Im zweiten Beitrag zum Blog „Disziplin & Kontrolle“ über die Wandlungen des Heist-Movie-Genres geht es um „Asphalt Dschungel“ (1950) von John Huston, der als Urtypus dieser Filmgattung gilt. Als Weiterentwicklung des amerikanischen Gangsterfilms führt er die Gruppe von individuellen Spezialisten ein, die einen gewagten Raub planen, und zeigt ihren zwischenzeitlichen Erfolg wie ihr Scheitern. Ein Film, dessen Stimmung sich ganz aus den Bedingungen der US-amerikanischen Nachkriegszeit speist.
Da ist dieser Mann. Er sitzt am Tresen eines Roadside-Diners. Er kommt aus München, hat aber seit vielen Jahren nicht mehr Deutsch gesprochen. Neben ihm sitzt ein Taxifahrer aus Chicago, ebenfalls ein deutscher Emigrant. Er raucht eine Zigarre. Sie ist Zeichen des Genusses und der käuflichen Loyalität. Die Zuschauer wissen, dass er den Münchner für ein Trinkgeld von 50 Dollar bis nach Cleveland fährt, raus aus Illinois, raus aus dem Zuständigkeitsbereich der State Police. Der Preis, der auf seinen Kopf ausgesetzt ist, gebietet Eile, doch der Münchner zögert. Dabei behält er fortwährend seinen Filzhut auf dem Kopf, als wollte er dem Barkeeper beweisen, dass er im Begriff ist, sich gleich wieder ins Auto zu setzen. Wie so oft ist es der Anblick einer jungen Frau, der den Mann am Gehen hindert. Sie tanzt mit einem anderen zur Musik der Jukebox. Ein weiterer Mann sitzt an einem Tisch und blickt zu den Tanzenden. Vielleicht gehen sie in dieselbe Klasse. Die drei Gläser Coca-Cola verraten jedenfalls, dass keiner von ihnen 21 ist.
Der Münchner betrachtet das Geschehen mit angezogenen Augenbrauen, wie um nicht die Konzentration zu verlieren. Als den jungen Männern das Geld ausgeht, schmeißt er ihnen ein paar Münzen auf den Tisch und setzt sich auf den Platz der lächelnden Frau. Sie ist aufgestanden, hat einen Nickel in die Jukebox gesteckt und wieder zu tanzen begonnen. Die Kamera folgt ihrer Show für eine Weile. Dann fährt sie in einer fließenden Bewegung zum Fenster der Raststätte, durch dessen Jalousien zwei Polizisten ins Innere blicken. Es kommt, wie es kommen musste. Als die Polizisten den Münchner festnehmen, fragt er, wie lange sie dort gelauert haben. Sie antworten, dass sie ihn zwei, vielleicht drei Minuten observiert haben, ungefähr für die Länge eines Lieds also. Die Gesetzmäßigkeiten des Genres sind unerbittlich. Seine Weigerung, das Blatt, das ihm gegeben wurde, zu akzeptieren, seine Dreistigkeit, alles vom Leben zu verlangen, werden dem Juwelenräuber zum Verhängnis. Er hätte gehen können, und konnte es doch nicht.
Die Geburt des Heist-Movies
Diese Szene steht am Ende von John Hustons „Asphalt Dschungel“ (1950), dem nach dem US-Filmwissenschaftler Stuart Kaminsky zufolge ersten Heist-Movie, welcher eine Reihe von Genre-Konventionen etablierte. Das Heist-Movie verkörpert eine Mutation des Gangsterfilm-Genres, das in den USA während der Depressionszeit groß wurde und den Mythos der sozialen Mobilität in den Vereinigten Staaten sezierte. Das Genre drückt das Unbehagen der US-Amerikaner:innen aus, im Spannungsverhältnis von skrupellosem Markt-Anarchismus und Amerikanischem Traum zu existieren, demzufolge noch im Tellerwäscher ein Millionär auf die Entpuppung wartet. Dieser dramatische Konflikt ist bereits in der Körpergröße der frühen Gangsterdarsteller Edward G. Robinson, der mit „Der kleine Caesar“ (1931) berühmt wurde, und James Cagney, der fast zeitgleich mit „Der öffentliche Feind“ (1931) als Star avancierte, angelegt. Bei beiden handelt es sich mit jeweils 1,65 Metern um verhältnismäßig kleine Männer.
In der tragischen Figur des Gangsters, seinem Aufstieg
und Niedergang, verdichtet sich in Kaminskys Analysen der Widerspruch einer puritanischen
Gesellschaft, die christliche Nächstenliebe predigt und gleichzeitig
rücksichtslosen Ehrgeiz honoriert. Kaminsky identifiziert eine Liste an
Zutaten, die „Asphalt Dschungel“ für die Genre-Rezeptur des Heist-Movie bereitgestellt
hat: Die prozesshafte Schilderung eines Verbrechens in drei Teilen (Planung,
Ausführung, Nachspiel), das – zumindest vordergründig – auf finanziellen Gewinn
ausgelegt ist. Der zentrale Antagonismus einer Crew von Delinquent:innen gegen eine
gesichtslose, technologisch überlegende Institution, das Sinnbild für die bürgerliche
Kälte der Massengesellschaft (Bank, Casino, Kaufhaus). Eine quasi-familiäre
Bande als Sympathieträger, zusammengesetzt aus dem praxisorientierten Mann der
Tat, dem älteren Drahtzieher und diversen Spezialist:innen, zum Beispiel dem Sprengstoffexperten
und dem Fluchtfahrer. Im Gegensatz zu den trotteligen Cops der Slapstick-Filme
ist die Polizei durch kompetentes Handeln charakterisiert, was die Raffinesse und
Fallhöhe des Raubs unterstreicht. Die aus dem Gangsterfilm übernommene
Tragödien-Dramaturgie, der zufolge der Niedergang der einzelnen Figuren bereits
in ihrer Einführung angelegt ist. So stirbt etwa Dix Handley (Sterling Hayden), der in Chicago beständig auf Pferde wettende Mann der Tat,
welcher mit den Erträgen aus dem Heist die Ranch seines Vaters zurückkaufen
will, auf eben dieser idyllischen Bluegrass-Weide in Kentucky, umringt von Pferden,
die an ihm schnuppern, so als wollten sie ihn zuhause willkommen heißen, den
die Großstadtluft zu einem Fremden gemacht hat.
Auch der Niedergang des Münchners, Doc Riedenschneider (Sam Jaffe), dem Drahtzieher des Heists, wird im Voraus dadurch angedeutet, dass ihn Dix in einem anrüchigen Wettbüro dabei überrumpelt, mit aufgesetzter Lesebrille einen Pin-Up-Kalender zu betrachten. Louis Ciavelli (Anthony Caruso), der Sprengstoffexperte und Vater eines fiebrigen Neugeborgenen, der trotz seiner familiären Verpflichtung den Job annimmt, wird bei der Wohnungsstürmung von der Polizei im offenen Sarg angetroffen, umringt von seinen Liebsten. Schließlich Cobby (Marc Lawrence), ein zwielichtiger Buchmacher, der nicht müde wird zu betonen, dass er das Zeug hat, bei den Großen mitzuspielen; er wird für seine Eitelkeit mit dem niedrigsten Status bestraft: dem des Verräters. Bloß Gus (James Whitmore), der Fluchtfahrer mit der Rückgratverkrümmung, kommt mit einem blauen Auge davon. Auch er landet hinter Gittern, doch das Strafmaß wird milde ausfallen. Vielleicht war John Huston nachsichtiger mit ihm, weil Gus zu Beginn des Films einen LKW-Fahrer aus seiner Kneipe wirft und ihm nachruft: „Wenn ich dich je eine Katze überfahren sehe, trete ich dir die Zähne ein.“
Neuartige Zeit, neuartiger Raum
Es ist kein Zufall, dass Huston das erste Heist-Movie ausgerechnet im Jahr 1950 drehte. Der Kulturwissenschaftler Daryl Lee verweist auf den produktionellen Entstehungsrahmen der Nachkriegs-USA, also die vollends herausgebildete Disziplinargesellschaft Foucaults, die den Menschen ein neuartiges Gefühl für Raum und Zeit einpflanzte, das wiederum die Möglichkeitsbedingung des Genres ausmacht. Einerseits wringt der Kapitalismus, gestützt auf die Theorien von Frederick Taylor und Henry Ford, wie nie zuvor die Zeit für die Steigerung seiner Warenproduktion aus. Andererseits entsteht durch den Einzug des Fernsehens in die US-Haushalte, die Verdichtung des urbanen Lebens in den Stadtzentren, welche die Schauplätze des Heist-Movies stellen, und den ersten transkontinentalen Flug der Air Force One in unter vier Stunden der Eindruck einer lückenlosen Erschließung der Welt durch den Staat. Das Heist-Movie setzt Disziplin gegen Disziplin: die obligatorischen Insert-Shots auf Taschenuhr und Grundriss beweisen, dass die Crew die verwaltete Welt, ihren Raum und ihre Zeit, mit ihren eigenen Mitteln zu überlisten weiß.
Das Verbrechen wird dabei naturgemäß aus Perspektive der Täter:innen erzählt, während es in der Kriminalgeschichte noch durch die Augen des Detektivs betrachtet wird. Erscheint die Fragilität der staatlich produzierten Realität im Krimi als Bedrohung, wirkt es im Heist-Movie so, als zitierte er unter vorgehaltener Hand den schönen Spruch von Jean-Marie Straub: „Der Kapitalismus besteht darin, die Leute glauben zu machen, wir lebten in der besten aller möglichen Welten. Das ist die perfekte Lüge. Hier kommen wir aufs Kino zurück.“ Vielleicht, nur vielleicht …
Literaturhinweise
American Film Genres. Approaches to a Critical Theory of Popular Film. Von Stuart M. Kaminsky. Pflaum Publishing, Dayton Ohio 1974
The Heist Film. Stealing with Style. Von Daryl Lee. Columbia University Press, New York 2014
Schriften. Von Danièle Huillet, Jean-Marie Straub. Vorwerk 8, Berlin 2020
Über das Siegfried-Kracauer-Stipendium
Das Blog „Disziplin & Kontrolle“ von Leo Geisler über die Wandlungen im Heist-Genre entsteht im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums, das der Verband der deutschen Filmkritik zusammen mit MFG Filmförderung Baden-Württemberg, der Film- und Medienstiftung NRW und der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) jährlich vergibt.
Die einzelnen Beiträge des aktuellen Stipendiums, aber auch viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.