© imago/United Archives ("Ein Mann und eine Frau - 20 Jahre später")

Geheimnisvolle Schönheit - Anouk Aimée

Nachruf auf die französische Schauspielerin Anouk Aimée (27.4.1932-18.6.2024), deren rätselhafte Schönheit stets von einem Hauch Melancholie umgeben war

Veröffentlicht am
26. Juni 2024
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Die französische Schauspielerin Anouk Aimée verstand sich auf das Spiel mit Sonnenbrillen, hinter denen ihre rätselhafte Schönheit stets ein Hauch von Melancholie umgab. Hollywood scheiterte daran, ihre filigrane Aura zu vereinnahmen. Dafür fand sie in Claude Lelouch und seinen drei „Ein Mann und eine Frau“-Filmen einen Regisseur, bei denen sie ihre Kunst leiser Skepsis in allen Lebensaltern ausspielen konnte.


Das Eigenartige an den Biografien, die über Anouk Aimée (27.4.1932-18.6.2024) kursieren, sind die 14 Jahre zwischen ihrer Geburt und ihrer ersten Filmrolle. Eine Kindheit, über die so gut wie nichts zu erfahren ist, außer dass sie unter falschem Namen in ein Internat in Südwestfrankreich ging (wo einer ihrer Mitschüler Roger Vadim war, der Entdecker von Brigitte Bardot). Zur Welt kam Anouk Aimée 1932 in Paris als Nicole Françoise Florence Dreyfus. Sie war Tochter zweier Schauspieler, eines jüdischen Vaters und einer katholischen Mutter. Ihr Filmdebüt gab sie 1946 in dem Liebesdrama „La Maison sous la Mer“. Über das, was sie als jüdisches Kind während der deutschen Besatzung erlebte, hat sie nie gesprochen. Mit einer Ausnahme.


Eine Säule des „Qualitätsfilms“

Stattdessen begann ihr öffentliches Leben in einem chinesischen Restaurant in Paris, wo sie mit ihrer Mutter dinierte und von dem Regisseur Henri Calef entdeckt wurde. Er riet ihr, den Rollenvornamen Anouk als Künstlernamen zu verwenden, und der Drehbuchautor ihres zweiten Films „La Fleur de l'âge“ (1947), kein geringerer als Jacques Prévert, fügte dem einen Nachnamen hinzu: Aimée. Anouk, die Koseform des jüdischen Hanna, bedeutet „die Anmutige“, „Aimée“ ist im Französischen die Geliebte. Welch ein Rucksack, den die 14-Jährige damit umgehängt bekam. Emile Savitry, zusammen mit Robert Doisneau einer der großen französischen Menschenfotografen, machte am Set die ersten Porträtfotos von Anouk Aimée: ein Mädchen mit einem Kätzchen auf dem Schoß. Prévert schreibt ihren nächsten Film „Die Liebenden von Verona“ (1949) speziell für sie. Es ist eine Romeo-und-Julia-Geschichte in der Zeit kurz nach dem Ende des italienischen Faschismus.

Anouk Aimèe in "Lola, das Mädchen aus dem Hafen" (Studio Canal)
Anouk Aimèe in "Lola, das Mädchen aus dem Hafen" (Studio Canal)

So wird sie zu einer der tragenden Säulen des französischen „Qualitätsfilms“ (gegen den Kritiker wie Godard und Truffaut heftig polemisieren), mit Qualitätsregisseuren wie André Cayatte, Alexandre Astruc, Julien Duvivier, Henri Decoin oder Jacques Becker und männlichen Qualitätsstars wie Serge Reggiani, Gérard Philipe, Pierre Brasseur, Paul Meurisse und Jean-Pierre Cassel. Sie fällt etwas aus dem Rahmen; im Gegensatz zu den üppigen 1950er-Jahre-Sexsymbolen der Lorens, Lollobrigidas und Carols ist sie gertenschlank; man bewunderte ihre Schönheit, doch als Projektionsfläche für die Träume der Kinobesucher taugte sie nur bedingt; dafür war sie zu sehr Maske, zu sehr Undurchschaubarkeit.

Als die Nouvelle Vague das französische Filmestablishment erschütterte, war sie erst Mitte 20, aber schon ein etablierter Star, was bei den Kinorevoluzzern kein Vorteil war. Aimée hatte vorher bereits eine für französische Stars ungewöhnliche Internationalität an den Tag gelegt. In England drehte sie mit Trevor Howard „Der goldene Salamander“ (1950) und in Deutschland mit Karlheinz Böhm „Nina“ (1956); als François Truffauts „Sie küssten und sie schlugen ihn“ in Cannes der Nouvelle Vague zum Durchbruch verhalf, war sie – welch historischer Zufall – in Italien. In Rom drehte sie „La dolce vita“ (1959) für Federico Fellini. Dieser Film definierte dann jene Leinwandpersönlichkeit, mit der sie berühmt wurde.


Hinter der Sonnenbrille

Sie spielt darin die Millionenerbin, die des süßen Lebens in Rom müde ist und den Reporter Marcello Mastroianni trifft, der es genießt. Es ist die perfekte Rolle für Aimée. Hinter ihrer dunklen Sonnenbrille (ständig schien sie in ihren Filmen Sonnenbrillen zu tragen) blieb sie die unergründlich Liebende, die skeptische Idealistin, die souveräne Verletzliche. Marcello Mastroianni platziert sie in einem großen Raum und begibt sich selbst in ein Nebenzimmer; beide sind durch eine Echokammer verbunden. Sie fragt ihn dann, ob er sie heiraten möchte, und Mastroianni gesteht ihr seine Liebe, umgeht jedoch den eigentlichen Antrag. Am Ende der Szene wird Aimée von einem anderen Mann geküsst und verliert das Interesse an Mastroianni.

Aimée blieb eine Weile in Italien. In Fellinis „Achteinhalb“ war sie die gestrenge Ehefrau von Mastroianni (in dem Musical „Nine“ spielte fünfzig Jahre später wiederum Marion Cotillard die Figur von Aimée), trat in dem Résistance-Film „La terrorista“ und in dem Episodenfilm „Das jüngste Gericht findet nicht statt“ (1961) auf. Dann bot ihr Claude Lelouch, einer aus der Generation der Nouvelle Vague, der aber nie so richtig dazugehörte, eine Rolle in einem Liebesdrama an: „Ein Mann und eine Frau“.

Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant in "Ein Mann und eine Frau" (imago/Mary Evans)
Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant in "Ein Mann und eine Frau" (imago/Mary Evans)

Die Geschichte könnte banaler nicht sein: Anne und Jean-Louis, beide Mitte dreißig, haben ihre Kinder im selben Internat in der Normandie untergebracht. An einem Besuchssonntag lernen sie sich kennen. Als Anne abends ihren Zug verpasst, nimmt Jean-Louis sie im Auto mit nach Paris. Die beiden verbringen einen Tag zusammen und erzählen sich, dass ihre Partner tot sind, ein Unfall und ein Suizid. In der nächsten Woche, Anne arbeitet wieder als Script-Girl beim Film und Jean-Louis nimmt an der Rallye Monte Carlo teil, erhält er ein Telegramm von ihr mit einer Liebeserklärung. Er fährt zu ihr, sie nehmen ein Hotelzimmer, doch die Nacht verläuft enttäuschend; Anne hängt noch an ihrem verstorbenen Mann. Sie reist allein per Zug nach Paris, aber Jean-Louis begreift, dass er einen weiteren Versuch wagen muss. Er erwartet sie am Bahnhof, und sie fallen sich in die Arme.


Ein Hauch von Melancholie

Ein Mann und eine Frau“ kam 1966 in die Kinos, zu einer Zeit, in der sich Skepsis über Frau-Mann-Beziehungen im Kino breitmachte. Vielleicht war der Film gerade deshalb ein so großer Erfolg, weil er diese Skepsis aufgriff und überwand. Das Drama gewann in Cannes die „Goldene Palme“; Aimée holte sich den Darstellerinnenpreis und später eine „Oscar“-Nominierung. Fortan war sie die Verkörperung der rätselhaften Schönheit mit einem Hauch von Melancholie.

Hollywood versuchte sie zu vereinnahmen, wie es das bei französischen Stars gerne tat. Doch bald stellte sich die Unvereinbarkeit seiner Frauenrollen mit dem Genre „Anouk Aimée“ heraus. Die Rolle der schüchternen Ehefrau in Sidney Lumets „Ein Hauch von Sinnlichkeit“ (1968) stand ihr noch, aber Projekte mit Robert Altman und Dustin Hoffman zerschlugen sich; die Regungen dieser Frau hinter ihren Sonnenbrillen waren für Hollywood-Filme zu filigran. Sie bereute nur bei einer einzigen Rolle, sie ausgeschlagen zu haben: die der Jägerin des Millionendiebs Steve McQueen in „Thomas Crown ist nicht zu fassen“, die dann an Faye Dunaway ging.

Anouk Aimèe, Marcello Mastroianni in "La Dolce Vita" (imago/Cinema Publishers)
Anouk Aimèe, Marcello Mastroianni in "La Dolce Vita" (imago/Cinema Publishers)

Nach dem Ende ihres Amerika-Abenteuers machte sie erst einmal sechs Jahre Pause, bei den meisten Stars ein karrierekillendes Verhalten. Anouk Aimée kam zurück, ihre Anne Gauthier war schon legendär. In Robert Aldrichs „Straßen der Nacht" sieht sich Catherine Deneuve im Kino "Ein Mann und eine Frau" an, in Claude Lelouchs „Ein glückliches Jahr“ zeigt der Direktor eines Gefängnisses den Film den Insassen zu Silvester, und 1986 drehte Lelouch ein Sequel, „Ein Mann und eine Frau – Zwanzig Jahre später“. Wiederum 33 Jahre darauf folgte, erneut mit Jean-Louis Trintignant und Aimée, „Die schönsten Jahre eines Lebens“ (2019), in dem sie ihn für einen Tagesausflug im Altenheim abholt. Dasselbe Paar, gespielt von denselben Schauspielern, über einen Zeitraum von 53 Jahren. Das dürfte ein Weltrekord in der Filmgeschichte sein.


Die Vergangenheit hinter sich lassen

Im Jahr 2003 drehte Anouk Aimée den Film, den sie ein Leben lang vor sich hergeschoben hatte: „Birkenau und Rosenfeld“, inszeniert von Joris Ivens’ Witwe Marceline Loridan. Eine französische Holocaust-Überlebende kehrt nach 60 Jahren nach Auschwitz zurück, um sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Dort trifft sie auf einen jungen deutschen Fotografen, dessen Großvater SS-Offizier war. Damals gab sie der Tageszeitung „Die Welt“ ein Interview:

Gibt es bei Ihnen eine Verbindung zu dem berühmten Hauptmann Alfred Dreyfus?

Anouk Aimée: Nein, gar keine.

Dreyfus ist ein jüdischer Name. Sie müssen Ihre Kindheit unter der deutschen Besatzung verbracht haben. Eine schwere Zeit. Ich habe aber nie etwas darüber gelesen.

Aimée (scherzt): Vielleicht weil ich jünger aussehen möchte?

Gibt es Erinnerungen an diese Zeit? Über die Sie sprechen möchten?

Aimée: Hmm ... Hören Sie ... Natürlich erinnere ich mich, weil diese schreckliche Zeit mich mit geformt hat. Mein Großvater und mein Onkel starben in Auschwitz, respektive Birkenau. Aber das Leben geht weiter, und heute ist Deutschland einfach Deutschland und nicht mehr Hitler-Deutschland.

Ein Zweig Ihrer Familie reichte auch nach Deutschland?

Aimée: Ja. Lassen Sie mich eine Geschichte erzählen. Gegen Ende des Krieges konnten wir uns nicht länger verstecken. Meine Mutter ging zur deutschen Kommandantur. Wir wollten zu Bekannten, aber dazu mussten wir quer durch Frankreich, und dafür brauchten wir Papiere. Sie zeigte dem deutschen Offizier ihren Ausweis, der sah ihn sich an und sagte: ,Wir werden Ihren Passierschein auf einen anderen Namen ausstellen.‘ Sie wollte ihm danken, aber er rief nur: ,Gehen Sie, gehen Sie.‘ Er hatte Angst, selbst in Schwierigkeiten zu kommen.

August Diehl, Anouk Aimée in "Birkenau und Rosenfeld" (imago/
August Diehl, Anouk Aimée in "Birkenau und Rosenfeld" (imago/

Für ihren jungen Partner in „Birkenau und Rosenfeld“, August Diehl, hatte sie nur Lob: „Er ist wunderbar: intelligent, komisch – und sehr ansehnlich. Auch dies ist ein Film über den Krieg. Aber wenn wir in der heutigen, verrückten Welt überleben möchten, müssen wir die Vergangenheit hinter uns lassen.“

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