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Herzschlag des Kinos

Ein Gespräch über dezentrale Filmbildungsarbeit

Veröffentlicht am
20. Juni 2023
Diskussion

Vom 5. bis 7. Juni 2023 findet der Kongress „Vision Kino 23“ statt. Dabei geht es um Herausforderungen, Fragen und Ziele der Filmbildung, die nach wie vor kaum öffentliche Wahrnehmung genießt. In einem Gespräch mit drei Vertretern von Filmbildungsstätten beschreiben diese ihre Arbeitsrealitäten. Zugleich verraten sie einen klaren Blick auf das, was eigentlich nötig wäre, um Film fest in Bildungskonzepten zu verankern.


Vom 5. bis zum 7. Juni 2023 wird in Hamburg der Kongress „Vision Kino 23“ abgehalten. Es gehe darum, so beschreibt es der Veranstalter, aus der „Vergangenheit und Gegenwart der Filmbildung aktuelle Herausforderungen und Fragestellungen, Wünsche und Ziele zu formulieren“. Ob dazu auch gehört, dass man dringend hinterfragen muss, ob diese über Vision Kino zentralisierte Filmbildungsstruktur für Deutschland überhaupt sinnvoll ist und welche Rahmenbedingungen es eigentlich bräuchte, muss bezweifelt werden. Denn die so wichtige, aber oftmals vom öffentlichen Diskurs ignorierte Arbeit der Filmbildungsstätten findet in höchst prekären, kleinteiligen, regionalen Kontexten statt. Statt auf den nachhaltigen Aufbau von Strukturen, die vor allem junge Menschen an das Kino und eine am Kino geschulte Art der Wahrnehmung und des Diskurses heranführen, setzt man oftmals auf Projekte, deren Erfolg nach Quantität statt Qualität bemessen wird.

Zudem genießt die Filmbildung, auch wenn leicht zu erkennen wäre, dass sie mehr bedeutet als die hundertste Besprechung eines Films aus Cannes, kaum öffentliche Wahrnehmung. Es ist daher ein Anliegen, zumindest einige von denen zu hören, die sich täglich für die Filmbildung und damit auch für die Zukunft des Kinos in Deutschland abarbeiten. Ihre Berichte und Argumente mögen wie ein Hilfeschrei wirken, und gewissermaßen sind sie das auch. Aber sie offenbaren auch eine große Expertise und einen klaren Blick auf das, was eigentlich nötig wäre, um Film fest in kulturellen Bildungskonzepten zu verankern und daraus einen unbestreitbaren Mehrwert für die Gesellschaft zu gewinnen.

Es folgt ein Gespräch mit drei Vertretern eines größeren, aber überschaubaren Netzes an Filmbildungsstätten in Deutschland. Nina Selig (endstation.kino Bochum), Malve Lippmann (SinemaTranstopia/bi’bak) und Marc Teuscher (Kinemathek Karlsruhe) teilen ihre auch von anderen Institutionen geteilten Ansichten und beschreiben ihre Arbeitsrealitäten und warum diese so kaum tragbar sind.


Filmbildung ist ein sehr weites Feld, aber eines, in das zu viele Menschen außerhalb und innerhalb der Filmbranche sehr wenig Einblick haben. Könnt ihr deshalb zu Beginn kurz umreißen, wie eure Arbeit beziehungsweise die eurer Institutionen aussieht?

Marc Teuscher: Was wir machen und was wir noch nicht machen, aber gerne tun würden, das geht bei uns Hand in Hand. Das hängt ein bisschen mit Corona zusammen, aber auch mit einer schlechten strukturellen Ausstattung. Was es bei uns an der Kinemathek Karlsruhe seit jeher gibt, das sind Schulkinoveranstaltungen. Dabei holen wir in enger Zusammenarbeit mit Lehrer:innen die Schüler:innen in die Kinos. Wir haben auch Projekte, bei denen wir in die Schulen gehen und dort mit den Schüler:innen Filme machen. Es gibt Kinderkino, inzwischen für Kinder ab drei Jahren. Dann gibt es recht frisch ein Filmseminar für Lehrer:innen bei uns im Kino. Außerdem gibt es insgesamt sechs Festivals, bei denen auch Filmbildung und Filmvermittlung für Erwachsene stattfinden. Das wird immer wieder vergessen, dass Filmbildung die Erwachsenenbildung miteinschließt. Wir haben zum Beispiel ein schönes Projekt mit Rentner:innen, in dem wir künstlerische Filme zeigen. Außerdem sind wir in der Kulturpolitik tätig. Zum Beispiel produzieren wir einen Radiopodcast zum Thema Filmbildung. Uns gibt es seit fast 50 Jahren, und die meisten Projekte entstehen in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen – das sind über 70 Kooperationspartner:innen in der Stadtgesellschaft. Das ist ganz immens und sehr arbeitsintensiv, und trotzdem hängen die einzelnen Projekte letztlich immer an Einzelpersonen. Das heißt, es gibt eine Mitarbeiterin eines Jugendhauses oder eine engagierte Bürgerin, die das Kino mag, und deshalb kommt etwas zustande und so weiter. Das ist ein sehr wackeliges Konstrukt.


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Nina Selig: Ja, das ist bei uns ganz ähnlich und doch auch anders. Wir sind das endstation.kino in Bochum, und eigentlich sind wir ein ganz normales Kino, das heißt wir sind nicht kommunal und müssen kommerziell funktionieren. Neben der regulären Abendschiene, in der wir auch Filmgespräche machen, haben wir viele Projekte im Bereich der Filmbildung. Das beginnt bei den Kleinen ab vier Jahren, mit denen wir unter anderem seit vier Jahren den MiniFilmclub gestalten. Das ist ein Konzept des DFF in Frankfurt und wir waren die ersten, die das unter Kinobedingungen ausgeführt haben. Dann haben wir das Familienkino, bei dem wir Familien einladen, mit jüngeren Kindern zu kommen, um sich Kurzfilme anzuschauen und dann zusammen im Foyer eine Kreativeinheit zu machen. Dann laden wir Grundschüler:innen ein, um an zwei Terminen den Kulturort Kino kennenzulernen und auch mit analogem Filmmaterial in Berührung zu kommen. Einmal im Jahr bieten wir einen Ferienworkshop für 10- bis 14-Jährige an, die selber Filme machen. Dann erproben wir in einem Projekt die inklusive Filmvermittlung. Das richtet sich an Filmvermittler:innen. Gerade zum Beispiel haben wir eine Einheit mit Kindern von der Förderschule. Ein anderes Projekt ist ein Festival, das von Jugendlichen organisiert und durchgeführt wird. All das läuft auch über viele regionale Kooperationen, die über Jahre wachsen.

Malve Lippmann: Wir sind mit dem SİNEMA TRANSTOPIA von bi’bak im Vergleich zu euch noch ein junger Kinoraum. Wir haben 2020 eröffnet und sind im Januar 2023 in einen neuen Raum in den Wedding umgezogen, in dem wir jetzt mit 78 Plätzen ziemlich ideale analoge und digitale Vorführbedingungen haben. Unser Programm besteht aus kuratierten Filmreihen, die den eurozentristischen Blick durch transnationale, (post-)migrantische und postkoloniale Perspektiven herausfordern. Jeden Abend gibt es einen anderen Film und danach ein Filmgespräch, das durch die jeweilige Kuratorin oder den jeweiligen Kurator eingeführt wird. SİNEMA TRANSTOPIA untersucht das Kino als sozialen Diskursraum, als Ort des Austauschs und der Solidarität. Filmvermittlung steht dabei im Zentrum unserer Tätigkeiten, und das impliziert junges Publikum, Studierende und Erwachsene. Wir denken filmästhetische, filmhistorische, rezeptive und praktische Zugänge zusammen. Da gibt es dann auch Workshops wie beispielsweise 8mm-Filmentwicklung oder einen Kurs, bei dem analoge Hollywoodtrailer zerschnitten, bearbeitet und neu kombiniert wurden. Da geht es darum, dass man überhaupt mal sieht, aus was eigentlich so ein Film besteht, wie Bewegtbild funktioniert, wie eine Projektion arbeitet. Ich denke, für das Kino als Ort ist es auch eine Aufgabe, das erfahrbar zu machen und es auch zu thematisieren, theoretisch und praktisch. Einen Film-Workshop hat die Kurator:in Sarnt Utamachote zum Beispiel als geschlossenen Safe-Space nur für queere BIPoC (=Black, Indigenous and People of Color) konzipiert und angeboten. Ich finde in jedem Falle wichtig, dass diese Formate alle im Kino stattfinden. In unserem Schulprogramm zeigen wir Filme zur Migrationsgeschichte. Kino kann ein wichtiger Ort gesellschaftlicher Öffentlichkeit sein, an dem filmhistorische Arbeit auch zur erinnerungskulturellen Arbeit wird, indem wir Perspektiven zugänglich machen, die sonst oft vernachlässigt werden. Daher ist uns wichtig, dass immer unabhängig von kommerziellen Notwendigkeiten programmiert werden kann.

Nina Selig: Ich beneide euch sehr darum.

Malve Lippmann: Ja, das versuchen wir als eine Art Modellprojekt aufzustellen, leider im Moment noch mit einem unglaublichen Arbeitsaufwand und vergleichsweise geringen Mitteln. Wir wollen zeigen: So könnte das aussehen, wenn es eine geförderte Struktur gäbe. Es gibt diese Förderung, aber weder für die Filmbildung noch für das Kino als kulturelle Praxis. Wir wollen in unserem Kino einen Diskursraum schaffen, der gleichzeitig Identifikationsraum für Menschen ganz verschiedener Herkünfte ist, in dem keine blöden Fragen gestellt werden und in dem Opacity möglich ist.

Nina Selig: Wir merken gerade ganz stark, wie wichtig es ist, mit Communitys zu arbeiten. Ich denke, dass das die Zukunft des Kinos ist. Da geht es um Fragen der Repräsentanz. Wir haben hier zum Beispiel eine Reihe zum kurdischen Kino, und die läuft super. Diese Sachen laufen bei uns, aber sie widersprechen eigentlich der kommerziellen Verleihstruktur, und wenn man, wie wir, beides bedienen muss, dann kommt man ein bisschen in Teufels Küche.

Marc Teuscher: Wir sind vielleicht so ein bisschen zwischen SİNEMA TRANSTOPIA und dem endstation.kino. Wir sind ein öffentlich gefördertes Filmkunsthaus, ein gemeinnütziger Verein, und das wird auch angenommen in der Stadt. Das mit den Communitys hat bei uns Tradition, wir werden oft von den jeweiligen Communitys angesprochen, die bei uns etwas machen möchten. Trotzdem merken wir, das ist vielleicht anders in Berlin oder auch in Bochum, dass die Communitys bei uns sehr geschlossen sind. Organisieren zum Beispiel kurdische oder iranische Menschen bei uns eine Filmvorführung, dann kommen Menschen aus anderen Communitys nicht dazu, obwohl es manchmal genau um das gleiche Thema geht. Und die Deutschen kommen dann oft auch nicht. Mir fehlt da oft das Übergreifende. In Berlin ist das sicher anders, weil das eine viel diversere, offenere Stadt ist. SİNEMA TRANSTOPIA begeistert mich sehr, und ihr könnt da Sachen machen, die hier in Karlsruhe nicht gehen. Zum Beispiel Filme mit englischen Untertiteln zeigen, das ist in Karlsruhe schlicht nicht möglich. Die Menschen nehmen das nicht an, brauchen deutsche Fassungen. Und die Menschen kommen zu SİNEMA TRANSTOPIA dezidiert, um zu diskutieren. Wir bieten diesen Diskursraum durch Filmgespräche auch an, aber das ist ganz schwierig bei uns. Da gibt es große Unterschiede.

Malve Lippmann: Unser Ansatz ist es, nicht in nationalen Grenzen zu programmieren, also keine „türkische“ oder „kurdische“ Filmreihe zu machen, sondern transnationale Bindungen und Verbindungen in den Programmen zu spiegeln. Diese Verbindungen laufen hier in der Diaspora zusammen und Diskurse überlagern sich da auch. Die Erfahrungen von Menschen in Deutschland, die von woanders kommen, decken sich oft.

Die Fragen, über die ihr jetzt sprecht, stellen sich natürlich auch, wenn man ein „normales“ Kino oder eine Kinemathek betreibt. Ich würde daher noch weiter definieren wollen, um was es bei der Filmbildung eigentlich geht. Würdet ihr zum Beispiel einen Unterschied zwischen Filmvermittlung und Filmbildung sehen, und wie sieht der aus?

Marc Teuscher: Wir benutzen immer gern beide Begriffe, Filmbildung und Filmvermittlung. Bildung an sich ist schon ein sehr weit gefächerter Begriff. Für uns gehört da auf jeden Fall die Selbsterfahrung dazu. Das heißt, wir müssen die Situation schaffen für eine Begegnung zwischen Film und Menschen. Damit ist nicht ein Event gemeint, zu dem möglichst viele Leute kommen sollen, wie das von den zentralen Organen, die sich scheinbar mit Filmbildung beschäftigen, aufgefasst wird, sondern das Ganze drumherum.

Nina Selig: Ich glaube, was wir alle drei gemeinsam haben, ist, dass wir kulturelle Filmbildung betreiben. Das Wort „kulturell“ gehört bei uns dazu. Und kulturelle Filmbildung grenzt sich von Filmvermittlung ab.

Malve Lippmann: Wir legen alle Wert auf die kulturelle und ästhetische Filmbildung, die sowohl historische Perspektiven betont als auch praktische Zugänge ermöglicht. Wichtig ist, dass das alles im Kino stattfindet. Das Kinomachen als kulturelle Praxis soll starkgemacht werden. Wir wollen einen Lern- und Begegnungsort um den Film etablieren. Und ich denke, da kann auch eine Zukunft des Kinos, das ja ein physischer Ort ist, liegen.

Nina Selig: Bei uns spielt das analoge Material eine große Rolle und ein Film ist für uns oft Anlass, um den Kulturort Kino als Ganzes zu verstehen. Oder eben ein Auslöser, um selbst gemeinsam kreativ zu werden. Es geht da um eine gleichzeitige Durchdringung von Haus und Medium, die Überwältigung des Ortes.

Also auch Film dezidiert abgegrenzt von Bewegtbild und Streaming und dergleichen?

Nina Selig: Wir wollen die Kinder und Erwachsenen für unseren Ort begeistern. Es geht auch darum, sie aus den privaten Räumen rauszuholen und an einem gemeinsamen Ort zusammenzubringen. Kürzlich haben wir mit Kindern im MiniFilmclub Interviews geführt und da hieß es so schön: „Die Sitze sind weich, und im Bauch habe ich ein schönes, kribbeliges Gefühl.“

Marc Teuscher: Das Kino als Ort ist ein Konzentrationsraum. Da kann man sich ganz anders mit Inhalten auseinandersetzen. Es geht hier auch um Geschmacksbildung, und dafür muss man sich mit Dingen auseinandersetzen, die man nicht kennt. Wenn man die ganze Zeit in einer Echokammer sitzt und nur das sieht, was man ohnehin kennt, so nach dem McDonalds-Prinzip der Erwartungssicherheit, dann lerne ich nichts. Gleichzeitig ist die Filmgeschichte ganz wichtig. Es gibt diesen Spruch: Wenn ich die Vergangenheit nicht kenne, kann ich die Gegenwart und Zukunft nicht gestalten. Und trotzdem stoßen wir da immer auf Hindernisse mit historischen Programmen. Das müsste man sich mal in der Musik oder beim Theater vorstellen. Wenn da jemand sagen würde: Was will man mit Mozart heute noch? Das ist undenkbar.

Ich mag den Gedanken, dass ihr praktische Arbeit mit Film zusammendenkt mit den Diskursen und der Rezeption. Trotzdem fühle ich in mir so einen kleinen Widerspruch aufkeimen, der sich fragt, ob es nicht reicht, einen Film zu sehen?

Nina Selig: Es ist so, dass das Filmeschauen und Filmemachen manchmal unterschiedliche Leute anspricht. Ich denke, dass es sehr interessant ist für die Kinder, die verschiedenen Gewerke zu durchdringen. Dabei lernt man natürlich auch über Machtstrukturen, also wer die Geschichte erzählt und so weiter. So erlernen sie Techniken, um sich Gehör zu verschaffen, und das finde ich total wichtig. Ich glaube, dass man das Filmeschauen und Filmemachen hier nicht so gegeneinanderstellen muss. Ich bin froh um alle, die wir abholen.

Marc Teuscher: Im Musikunterricht würde auch niemand hinterfragen, ob man selbst mal in eine Flöte geblasen oder schon mal eine Gitarre in der Hand gehalten haben soll. Das ist doch selbstverständlich. Es sollte schon längst Teil des Kunstunterrichts an Schulen sein, dort einen Film zu machen. So könnte man übrigens auch reflektieren, wie diese ganzen Bilder entstehen, die uns jeden Tag umgeben. Dass man lernt, eine kleine Narration zu gestalten und was es bedeutet, drei Bilder aneinanderzuschneiden. Das wäre essentiell.

Malve Lippmann: Bei uns sind dann noch Aspekte wie Migrations- oder Gastarbeiter:innengeschichte wichtig. Die spielen ja in der Schulbildung überhaupt keine Rolle und das, obwohl wir in Deutschland so viele Kinder haben, deren Eltern irgendwann in dieses Land gekommen sind. Es ist unsere Aufgabe, deutsche Filmgeschichte um weitere Perspektiven zu bereichern.

Marc Teuscher: Filmgeschichte zu hinterfragen, ist ein ganz essentieller Bestandteil unserer Arbeit. Und da kommen dann immer wieder auch kommerzielle Aspekte mit hinein, die das erschweren. Wenn wir nämlich Digitalisate oder Kopien aus den Archiven bestellen, stehen wir vor horrenden Kosten. Wir zahlen oft nicht nur für die Kopie, sondern auch für die Rechte an der Synchronfassung oder den Untertiteln. Das führt dann dazu, dass wir leider auch für Kinderprogramme Geld verlangen müssen. Und trotzdem spielen wir das Geld dann nicht mehr ein. So kann natürlich keine sinnvolle Filmbildung stattfinden.

Nina Selig: Gleichzeitig stoßen wir auch auf praktische Probleme, wenn wir beispielsweise mit Inklusions-Formaten arbeiten. Wir haben lange niemand gefunden, der uns sagen konnte, wie das ist, wenn man körperlich eingeschränkt ist und mit analogem Filmmaterial arbeiten soll. Wir haben da in der Kunst-, Theater- und Musikpädagogik Ansätze gesucht, die den Begriff Inklusion benutzt haben, und dort haben wir Menschen gefunden, die unsere Honorarkräfte fortgebildet haben, die dann einen eigenen Ansatz der inklusiven Filmbildungsarbeit entwickelt haben. Das konnten wir nur machen, weil wir eine Prozessförderung erhalten haben. So etwas ist leider die Ausnahme, weil die Förderlogik eigentlich nach fertigen Ideen verlangt. Aber woher hätten wir eine fertige Idee für Inklusion haben sollen? Wir merken ganz stark, wenn wir Möglichkeiten bekommen, Projekte langsam aufzubauen, dass die dann qualitativ viel besser und nachhaltiger funktionieren. Da geht es auch um die Nachhaltigkeit im Aufbau der Beziehungen zu den Orten und Menschen, mit denen man zusammenarbeitet.

Malve Lippmann: Genau. Und da geht es eben jetzt um die Frage, wie man das als Netzwerk stärker machen könnte. Wir arbeiten alle sehr prekär, es geht immer nur um diese Projektarbeit, man hangelt sich nur so von Projekt zu Projekt und muss immer schnell ein Ergebnis liefern. So ist nachhaltige Filmbildung nicht möglich. Und man sollte Filmbildung diversifizieren können, sodass wir Filmvermittler:innen einbeziehen, die verschiedene Hintergründe und Erfahrungen mitbringen. Und da ist es nun mal ganz wichtig, dass man richtig bezahlen kann. Wenn man möchte, dass Filmbildung oder auch Kino und Kultur generell nicht immer nur von einer weißen, privilegierten Bildungsbürgerschicht gemacht werden und auch andere Perspektiven zum Tragen kommen, ist es wichtig, dass richtig bezahlt werden kann.

Marc Teuscher: Und das betrifft alle bundesweit. Selbst Museen in den großen Städten haben keine entfristeten Verträge in dem Bereich der Filmvermittlung. Das führt dazu, dass kaum jemand in diesem Berufsfeld arbeiten möchte, da keine beruflichen Perspektiven bestehen. Wir reden hier über „Projektitis“ und Unterbezahlung. Und da hilft uns eben kein zentrales Organ in Deutschland. Es geht hier um eine ganz wertvolle, kleinteilige Arbeit, die wir leisten. Unser Ziel ist es letztlich, Räume zu schaffen, in denen eine konzentrierte Erfahrung von Filmen, das heißt auch dem Fremden, dem Irritierenden, dem Herausfordernden möglich ist. Dieser Raum existiert nicht in einer kommerziell operierenden, alles in Häppchen zerschneidenden Medienwelt.

Was bräuchte es für euch, damit es besser geht?

Marc Teuscher: So etwas bräuchte Zeit und einen nachhaltigen Aufbau, ich rede hier von zehn bis zwanzig Jahren. Die Menschen in unserer Gesellschaft müssen mit dieser kulturellen Praxis aufwachsen. Meinem Eindruck nach findet das gar nicht statt. In anderen Feldern der Kultur, zum Beispiel bei der Musik oder beim Theater, gibt es eine viel größere Lobby. Da gibt es auch eigenständige Netzwerke für den pädagogischen Bereich. Wir sind dagegen nur ein paar wenige verstreute Orte und wir sind alle über dem Limit mit unseren Kapazitäten. Film taucht beispielsweise in Baden-Württemberg im Bereich der Medienbildung gar nicht mehr auf. Man setzt jetzt alles auf Social Media und Gaming und Datenschutz und Cookies. Kulturelle Bildung spielt nur eine winzige Nebenrolle. In NRW gibt es hierbei ein anderes Bewusstsein. Da sieht man auch nochmal die Unterschiede zwischen den Bundesländern.

Nina Selig: In NRW haben wir das große Glück, dass wir das Netzwerk Filmkultur haben. Dieses Netzwerk hat zusammen mit dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft einen Fördertopf geschaffen. „Filmbildung und Kino“ heißt der. Das ist eine verhältnismäßig luxuriöse Situation. Es geht letztlich darum, dass Filmbildung als kulturelle Bildung anerkannt wird. Dem Kino haftet da noch immer dieser Touch des Kommerziellen an. Das gibt es zweifelsohne, aber es gibt eben auch andere Orte, und das spiegelt sich gar nicht in der Struktur des Kinomarktes und sehr selten in Förderpolitiken wider.

Malve Lippmann: Aber das Beispiel NRW zeigt sehr schön, was da eigentlich möglich ist und was kulturelle Filmbildung leisten kann. Die dort entstandenen Projekte könnten als Modellprojekte nochmal breiter in die Bundesebene getragen werden.

Marc Teuscher: Und kein zentrales Organ hat dabei geholfen. Das war ein dezentrales Engagement von vielen verschiedenen Kräften.

Da würde ich nochmal nachfragen wollen. Könnt ihr ein bisschen weiter ausführen, warum ein zentrales Organ eurer Arbeit nicht zuträglich ist?

Malve Lippmann: Die Bedingungen, in denen wir lokal arbeiten, die Bedürfnisse und Zielgruppen sind einfach sehr unterschiedlich. Und die Expertise, die generiert wird, muss dann im ständigen, dynamischen Austausch zum gegenseitigen Nutzen geteilt werden. Wir haben solche Netzwerke schon, aber eben ohne Struktur. Die braucht es, weil wir das zusätzlich ehrenamtlich nicht leisten können, also zum Beispiel regelmäßige Treffen zu organisieren. Also anders gesagt, wenn da jemand in Berlin sitzt, sich was ausdenkt und das dann auf ganz Deutschland gestreut wird, hilft das nicht.

Marc Teuscher: Ein zentrales Organ in Deutschland kann diese langwierige Arbeit mit lokalen Institutionen und Partner:innen, dieses gegenseitige Aufbauen von Vertrauen nicht leisten. Die nötige Lobbyarbeit muss in den Ländern, Stadt- und Landkreisen geleistet werden. Das geht nicht zentral. Es geht hier nicht darum, wie man möglichst toll Film vermittelt, diese Expertise gibt es bei uns seit mehr oder weniger 50 Jahren. Es geht um die Rahmenbedingungen für solche Strukturen, und die zählt nicht nur in den großen Metropolen wie Hamburg, Berlin oder München. Ja, es gibt zwar ein paar gute zentral organisierte Projekte wie die Schulkinowochen. Aber die markieren letztlich nur einen winzigen Baustein dessen, was eigentlich nötig wäre. Die eigentliche Filmbildungsarbeit muss dezentral geleistet werden.

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