© Alile Onawale (Fernanda Torres in „I’m Still Here“)

„I’m Still Here“ gewinnt SIGNIS-Filmpreis beim Filmfestival Venedig

Katholischer Weltverband für Kommunikation kürt Drama über brasilianische Militärdiktatur; die Interfilm-Jury ehrt "Quiet Life"

Veröffentlicht am
12. September 2024
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Die Jury von SIGNIS, dem Katholischen Weltverband für Kommunikation, zeichnete beim 81. Filmfestival in Venedig ein Drama von Walter Salles aus, das anhand des Schicksals einer Familie von den Traumata der brasilianischen Militärdiktatur erzählt. Die Interfilm-Jury zeichnet "Quiet Life" von Alexandros Avranas aus.


Sonnige Bilder von Strand und Meer und einer harmonischen, liebevollen Familie stehen am Anfang von „I’m Still Here“, inszeniert von Walter Salles, eine der prominentesten Stimmen des gegenwärtigen südamerikanischen Kinos. Der Film beginnt in einer heiteren Tonlage, um die Zuschauer dann aber umso härter die Fallhöhe spüren zu lassen, die den Figuren im Lauf der Handlung bevorsteht.

„I’m Still Here“ spielt in den 1970er-Jahren zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur und erzählt anhand des Mikrokosmos einer Familie von den Menschenrechtsverletzungen, mit denen das Regime seine Machtansprüche durchsetzte: Verhaftungswellen, Folter, politische Morde.

Walter Salles und seine Drehbuchautoren Murilo Hauser und Heitor Lorega bauen auf ein reales Schicksal auf. Ihr Film kreist um das Verschwinden des ehemaligen Kongressabgeordneten Rubens Paiva (1929-1971) sowie um das Leid, das dies für seine Angehörigen bedeutete.

Zentrale Figur ist seine Ehefrau, die spätere Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Eunice Paiva (Fernanda Torres), die zunächst zusammen mit ihrem Mann und einer ihrer Töchter von Schergen der Militärpolizei inoffiziell verhaftet, verhört und drangsaliert wird. Sie und das Mädchen werden nach recht kurzer Zeit wieder entlassen. Aber wirklich frei kommen sie, ihre Töchter und ihr Sohn Marcelo innerlich noch lange nicht, weil ihr Mann und Vater in den Mühlen des Regimes spurlos verschwunden bleibt. Die quälende Ungewissheit, was ihm widerfahren ist, verfolgt sie auch noch Jahre später.

„I’m Still Here“ (© Alile Onawale)
„I’m Still Here“ (© Alile Onawale)

Die SIGNIS-Jury kürte das bewegende Werk im Rahmen des Filmfestivals von Venedig. Konzentriert auf wenige Figuren, macht der erhellende Film schmerzhaft deutlich, was es für Menschen bedeutet, wenn die Spielregeln von Demokratie und Rechtsstaat von diktatorischen Regimen ausgehebelt werden. Damit, so die Jury, ist der Film nicht nur als historische Aufarbeitung relevant, sondern wird zugleich „zu einer kraftvollen Botschaft für unsere Gegenwart und für die Risiken, denen Demokratien immer wieder ausgesetzt sind“.

„I’m Still Here“ zeichnet sich zudem durch eine Perspektive aus, die dem Terror der Diktatur den hartnäckigen Willen zum Widerstand entgegensetzt. Er ist, so die Jury, „eine Warnung davor, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben, und gleichzeitig ein Film, der Mut macht, sich gegen die Zeitläufte zu wehren“.

Präsidentin der SIGNIS-Jury war die Grazer Theologin und Psychotherapeutin Astrid Polz-Watzenig; mit ihr entschieden Sergio Perugini (Italien), Joachim Opahle (Deutschland), Eliana Ariola (Italien) und Adrian Baccaro (Argentinien) über den Preisträger.


Interfilm-Jury votiert für "Quiet Life"

Die Interfilm-Jury verlieh ihren Preis zur Förderung des interreligiösen Dialogs an das Drama "Quiet Life" von Alexandros Avranas. Darin geht es um eine Familie, die in Schweden Asyl sucht. Als ihr Antrag abgelehnt wird, fallen die beiden Töchter in ein mysteriöses Koma, das als "Child Resignation Syndrom" bekannt ist. Die jüngere Tochter kommt in eine Spezialklinik; auch die Eltern sollen sich einem rigiden Verhaltenskodex unterwerfen und nur positive Gefühle zeigen. Man ahnt, dass dies nur schiefgehen kann. Tatsächlich deutet sich eine Lösung erst an, als es den Eltern gelingt, ihr Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Der überaus dichte Film, so die Interfilm-Jury, berüht durch seine klare Struktur und erzeugt die Leistung der Schauspieler:innen eine ungeheure Wucht. "Gleichzeitig konfrontiert uns die Geschichte mit der Scheinheiligkeit einer eiskalten Bürokratie, die Menschlichkeit nur vortäuscht."

Mit der Wahl von "Quiet Life" soll zum Nachdenken über die menschliche Würde angeregt und zur Solidarität mit Asylsuchenden beigetragen werden. Der Film kann helfen, "unser Bewusstsein gegen jede Art von Ablehnung zu schärfen".

"Quiet Life" von Alexandros Avranas (Les Films du Worso)
"Quiet Life" von Alexandros Avranas (© Les Films du Worso)

Mitglieder der Interfilm-Jury 2024 in Venedig waren Ingrid Glatz (Schweiz), Stefan Haupt (Schweiz), Naomi Evelyn Hondrea (Italien), Jes Nysten (Dänemark) und Barbara Schantz-Derboven (Deutschland).

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