© Argo Film/42film („Blaga’s Lessons“)

Karlovy Vary 2023: „Blaga’s Lessons“

Der Preis der Ökumenischen Jury im tschechischen Karlovy Vary geht an das bulgarisch-deutsche Drama „Blaga’s Lessons“

Veröffentlicht am
22. November 2023
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Der Preis der Ökumenischen Jury beim 57. Internationalen Filmfestival Karlovy Vary (30.6.-8.7.2023) ist an das Drama „Blaga’s Lessons“ des bulgarischen Regisseurs Stephan Komandarev gegangen. Der Film erzählt von einer früheren Lehrerin, deren moralische Grundsätze erschüttert werden, als Betrüger sie um ihr Erspartes bringen.


Zum 57. Mal fand vom 30. Juni bis 8. Juli 2023 das Internationale Filmfestival Karlovy Vary statt. Seit 1994 vergibt auch eine Ökumenische Jury einen Preis auf dem Festival an Filme aus dem Wettbewerb, die sich neben hoher künstlerischer Qualität auch dadurch auszeichnen, dass sie soziale, politische, ethische und spirituelle Werte thematisieren.

2023 ging der Preis der Ökumenischen Jury an den bulgarischen Regisseur Stephan Komandarev und sein Drama „Blaga’s Lessons“. Darin steht eine 70-jährige Frau im Mittelpunkt, die früher Lehrerin war, seit kurzem verwitwet ist und über Bulgarisch-Stunden ein wenig Geld verdient, um einen Grabstein für ihren verstorbenen Mann bezahlen zu können. Doch dann bringen Telefonbetrüger sie um ihr Erspartes. Bei Blaga erzeugt das nicht nur Schamgefühle, weil sie sich hat übers Ohr hauen lassen, sie wirft auch ihre festen moralischen Grundsätze über Bord.

Die dreiköpfige Ökumenische Jury begründet ihre Entscheidung wie folgt: „Nicht genug damit, dass eine 70-jährige Witwe ihr Geld sprichwörtlich über den Balkon Betrügern in die Hände wirft, die sie telefonisch unter Druck gesetzt haben. Der Frau fehlt nun auch das dringend benötigte Geld, um das Grabmal für ihren jüngst verstorbenen Ehemann und sich selbst zu finanzieren. Sie, die ihr Leben lang hart gekämpft hat, lässt dieses Ziel nicht aus den Augen und wird dabei selbst zur Täterin: In krimineller Weise fügt sie anderen zu, was sie erlebt hat. Bis zur allerletzten Minute des Films glauben wir Zuschauer_innen, dass die Protagonistin einen kathartischen Moment erlebt und ihre Taten bereut. Doch Blaga bleibt ihren starken Überzeugungen treu und scheint keine andere Wahl zu haben als unmoralisch zu handeln. Im Schicksal jener Frau spiegelt sich die Not vor allem alter Menschen im postkommunistischen bzw. marktwirtschaftlich-kapitalistischen Bulgarien, die zwischen Überlebenskampf, Korruption und Ausbeutung oft nicht mehr wissen, auf wen sie sich verlassen können. Gesteigert wird dies durch eine religiös motivierte Angst um das Seelenheil ihres Mannes. Dieser Film überzeugt die Jury, weil er das Verhältnis von individueller Verantwortung und gesellschaftlichen Normen mit einer Eindringlichkeit erzählt, die es uns schwer macht, der herausragend von Eli Skorcheva verkörperten Protagonistin Sympathie entgegenzubringen, und uns dennoch dazu bringt zu fragen, ob wir genau wie sie handeln würden.“

Citizen Saint (© Studio Artizm)
Citizen Saint (© Studio Artizm)

Außerdem vergab die Ökumenische Jury eine Lobende Erwähnung an die satirische Parabel „Mokalake Tsmindani“ (Citizen Saint) der georgischen Regisseurin Tinatin Kajrishvili. Diese begründete die Jury so: „Ein Dorf in einer kargen georgischen Bergbau-Region betet eine reichlich verwitterte Heiligenfigur an. Plötzlich scheint diese lebendig geworden zu sein. Wunder geschehen, Lahme gehen, verschollene Bergleute erscheinen ihren Angehörigen und jede_r bibelfeste Zuschauer_in glaubt, all das schon einmal gesehen oder gehört zu haben. Doch dieser Film ist nicht einfach eine Nacherzählung des Neuen Testaments. Vielmehr wirft er eine wesentliche und durchaus selbstkritisch gemeinte Frage christlicher Religion neu auf: Warum beten wir das Tote, Unbewegliche, Austauschbare an statt das Lebendige? Wollen wir leben oder überleben? Dafür und für seine außergewöhnliche visuelle, ästhetische und musikalische Gestaltung vergibt die Ökumenische Jury eine Lobende Erwähnung an ‚Citizen Saint‘ von Tinatin Kajrishvili.“

Die Ökumenische Jury in Karlovy Vary setzte sich dieses Jahr aus Hermann Kocher, Hana Ducho und Anna Grebe zusammen.

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