In den 1970er-Jahren sorgte die Italienerin Liliana Cavani mit ihrem Film „Der Nachtportier“ für einen Skandal. Eine Holocaust-Überlebende begegnet darin einem früheren SS-Mann wieder und beginnt mit ihm ein sadomasochistisches Liebesverhältnis. Eine neue Veröffentlichung des Films auf DVD/Blu-ray hebt die damaligen Vorwürfe gegen den Film nicht auf, lässt aber auch dessen künstlerische Qualitäten und sein subversives Potenzial erkennt und glänzt nicht zuletzt durch sachkundiges Bonusmaterial.
Wien 1957: In einem eleganten Hotel trifft die Holocaust-Überlebende Lucia (Charlotte Rampling) zufällig auf ihren Peiniger Max (Dirk Bogarde). Der einstige SS-Mann arbeitet hier als Nachtportier, sie reist in Begleitung ihres US-amerikanischen Gatten an, eines gefeierten Dirigenten. Nach dem anfänglichen Schock nehmen Lucia und Max ihr sadomasochistisches Liebesverhältnis wieder auf, das bereits im KZ bestanden hatte. Für beide wird die Konstellation zunehmend lebensbedrohlich, denn Max wird von seinen früheren Kameraden ebenso beargwöhnt wie die junge Frau, in der sie zurecht eine gefährliche Zeugin ihrer eigenen Untaten vermuten. Nach der Abreise ihres Mannes nach New York bleibt Lucia in Wien, zieht in das Apartment von Max und intensiviert dort die gefährliche Beziehung. Das ungleiche Paar gerät mehr und mehr in eine paranoid-klaustrophobische Affäre, auch ihre Verfolger rücken immer näher. Ein Happy End kann es nicht geben. Aber es gibt noch ein letztes Aufbäumen des Paares.
Als Liliana Cavanis „Nachtportier“ Mitte der 1970er-Jahre in den westeuropäischen Kinos startete, sorgte sein sorgfältig inszeniertes Skandal-Image für volle Häuser. Die damals knapp 30-jährige Charlotte Rampling wurde schlagartig weltberühmt. Was für die einen als triumphaler Erfolg verbucht wurde, bedeutete für viele andere ein großes Ärgernis. Einzelpersonen und Institutionen liefen Sturm, insbesondere gegen den fahrlässigen Umgang mit dem Nationalsozialismus und seiner effekthascherischen Verbindung mit Sexualität. Auch der „film-dienst“ bescheinigte dem Werk, kaum mehr als ein „mit epigonalen Mitteln auf Kunst getrimmter Politporno“ zu sein.
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Die Wiederbegegnung mit dem „Nachtportier“ in Form einer exklusiv ausgestatteten Blu-ray- beziehungsweise DVD-Edition offenbart zunächst eines: die damaligen Kritiker des Films hatten recht. Die in den Rückblenden inszenierte Perspektive auf den Holocaust offenbart eine teilweise kaum erträgliche, weil fast durchweg spekulative Sichtweise. Historische Fakten stimmen weder in den größeren Zusammenhängen noch in den kleinsten Details. Alles wird so zusammengeschustert, wie es sich gerade am effektvollsten anbietet. Der ganze Krieg scheint von einer Handvoll von Sadisten in schönen schwarzen Uniformen einzig zu dem Zweck vom Zaun gebrochen worden zu sein, um sich einen unerschöpflichen Harem von Lustknaben und -mädchen zusammenzustellen. Der Völkermord wird auf diese Weise zur dekadenten Varieté-Nummer mit Gesangs- und Tanzeinlagen.
Der 1957 spielende Handlungsstrang wiederum stellt die einstigen SS-Offiziere als Knallchargen mit Monokel und in Reithosen vor, die unerschütterlich an ihrem Corpsgeist festhalten. Das „Hotel zur Oper“ als zentraler Schauplatz dient zugleich als Hauptquartier dieser an ihrer juristischen Rehabilitierung feilenden Kumpane. Hier arbeitet nicht nur Max an der Rezeption, hier gibt es auch einen Tagungsraum, in dem sich die Herren regelmäßig in einer Art Selbsthilfegruppe ehemaliger SS-Angehöriger zusammenfinden. Sie heißen Klaus, Hans, Bert und Kurt und bilden wechselnde Teams, um gruppentherapeutisch an einer Minimierung ihrer Traumata zu arbeiten. Nebenher werden Beweismittel vernichtet und Zeugen liquidiert. Allerdings beherzigen sie nicht einmal konspirative Mindeststandards, so dass Lucia sie ausführlich belauschen kann.
Wie mag es wohl Betroffenen angesichts eines solchen Herangehens ergangen sein, Holocaust-Überlebenden zum Beispiel? Dank des Schriftstellers Primo Levi (1919-1987), der von Dezember 1943 bis Januar 1945 als jüdischer Widerstandskämpfer Auschwitz eher zufällig überlebte, wissen wir es. Er nannte den „Nachtportier“ einen „zutiefst unwahren und verfälschenden Film über die Identifizierung des Opfers mit dem Henker. (...) Natürlich passierte im Lager alles Mögliche, wirklich alles, aber die Frauen waren keine Sexualobjekte.“ Und: „Henker bleibt Henker, und Opfer bleibt Opfer.“
Die Co-Abhängigkeit zwischen Täter und Opfer
Levi hatte aber trotz seiner persönlichen Betroffenheit auch die Größe, Qualitäten des Films von Liliana Cavani anzuerkennen: „Die Arbeit der Cavani besitzt eine gewisse künstlerische Würde.“ Und an anderer Stelle: „Leider ist es kein schlecht gemachter Film. Technisch gesehen ist er schön. Und er ist mit guten Schauspielern besetzt.“ So stehen die unbestrittenen Qualitäten von Cavanis Klassiker auf einem anderen Blatt, können freilich nicht isoliert gefeiert werden. „Der Nachtportier“ hätte, wäre er etwas früher entstanden, zweifellos in Amos Vogels Standardwerk „Film als subversive Kunst“ Eingang gefunden. Im Kern geht es in Cavanis Film um eine verhängnisvolle, weil unauflösbar verschlungene Co-Abhängigkeit zwischen Täter und Opfer – ein geläufiges psychopathologisches Phänomen, zu dessen Varianten auch das berühmte „Stockholm-Syndrom“ gehört, also die empathische Annäherung des Entführten an den Entführer.
Ähnlich raffiniert ist auch der Film gestrickt: er führt auf falsche Fährten, kehrt Abhängigkeiten und Sympathien ständig um. Zielstrebig unterlaufen Buch, Regie, und Ausstattung die Erwartungshaltungen des Publikums – zumindest die eines an konventionelle Filme gewöhnten Publikums. Denn Cavani greift bewusst auf Darstellungsmethoden beziehungsweise Vereinfachungen des niederschwelligen Unterhaltungs-Kinos zurück, bedient sich am Repertoire des „Bahnhofskinos“, an Schockmomenten und Klischees von Genres also, die dem bürgerlichen Publikum bis dahin wenig bekannt gewesen sein dürften. Der Film überbrückt Kluften zwischen sonst weit auseinanderliegenden Genres auf ausgesprochen elegante Weise. Dies macht den „Nachtportier“ zu einem geradezu hinterhältigen Werk. Dafür wird die in Wien spielende Rahmenhandlung zunächst fast übermäßig konventionell in Szene gesetzt.
Umso größer sitzt dann der Schock bei den ersten Rückblenden ins Konzentrationslager. Denn „besonders traumatisch sind plötzliche und unverhoffte Übergänge von harmlosen zu tabuisierten Bildern.“ (Amos Vogel) Die Schrecken der Vergangenheit rücken im weiteren Verlauf immer näher an die Gegenwart heran, verschmelzen zuletzt mit dieser. Im Schlussbild entfliehen Max und Lucia kurzzeitig ihren Verfolgern, er in seiner alten SS-Uniform, sie in einem Cocktailkleid, das sie im Lager-Varieté getragen haben könnte. Auf einer Donaubrücke werden sie in dieser Kostümierung exekutiert.
Es gibt im „Nachtportier“ zahlreiche originelle und einige ausgesprochen visionäre szenische Ideen. Stets schwingt makabrer Witz mit, so schon im Umstand, dass Max ausgerechnet in einer Wohnung im Wiener Karl-Marx-Hof lebt. Auch das Detail, dass er die Nazi-Uniform gegen die eines Hotelportiers ausgetauscht hat, zeugt von diesem schwarzen Humor, der auf Maxens Opportunismus und den seiner einstigen Spießgesellen anspielt. Auf den Kragenspiegeln waren eben noch die „Sigrunen“ zu sehen, jetzt prangen dort stilisierte Zimmerschlüssel. Später leuchtet Max in der Therapiestunde für den schwulen Ex-SS-Mann Bert (gespielt vom Tanz-Avantgardisten Amedeo Amodio) mit einem Handscheinwerfer die Wohnzimmer-Bühne aus. Bert schwelgt ekstatisch zu den Melodien aus Mozarts „Zauberflöte“. In einem Winkel stehen bizarre Bilder des kanarischen Malers José Martín (1922-1996, er wird gerade in Spanien wiederentdeckt). Dann wird erneut ins KZ überblendet. Auch hier tanzt Bert, zur gleichen Musik, halbnackt, umgeben von Offizieren im vollen SS-Ornat. Selten wurde die verdrängte Homoerotik der Nazis derart pointiert zugespitzt.
Höhepunkt dieser auf dem Grat des guten Geschmacks balancierenden und dabei mehrfach krachend abstürzenden Momente bildet natürlich jene lange Casino-Szene, in deren Verlauf Lucia zu einem Schlager von Marlene Dietrich und Friedrich Hollaender einen lasziven Salomé-Tanz aufführt: „Wenn ich mir was wünschen dürfte...“ Nein, diese Menschen haben keine Wünsche mehr, sie kapitulieren vor der übermächtigen Macht der Vergangenheit. Therapie zwecklos.
Neuausgabe mit lohnenden Bonusmaterial
Die Neuausgabe und die damit gewährte Möglichkeit einer Neubewertung macht vor allem auch durch das Bonusmaterial Sinn. Marcus Stiglegger erklärt in seinem langen Video-Essay „Die Sexualisierung des Nationalsozialismus im Kino“ kompakt und unterhaltsam, aus welchen Quellen die verstörende Ästhetik des Films gespeist wird. Wir erfahren von der langen „Sadiconazista“-Tradition, einer endemisch italienischen Spielart des Exploitation-Kinos, das seinen offensiven oder unterschwellig-spekulativen Schauwert stets aus der Ästhetisierung von Täter-Stereotypen zieht. Schon in „Rom, offene Stadt“ (1945) von Roberto Rossellini, dem ersten italienischen Nachkriegsfilm überhaupt, gab es einen sadistischen SS-Offizier in Fantasie-Uniform, dessen sexuelle Virilität gleichzeitig faszinierend wie abscheulich in Szene gesetzt war. Ausgehend davon wird nachvollziehbar dargelegt, auf welche Weise der „Nazi-Chic“ seinen Einzug in Filmkunst, Mode und Pop-Kultur fand und noch heute dort vielfach nachweisbar ist. Stigleggers erhellender Beitrag wird u.a. eingerahmt von Interviews mit Liliana Cavani, Charlotte Rampling und dem Co-Autor Italo Moscati sowie einer Slideshow des Original-Presseheftes zum bundesdeutschen Kinostart (Tobis, Februar 1975).
Discografischer Hinweis
Der Nachtportier. Italien/Großbritannien 1973. Regie: Liliana Cavani. Mit Charlotte Rampling, Dirk Bogarde. Digital remastered als DVD/BD erschienen bei Weltkino.