leiche zum Dessert“ (1976) oder „Das verrückte California-Hotel“ (1978), für den sie ihren zweiten „Oscar“ erhielt, diesmal als beste Nebendarstellerin, festigte Maggie Smith ihren Starstatus und die Frauenfiguren, für die sie viele in Erinnerung behalten werden. Very british und elegant, ein bisschen verrückt und durchaus geneigt, über den Tellerrand der sozialen Konventionen hinauszublicken.

Anstandsdame im viktorianischen Verhaltenskorsett in „Zimmer mit Aussicht“ (© IMAGO / Capital Pictures)
Anstandsdame im viktorianischen Verhaltenskorsett in „Zimmer mit Aussicht“ (© IMAGO / Capital Pictures)

Das zeichnet auch ihre Rolle der gealterten Wendy Darling in Steven Spielbergs „Peter Pan“-Variante „Hook“ (1992) aus. Es sind die Rollen, die in der Figur der Professorin Minerva McGonagall in den „Harry Potter“-Filmen kulminierten. Dort brillierte sie als ebenso strenge wie gutmütige und für alle Überraschungen im Grunde ihres Herzens offene Lehrerin. Und kehrte damit ein Stück weit zu ihrer Rolle in „Die besten Jahre der Miss Jean Brodie“ zurück.


Bescheidenheit und unvertrauter Ruhm

Es heißt, Maggie Smith habe nicht gerne Interviews gegeben. Um ihre öffentliche Person machte sie nicht gerne Aufhebens. Sie sah sich selbst auch nicht gerne auf der Leinwand oder im Fernsehen. In einem Interview mit Mark Lawson im Rahmen des BFI – Radio Times TV Festival wurde sie 2017 anlässlich ihrer Rolle in der Serie „Downton Abbey“ gefragt, was sich mit dem enormen Erfolg denn für sie geändert habe. Bis dahin, antwortete sie, habe sie ein perfekt unauffälliges Leben geführt, „niemand wusste, wer zur Hölle ich war“. Mit „Downton Abbey“ aber war es mit der Unsichtbarkeit vorbei.

Auf diese Rolle vorbereitet hatte sie schon der Part der verwitweten Gräfin in der Kriminalkomödie „Gosford Park“ aus dem Jahre 2002, die vom selben Autor stammt wie „Downton Abbey“ und in einem vergleichbaren Setting spielt. Von der scharfzüngigen Countess of Trentham in „Gosford Park“, die Wochenendgesellschaft wie Mordermittlung süffisant kommentiert, zur Countess of Grantham in „Downton Abbey“, die sich ähnlich bissig und snobistisch äußert, ist der Weg nicht weit. Denkbar wäre eine Typisierung ihrer Figur als komische Alte gewesen. Doch Maggie Smith spielt die Countess of Grantham in all ihrer Verbohrtheit mit viel Würde und überraschenden Anwandlungen.

Plötzlich weltbekannt wurde Maggie Smith durch die Serie „Downton Abbey“ (© UPI)
Plötzlich weltbekannt wurde Maggie Smith durch die Serie „Downton Abbey“ (© UPI)

Es ist bewundernswert, wie sehr sie dem Schauspielen auch in schwierigen Zeiten treu blieb. Wahrscheinlich war es ihr Lebenselixier. 2008, da war die „Harry Potter“-Kinoreihe noch lange nicht abgeschlossen, wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Sie zweifelte daran, weiter auf der Bühne stehen zu können. Doch sie überstand die Krankheit und spielte danach bis ins hohe Alter, „was das Zeug hielt“, im Kino und auf der Bühne. Am 27. September 2024 ist Maggie Smith mit 89 Jahren verstorben.

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