Stell dir vor, ein Komet rast auf die Erde zu – und niemand tut etwas. Der Katastrophenfilm „Don’t Look Up“ von Adam McKay entfaltet dieses Szenario als bittere Satire auf die menschliche Handlungsunfähigkeit angesichts globaler Krisen wie etwa dem Klimawandel. Er ist aber nicht nur eine gelungene Kritik der Spätmoderne, sondern hegt überraschenderweise auch Sympathien für Religion.
Es ist eine Abstimmung mit der Fernbedienung. Und sie zwingt die Filmkritiker, den zunächst als „zu platt und vorhersehbar“ kritisierten Katastrophenfilm "Don't Look Up" mit anderen Augen zu sehen. Er befindet sich nämlich seit Wochen – der Start des Films war im Dezember 2021 – unter den "Top Ten" der Netflix-Filme; aktuell wurde das Werk weltweit schon über 270 Millionen Stunden lang gesehen, was es zum drittmeistgesehenen Netflix-Film aller Zeiten macht.
Dass ihn das Publikum so begeistert streamt, liegt wohl nicht nur am Genre des apokalyptischen Science-Fiction- oder „End-of-the-World-Films“, das schon immer viele Menschen begeistert hat, oder am fulminanten Star-Aufgebot des Films, sondern sicherlich auch daran, dass man in den vergangenen zwei Pandemie-Jahren und angesichts der Erderwärmung ein anderes Verhältnis zu globalen Krisen und ihrer gesellschaftlichen Verarbeitung bekommen hat.
Eine Tragödie der Handlungsunfähigkeit
Dass der „Comet“, der in "Don't Look Up" auf die
Erde zurast, ebenso mit C beginnt wie Climate Change und Covid-19, ist kein
Zufall. Denn was bei den politischen Maßnahmen gegen Klimawandel und Corona
nicht so gut sichtbar wird, legt die pessimistische Tragikomödie schonungslos
offen: Spätmoderne komplexe Gesellschaften, die „funktional differenziert“ sind,
wie die Soziologen Niklas Luhmann und Armin Nassehi das nennen, sind kaum in
der Lage, auf unausweichliche Katastrophen adäquat zu reagieren. Damit
trifft der Film den Nerv all derer, die jedes Jahr ungeduldiger auf die
Unfähigkeit der Politik schauen, endlich adäquate Antworten auf die aktuellen
Krisen zu geben.
Doch der Reihe nach. In „Don’t Look Up“? entdeckt die Astronomie-Doktorandin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) einen Kometen im All. Ihr Professor Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio) berechnet in einer köstlichen Parodie auf den aktuellen Wissenschaftsbetrieb dessen Laufbahn und kommt zu dem untrüglichen Ergebnis: Komet „Dibiasky“, wie er bald heißt, rast direkt auf die Erde zu und wird sie in sechs Monaten und 14 Tagen unbewohnbar machen – ein planet-killer also!
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So, wie die Pandemie Virologen aus ihrer
wissenschaftlichen Nische ins Licht der Öffentlichkeit holte, geschieht dies nun
den beiden Astronomen aus dem abgelegenen Michigan. Nicht nur die an „House of Cards“ und eine absurde
Synthese aus Hillary Clinton und Donald
Trump erinnernde Präsidentin Janie Orlean (Meryl Streep), sondern auch die mediale Öffentlichkeit erfährt im Frühstücksfernsehen
von der Katastrophe und nimmt die beiden Wissenschaftler in Beschlag. Sowohl
die Politikerin als auch die Fernsehleute reagieren nach den Logiken ihrer
jeweiligen Systeme. Da die „Midterm-Elections“ kurz bevorstehen und die Präsidentin
wegen eines Skandals in ihrer Partei befürchtet, der nahende Komet könne sich
ungünstig für sie auswirken, entscheidet sie, „Ruhe zu bewahren“ und zu
„sondieren“.
Die Medien, an die sich die beiden verzweifelten Astronomen dann wenden, tragen ebenfalls wenig zur Lösung des Problems bei. Professor Mindy wird zum Sexsymbol stilisiert, während Dibiasky in Internet-Memes als hysterisch denunziert wird; der Komet gerät darüber sogar ins Abseits der Aufmerksamkeit. Die Öffentlichkeit reagiert mit Desinteresse und, als die Wahrheit immer unausweichlicher wird, mit Verleugnung oder (antisemitischen) Verschwörungstheorien.
Ein verstrahlter Kapitalist besiegelt den Untergang
Die dann auf den Plan tretende Figur
des Silicon-Valley-Milliardärs Peter Isherwell (Mark Rylance) spricht
mit Joe Bidens Akzent und Tonfall, ist aber vor allem mit der finanziellen und
politischen Durchschlagskraft eines Bill Gates, Elon Musk oder Jeff
Bezos ausgestattet und verblüfft die maßgeblichen Entscheidungsträger immer
wieder mit quasigöttlichen Aussagen über deren intimste Schwächen. Sogar den Zeitpunkt
und die Art ihres Todes kennt er. Ermöglicht werden ihm diese Prophezeiungen mit
Hilfe seines unbegrenzten und algorithmenbewehrten Zugriffs auf personalisierte
Daten à la Facebook und Instagram.
Ausgestattet mit dieser Machtfülle, kann Isherwell dem gesamten Geschehen die entscheidende Wende geben. Nachdem sich die Präsidentin (erneut aus wahltaktischen Gründen) schließlich doch zu einer erfolgversprechenden Rettungsmission à la „Armageddon“ oder „Deep Impact“ durchgerungen hat, gelingt es Isherwell aus rein wirtschaftlichen Interessen, deren Abbruch und eine Ausbeutung der auf dem Kometen vermuteten Rohstoffe zu erzwingen. Das Motto seiner Firma „life, without the stress of living“ soll also über den Tod des Planeten Erde hinaus gelten.
Spätestens hier entblößt der Film die Schwäche des allmächtigen Kapitalismus wie der spätmodernen, hochdifferenzierten Gesellschaften. Sie alle kennen kein „Außen“ ihres jeweiligen begrenzten Sichtfeldes – eine tragische Blindheit angesichts einer globalen Bedrohung wie dem aus dem All heranrasenden Kometen. Wo eine "ars moriendi" vonnöten wäre, wird "business as usual" gepredigt. Der Titel „Don’t Look Up“ bringt diesen Immanentismus, die Beschränkung des Wahrnehmungshorizonts, in ein treffendes Sprachbild, denn angesichts einer universalen Krise (Komet, Klimawandel, Pandemie) kann nur noch das konsequente und massenhafte Wegschauen und Verdrängen der eigentlichen Herausforderung den modernen Mythos der Lösbarkeit aller Probleme durch „den Markt“, „die Politik“ oder „die Medien“ aufrechterhalten.
Die Menschheit scheitert auf ganzer Linie
Der Film bringt den Zuschauer gleich in
mehrfacher Hinsicht auf Distanz zu solchen Selbstbezüglichkeiten, die der heilige Augustinus schlicht „Sünde“ genannt hätte. Denn alle genannten Personen
sind „incurvatus in se“, also
ganz auf sich selbst und ihre unmittelbaren (System-)Interessen bezogen. Sie verfehlen
den klaren Auftrag, die Erde und damit ihre eigene Existenz zu retten, solange
dies noch möglich ist.
Einerseits zeigt der Film in Manier von Terrence Malicks „Tree of Life“ immer wieder die bunte Vielfalt menschlichen und tierischen Lebens, die Schönheit der Schöpfung, die unwiderruflich verloren zu gehen droht. Andererseits taucht im letzten Drittel eine gesellschaftliche Größe auf, die bis dato bestenfalls als amorphe Masse der Wählerinnen und Wähler benannt wird, aber letztlich als irrelevant, weil durch Markt und Medien steuerbar, erscheint: „Du kannst nicht herumlaufen und den Leuten sagen, die Wahrscheinlichkeit, dass sie sterben werden, sei 100 Prozent!“, ruft die Präsidentin einmal aus. So absurd und entlarvend diese Aussage auch klingt: Für die Mehrzahl ihrer potentiellen Wählerinnen und Wähler hat sie Recht. Die Reste der Mittelschicht lassen sich tatsächlich vom Frühstücksfernsehen und den dort verhandelten Beziehungsdramen einlullen und von eigenen wie globalen Problemen ablenken.
Doch im lezten Drittel des Films taucht die in ihrer Weltrettungsmission gescheiterte, weil von den sozialen Medien als Wahnsinnige stigmatisierte Doktorandin Dibiasky als Supermarktkassiererin in die Welt derjenigen ein, die nichts mehr zu verlieren haben und damit auch als Kunden und Wähler nicht in Frage kommen. Timothée Chalamet gibt Yule, den Anführer dieses anarchistischen Lumpenproletariats, das zwar keinerlei Macht hat, dafür umso mehr Einsicht. Er und seine Freunde erkennen nicht nur die Unausweichlichkeit des Zusammenstoßes, sie ahnen auch, dass die Präsidentin einen unterirdischen Bunker und Isherwell ein Raumschiff besitzt, mit dem die internationale Finanz-Elite der Zerstörung der Erde entkommen könne – „Verschwörungstheorien“, die sich am Ende als nur allzu wahr erweisen. Und noch eines macht den jungen Mann bemerkenswert: Er ist bekennender Christ und beschert dem Film am Ende eines der eindrucksvollsten Gebete der jüngeren Filmgeschichte.
Was bleibt am Ende?
Während also das Rohstoffförder-Experiment made in Silicon Valley wegen fehlender „Peer Reviews“ (ein Plädoyer für das Subsystem Wissenschaft) scheitert, haben die eigentlichen Helden von „Don’t Look Up“ erkannt, was zu tun ist, wenn die Katastrophe unausweichlich geworden ist. Allein der große Depressive Lars von Trier hatte es in „Melancholia“ schon einmal gewagt, das Ende allen (menschlichen) Lebens und dessen rituelle Bearbeitung zu zeigen.
Hier geschieht es filmisch zum zweiten
Mal: Man geht nach Hause, versöhnt sich mit Familie und nächsten Freunden, kocht und isst gemeinsam, lässt die großen Momente des eigenen Lebens an sich
vorbeiziehen und sagt Dank dafür. Da kann es in gut kantischer Manier eben
auch genügen, wenn man wie die beiden Astronomen feststellt: „Wir haben alles
versucht, um die Katastrophe abzuwenden.“
Und nach dem Essen, der Versöhnung und dem Dank wird gebetet. Was aus dem Mund des jungen Evangelikalen Yule ganz selbstverständlich klingt, gleicht doch einem Schlag ins Gesicht des Katastrophenfilm-Genres, das noch in den 1990er-Jahren mit der Inaugurationsrede des US-Präsidenten zu Wiederaufbau und "Pax americana" nach der mit überlegener Technik abgewandten Gefahr zu enden pflegte. „Don’t Look Up“ dagegen lehrt: Wenn es unausweichlich zu Ende geht, versammle Deine Freunde um Dich, breite die Arme aus und sprich: „Allmächtiger Vater, wir bitten Dich um Gnade trotz unserem Stolz, um Vergebung trotz unserer Schuld, um Deine Liebe, dass sie uns tröstet in dieser dunklen Zeit. Wir wollen mit Deinem göttlichen Willen dem, was kommt, mit Mut und offenen Herzen entgegenblicken. Amen.“
Die Religion, genauer: das Gebet, ist als letzter und einziger Diskurs in der Lage, dem Tod, der Radikalisierung der Außenperspektive auf die eigene Existenz, unbeirrt ins Auge zu sehen und die rechten Worte zu finden. Für Vertröstungen, die der Religion gerne vorgeworfen werden, sind diesmal die anderen zuständig.