© Imago/United Archives

Disziplin & Kontrolle (VII): „Der Einzelgänger“ von Michael Mann

SKS-Blog „Disziplin & Kontrolle“ (VII): In einem Krimi-Drama (1980) von Michael Mann spielt James Caan einen Einbrecher, der vergeblich von einer bürgerlichen Existenz träumt.

Veröffentlicht am
12. September 2024
Diskussion

In seinem Film „Der Einzelgänger“ (1980) zeichnet der US-amerikanische Regisseur Michael Mann die Tragik eines Mannes nach, der sich eine bürgerliche Existenz und die damit verbundenen emotionalen Sicherheiten erkaufen zu können meint. Die Kehrseite seiner Idee von Freiheit und Autonomie ist jedoch eine tiefe Einsamkeit, die seine Versuche von vornherein zum Scheitern verurteilt.


Die verspiegelten Bürogebäude der Skyline von Chicago, verkehrt herum gestapelte Biergläser in einer dunklen Bar, die metallene Verkleidung einer Telefonzelle, die Hornbrille eines Diamantenhändlers, Pfützen im zerknitterten Asphalt, die makellose Haut des Lake Michigans, gedehnte Neonlichter im polierten Lack amerikanischer Autos, die immer so aussehen, als hätten sie den Wenderadius eines Schiffs. All diese Gegenstände strukturieren das Zeichensystem von Michael Manns „Der Einzelgänger“ (1981); bei allen handelt es sich um glatte, glänzende Oberflächen, um Körper, die Licht und Wärmestrahlung reflektieren, die Hitze nicht absorbieren, sondern kalt bleiben.

Mit Blaumann und Schweißerbrille

Gezeigt wird ein Chicago, auf dessen Straßen der Regen gerade heruntergeprasselt ist. Schon das Blau des Titels im Vorspann verrät, dass der Film einem thermodynamischen Experiment gleicht und Kälte sezieren will. Frank (James Caan) ist Berufskrimineller. Sein Handwerk ist das Stehlen. Während seines ersten Einbruchs trägt er Blaumann und Schweißerbrille. Er knackt einen Tresor mit einem überdimensionierten Bohrer und hat dabei etwas von einem Automechaniker an sich. Frank beschreibt seine Profession mit den Worten: „Look, I steal ice.“ Ice: Diamanten oder Cash. Als Frank später mit seiner Geliebten Jessie (Tuesday Weld) über dem laufenden Wasserhahn gebeugt steht, da ihr Vorstadthaus verwanzt wurde und das fließende Wasser ihre Stimmen für die Lauscher unverständlich machen soll, antwortet er im Flüsterton: „What does this mean? It means heat, police.“ Eis und Hitze sind die beiden Pole, zwischen denen Michael Mann seine filmische Erzählung aufspannt.

Cooler Profesional: James Caan in "Der Einzelgänger" (© Imago/United Archives)
Cooler Profesional: James Caan in "Der Einzelgänger" (© Imago/United Archives)

Frank selbst ist eine glänzende Oberfläche. Die elf Jahre Gefängnis haben ihn glatt gespült, ihm seine Eigenschaften abgeschliffen. Von seiner ersten Frau, einer Figur außerhalb der filmischen Erzählung, ließ er sich scheiden. Er konnte ihr nicht offenbaren, dass er ein Dieb ist, und sie dachte, er gehe fremd. Vielleicht fand sie gestohlene Diamanten und glaubte, dass Frank sie gekauft habe, um eine Halskette für eine Affäre schmieden zu lassen oder dergleichen. Franks verspiegelte Sonnenbrillen sind das Sinnbild seiner gescheiterten Ehe. Sie stehen für die Kälte, mit der er sich umgibt, für die Kälte, die ihn schützt. Wärme zu absorbieren oder Strahlung nicht zu reflektieren, würde bedeuteten, diesen Schutz aufzugeben.

Bei Tag verkauft Frank Autos. Um Jessie, der Bardame eines Diners, während ihres ersten Dates zu imponieren, prahlt er, dass er seine Autos wechselt, wie andere Männer ihre Schuhe. Es ist eine Obsession, die etwas Trauriges hat. In den Worten Adornos: „In der fanatischen Liebe zu den Autos schwingt das Gefühl physischer Obdachlosigkeit mit.“ Die Liebe zum Auto ist auch immer eine Liebe zur Möglichkeit, alles hinter sich zu lassen, die Möglichkeit, kalt zu bleiben. Die Kehrseite der Freiheit ist die Einsamkeit. Franks handwerkliche Expertise, seine Bereitschaft zur Gewaltanwendung – gegenüber dem Syndikatschef Leo (Robert Prosky) verkündet Frank, dass seine Pistole die einzige Gewerkschaft ist, die er brauche –, gründen auf Abscheu davor, in jemandes Schuld zu stehen.

Schenken, Schuld und soziale Beziehungen

In der Arbeit des Anthropologen David Graeber zur Kulturtechnik der Schulden findet sich eine schöne Anekdote, um diesen Abscheu zu begreifen. Graeber schreibt von einem Dorf, in welchem der Brauch vorherrscht, dass Neuankömmlinge von allen Bewohner:innen eine Gabe erhalten. Der Brauch besagt weiterhin, dass die Neuankömmlinge den Menschen im Gegenzug ein Geschenk machen, das entweder ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger wert ist als die ursprüngliche Gabe. Sich mit einem Geschenk vom selben Wert zu revanchieren, käme einer Unverschämtheit gleich. Es würde bedeuten: Ich möchte nicht, dass ich in deiner oder du in meiner Schuld stehst. Ich möchte nicht vertäut sein mit dir, in keiner sozialen Beziehung zu dir stehen.

Als Kinofassung & Director's Cut Set auf DVD/BD verfügbar (© Pidax)
Als Kinofassung & Director's Cut Set auf DVD/BD verfügbar (© Pidax)

Der einzige Augenblick, in dem „Der Einzelgänger“ sich erhitzt, ereignet sich während Franks letztem Diamantenraub in Los Angeles. Ausgerüstet mit einer gut drei Meter langen thermischen Lanze penetriert er auf Hüfthöhe die Tresortür. Funken sprühen, Metall schmilzt, während einer seiner Komplizen mit einem Feuerlöscher den Gebäudebrand verhindert. Sobald es gelungen ist, in den Tresor einzudringen, raucht der verrußte Frank die obligatorische Zigarette danach. Der Bruch ist ein Liebesakt, weil Frank nur Liebe kennt, die an Bedingungen geknüpft ist. Nur unter der Bedingung, dass er sein Handwerk zur Perfektion beherrscht, schmiegt die Welt sich ihm an, dem Waisenkind und Ex-Häftling.

Die Tragik des Tauschprinzips

Das Ausmaß, in dem sich das bürgerliche Tauschprinzip – die sich gegenseitig waschenden Hände – in Frank eingeschrieben hat, wird bei seinem Date mit Jessie offenbar. Die beiden sitzen in einer Raststätte, die sich auf einer Autobahnbrücke befindet. In der Nacht hinter der Fensterfront ziehen Lichter vorbei. Frank fragt Jessie: „I mean, what is going on in your life that is so terrific?“ Er fährt fort, ihr eine Art „Sales Pitch“ für ein besseres Leben zu geben. Er betont, dass er schneller, viel schneller, in der Lage sein wird, ihr das Versprochene zu bieten. Doch Liebe ist ein Schenken um des Schenkens willen und kein Schielen auf Rendite. Weil ihm nie etwas geschenkt wurde, kann Frank nicht lieben. Die glatte, glänzende Oberfläche, zu der seine Haut gespült wurde, ist eine Mauer.

Liebe kommt gegen die existenzielle Kälte des Berufskriminellen nicht an (© Imago/United Archives)
Liebe kommt gegen die existenzielle Kälte des Berufskriminellen nicht an (© Imago/United Archives)

Von Menschen wie ihm heißt es bei Adorno: „Kälte ergreift alles, was sie tun, das freundliche Wort, das ungesprochen, die Rücksicht, die ungeübt bleibt. Solche Kälte schlägt endlich zurück auf jene, von denen sie ausgeht.“ Die Szene in der Autobahnraststätte ist schön, so wie ein verweintes Gesicht schön sein kann, weil Frank die Strukturen beklagt, in denen er gefangen ist, sie in seiner Klage aber noch verstetigt: „Alle nicht entstellte Beziehung, ja vielleicht das Versöhnende am organischen Leben selber, ist ein Schenken. Wer dazu durch die Logik der Konsequenz unfähig wird, macht sich zum Ding und erfriert.“ Michael Mann ist vertraut mit dieser Kälte. Im Jahr 1971, knapp zehn Jahre vor dem Dreh, saß er selbst noch in derselben Autobahnraststätte, trank Kaffee und redete die ganze Nacht mit einer Frau, Summer, die er eben erst kennengelernt hatte. Drei Jahre später heirateten sie.


Sichtungshinweis

Der Einzelgänger“ ist als Stream im Amazon Prime Abo und zum Kaufen und Leihen im Sky Store verfügbar. Außerdem ist der Film als DVD und Blu-ray beim Label Pidax als 2-Disc-Set erschienen, das Kinofassung und Director’s Cut umfasst (2023). Ebenfalls noch zu haben ist eine 2017 erschienene „Ultimate Edition“ (OFDB), die als 5-Disc-Set neben Kino- und Director’s Cut Fassung zwei Audiokommentare, eine Doku über Michael Mann und reichlich anderes Bonusmaterial umfasst.


Literaturhinweise

Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Von Theodor W. Adorno. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main 2003.

Schulden.Die ersten 5000 Jahre. Von David Graeber. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012.


Zum Siegfried-Kracauer-Stipendium

Das Blog „Disziplin & Kontrolle“ von Leo Geisler über die Wandlungen im Heist-Genre entsteht im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums, das der Verband der deutschen Filmkritik zusammen mit MFG Filmförderung Baden-Württemberg, der Film- und Medienstiftung NRW und der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) jährlich vergibt.

Die einzelnen Beiträge des aktuellen Stipendiums, aber auch viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.

Kommentieren