Hans Helmut Prinzler war ein leidenschaftlicher Filmvermittler, der ein Leben lang mit großer Hingabe und kluger Besonnenheit für den deutschen Film gestritten hat. Als Studienleiter der dffb, als Referent und Leiter der Deutschen Kinemathek, aber auch als Publizist, Kurator und Rundfunkrat verstand er es, das Beste aus den jeweiligen Institutionen herauszuholen. Im Alter von 84 Jahren ist er nach kurzer schwerer Krankheit am 18. Juni in Berlin gestorben.
Hans Helmut Prinzler (23.9.1938-18.6.2023) hat vieles
gemacht, wenn es um Film ging, und alles immer mit zuverlässiger Leidenschaft. Er
war Leiter der Deutschen Kinemathek, hat die Retrospektive der „Berlinale“
verantwortet, er hat Bücher geschrieben, war Direktor der Sektion Film und
Medienkunst der Akademie der Künste, Vorsitzender des Rundfunkrats
Berlin-Brandenburg, wo er die Belange der Kultur vertrat. Zusammen mit Michael Althen hat
er einen Film über
den deutschen Film gedreht, „Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte“. In den letzten
Jahren betrieb er eine Homepage,
in der es um Filmliteratur ging. Er rezensierte Bücher und brachte diese danach
in die Bibliothek der Kinemathek, die seinen Namen trägt. Man kann das alles bei
Wikipedia nachlesen. Film – Prinzler - Berlin, ein über lange Jahre bekanntes Dreieck.
Ich habe viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet, als Mitglied des Rundfunkrates und stellvertretende Direktorin der Filmsektion, in der wir dann die Funktionen tauschten. Aber ich lernte ihn relativ spät kennen, erst nach der heroischen Phase der Filmbegeisterung in den 1970er- und 1980er-Jahren. Alle Schilderungen der wilden Feste und Zusammenkünfte mit ihm und seiner Frau Antje Goldau kenne ich nur aus Erzählungen. Ich gehörte damals zu der Generation von Frauen, die in der Geschichte des Films zum ersten Mal als Filmemacherinnen in Erscheinung traten. Wir wurden zum Teil mit Neugier, zum Teil mit unverhohlener Abneigung betrachtet.
Ein undogmatisches Filmverständnis
Mit Prinzlers undogmatischem Filmverständnis, das auch den eher populären deutschen Film umfasste, konnten wir nicht viel anfangen. Hier kam bei ihm der Historiker durch, für den auch in einem misslungenen Werk etwas über den Zustand der Gesellschaft und ihr Kunstverständnis zu erfahren ist. Wir kämpften gegen die klassischen Blickstrategien, wie Laura Mulvey sie am Hollywoodfilm seziert hatte. Hier fanden wir die Rechtfertigung für unser Unbehagen an den Frauenbildern und den Erzählungen von weiblichen Schicksalen und Rollenmustern, die wir im Kino sahen. Natürlich war Mulveys Überzeugung, dass eine Möglichkeit für filmende Frauen nur im experimentellen Film zu finden sei, eine starke Begrenzung. Aber jede neue Bewegung hat ja immer etwas Übertriebenes, um sich der Berechtigung ihrer Existenz zu versichern. Die Filmemacherinnen, die Geschichten erzählen wollten, machten sich auf ihren dornigen Weg, für den es keine Vorbilder gab – und ganz sicherlich nicht im populären deutschen Film.
Prinzlers undogmatischer Ansatz kam uns aber auch zugute. Schon früh, als andere noch eher zögerten, hat er den Beitrag der Frauen zum deutschen Film gesehen. Er gehörte zu den ersten, die merkten, dass hier etwas aufregend Neues geschah. Als er zusammen mit Norbert Grob und Eric Rentschler bei Reclam den Band über „Neuer deutscher Film“ herausbrachte, bat er Helma Sanders-Brahms und mich, jeweils über den Film der Kollegin zu schreiben. Und so konnten wir die ungute Konkurrenz auflösen, die durch die Rezeption unserer Filme entstanden war, die auf der „Berlinale“ gegeneinander in Stellung gebracht worden waren. Auch wenn es in der Sektion der Akademie um Stipendien oder Neuaufnahmen ging, schlug er immer wieder Frauen vor, die er schätzte. Er tat dies nicht aus einem konfusen Wohlwollen, er hatte ihre Werke gesehen! Er war ein neugieriger und verlässlicher Freund.
Er war kein Apparatschik
Prinzler hatte das große Talent, in Institutionen arbeiten zu
können, ohne zum Apparatschik oder Funktionär zu werden. Er verstand die
Funktionsweise von Organisationen und wusste, wie man das Beste aus ihnen
herausholt. Und er hat sich auch nicht vor Aufgaben gedrückt, die mit viel
Arbeit und wenig Ruhm verbunden waren. Als er schon eine erfolgreiche Karriere hinter
sich hatte, ließ er sich in die Pflicht nehmen und hat sich als Vorsitzender
des Rundfunkrates in eine für den Sender notwendige, aber enorm kleinteilige
und mühselige Evaluation eingearbeitet. Alle Mitglieder des Rundfunkrates
konnten nur bewundern, mit welcher Besonnenheit er auf hochschießende
Empörungen reagierte, auf die Neigung, Meckerei für Kritik zu halten. Er führte
Diskussionen, die sich verfranzt hatten, immer wieder auf ihren Kern zurück.
Davon profitierte auch die gesamte Akademie. Als ich schon längst das Amt der Direktorin von ihm übernommen hatte, rief Klaus Staeck, der damalige Präsident der Akademie, bei den fälligen „Berichten aus den Sektionen“ immer noch „Prinzler“ auf, wenn als letzte der Sektionen unsere an der Reihe war. Andere machten ihn peinlich berührt darauf aufmerksam, dass Prinzler dieses Amt gar nicht mehr innehatte, und sahen mich entschuldigend an. Prinzler und ich lachten. Unsere Arbeitsteilung war: er war der Ausgleichende, ich machte die notwendigen Attacken.
Unser letztes Gespräch war vor ungefähr einem Jahr. Er hatte sich in den vergangenen Jahren eher zurückgezogen, pflegte sein Privatleben als Kulturkonsument und betrieb die Website über Filmliteratur. Es ging ihm gut und er erzählte viel davon, wie aktiv er das Berliner Kulturleben genoss. Er riet mir zu ähnlichem. Aber ich war noch mit vielen Projekten beschäftigt und sagte ihm, ich müsse noch lange arbeiten und sehr alt werden; junge Männer trügen das Wort „Genie“ wie ein Branding mit sich herum, während Frauen 100 Jahre alt werden müssten, damit sie mit ihren Werken anerkannt würden. Er lachte. Aber er sagte: „Euer Beitrag zum deutschen Film ist nicht genug gewürdigt worden.“
Wer evaluiert die Evaluierer?
Er verfolgte meine Bemühungen, die Rolle dieser Generation von Filmemacherinen dem Vergessen zu entreißen, mit viel Sympathie, denn sein Interesse, unter welchen materiellen, sozialen und kulturellen Bedingungen welche Filme entstehen können, hatte nie nachgelassen. Ich erzählte ihm von einem Gespräch, dass ich in der Filmförderanstalt (FFA) hatte. Es ging darum, dass es nicht reicht, den jeweiligen Verbänden die Auswahl der Mitglieder für die Kommissionen zu überlassen. Dieser Ansatz, der noch aus den Zeiten von Oberhausen stammt, ist durch die Explosion der Medien, wie wir sie heute erleben, kontraproduktiv geworden. In der Branche spricht man von den Entscheidungen der Kommissionen ironisch als von der „Ziehung der Lottozahlen“.
Aber im Gegensatz zur Kontingenz des Glücks werden mit diesen Entscheidungen Rechnungen beglichen und Netzwerke bedient und Urteile gefällt, die selten begründet werden können. Mir schien und scheint die Auswahl der Evaluierer ein ebenso wichtiges Problem zu sein wie das einer effektiveren Organisation der finanziellen Mittel. Mit dem Geld wird über Lebensperspektiven und Lebenszeit von Menschen entschieden. Die Frage ist: Wie evaluiert man die Evaluierer? Es gibt in diesem Land viele kluge Menschen, aber sie sitzen zu selten da, wo Entscheidungen gefällt werden. Prinzler gehörte zu den wenigen. Er sah das Problem und versprach, darüber nachzudenken. Aber er musste wieder Bücher in der Bibliothek abliefern, die seinen Namen trägt, und ich kam nicht mehr dazu, mit ihm noch vieles andere, das mir auf der Seele lag, zu besprechen.
Kriterien für gute Filme
Was ich jetzt schreibe, ist meine freie Fantasie, aber nicht
losgelöst von den Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht habe. Denn auch er war
mit seinem filmhistorischen Wissen beunruhigt über die verwirrte Situation des
deutschen Films. Könnte ich jetzt mit ihm reden, würde ich ihm die Aussage
einer Drehbuchautorin zitieren, dass Kinofilme zu machen heute in Deutschland
eher ein Hobby ist. Geld wird nur noch im Bereich der Serienproduktion
verdient. Er stimmte mit mir überein in der Einschätzung, dass es in
Deutschland sehr viel Geld gibt, sehr viel gutes Talent, aber viel Ahnungslosigkeit
(er sagte sogar „Ignoranz“ und vergaß für einen Moment die Prinzlersche Ausgewogenheit)
in der Frage, was ein guter Film sei. Die Beschleunigung von Bilderwelten hat
zu einer Entwertung von ästhetischer Wahrheit geführt. Wir hatten einmal über
die These gesprochen, dass aus dem Krach des Sichtbaren lediglich die
ökonomische, ästhetische und politische Desinformation Profit schlägt.
Nichts deutete für mich darauf hin, dass er krank sei. Die Nachricht von seinem Tod brachte mich aus der Fassung. Er war nicht nur film-, sondern auch welterfahren, ein Menschenfreund und ein Freund der Frauen. Jeder, der stirbt, hinterlässt eine Lücke. Die Lücke, die sein Tod hinterlässt, ist im Moment besonders fühlbar, weil wir eine grundsätzliche Diskussion brauchen, in welche Richtung sich der deutsche Film entwickelt mit all seinen großartigen Talenten, mit denen er so wenig anzufangen weiß. Wir können von Prinzler lernen, dass Toleranz nicht Beliebigkeit bedeutet, weil das Wirkliche eh schon das Vernünftige ist. Er hat gezeigt, dass es im Gegenteil eine Verpflichtung ist, den Blick zu schärfen für die Eigenarten in der Vielfältigkeit; weil wir erst dann in der Lage sind, Urteile zu fällen. Begründete Urteile. Das ist viel Arbeit.
Ein Gentleman des Films hat uns verlassen. Die Leiterin der Abteilung Film- und Medienkunst der Akademie schrieb mir zu seinem Tod: „Ich hoffe, er ist jetzt im Kinohimmel“. Dort wird er auf die Freunde treffen, die ihm wirklich etwas bedeuteten.