Als Schauspieler in Schurken-Rollen verdiente er sich den Titel „The man you love to hate“, und auch als Regisseur machte er sich bei den Produzenten mit seinen maßlosen Ansprüchen unbeliebt: Der aus Wien stammende Filmemacher Erich von Stroheim war das „enfant terrible“ im Hollywood der Goldenen Ära. Der Streamingdienst Mubi erinnert im April mit zwei Filmen an ihn: „Foolish Wives“ ist seit 12. April zu sehen; der von ihm begonnene Film „Merry-Go-Round“ folgt am 28. April.
Filmabend bei Norma Desmond zuhause. Ihr Butler Max zieht an einer Strippe, das Ölgemälde an der Wohnzimmerwand verschwindet, eine Kinoleinwand erscheint. Max von Mayerling hat einst Normas Erfolgsfilme inszeniert, jetzt führt er sie bloß noch vor. Ein skeptischer Blick des Majordomus aus der Projektionskabine – zur Hausherrin und ihrem jüngsten Fang Joe Gillis auf dem Sofa, der ihr nächstes Drehbuch schreiben und ihr auch anderweitig die Zeit vertreiben soll –, dann läuft der Film. Norma hält es nicht auf dem Sitz, sie springt auf, in den Projektionsstrahl hinein. Norma Desmond, die tragische Hauptfigur in „Sunset Boulevard“ (1950), lebt in dieser künstlichen Sonne, lebt im Wahn, wieder und bis in alle Ewigkeit ein Hollywoodstar zu sein. Über die Privatleinwand in Billy Wilders Film noir flimmern ein paar Filmsekunden von „Queen Kelly“, dem 1929 abgebrochenen Filmprojekt von Erich von Stroheim. Produzentin und Hauptdarstellerin war Gloria Swanson, die als Norma in „Sunset Boulevard“ ihr Comeback feiern konnte. Für den Regisseur und Schauspieler Stroheim war die Figur des Regisseurs Max von Mayerling eine der letzten Rollen – die „goddamned butler role“, wie er den Part bis zu seinem Tod im Mai 1957 nur noch abschätzig nannte.
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In den Graben zwischen Stumm- und Tonfilmzeit, der sich durch die Story von „Sunset Boulevard“ zieht, fielen viele Karrieren. Die von Swanson wurde immerhin ausgebremst – und ihren späten Erfolg als Norma Desmond konnte die Schauspielerin auch nicht groß ausbauen. Buster Keaton (Kurzauftritt im selben Film) drehte nur wenige Tonfilme, während Charles Chaplin (dessen Tramp von Gloria-Norma parodiert wird) Flexibilität bewies und im Filmgeschäft überlebte. Cecil B. DeMille – der ebenfalls einen Cameo-Auftritt in „Sunset Boulevard“ hat – drehte noch in den 1950ern Kassenschlager.
Gescheitert an maßlosen Ansprüchen
Erich von
Stroheim, der in der Goldenen Ära Hollywoods DeMille an Berühmtheit gleichkam,
scheiterte weniger am Tonfilm denn an seinen maßlosen Ansprüchen. Er schaffte
es von Beginn seiner Regielaufbahn an nicht, seine Ideen mit kommerziellen
Erwägungen in Einklang zu bringen. Stroheim war praktisch durchweg überkreuz
mit seinen Produzenten. Zwischen 1918 und 1933 inszenierte er zehn Filme, und
nur ein einziger (ausgerechnet der heute komplett unauffindbare „The Devil’s
Passkey“ von 1919) lief in der von Stroheim geplanten Form in den Kinos.
Auch sein wohl bedeutendster Film, „Greed“ („Gier nach Geld“, 1924), ging als Torso in die Filmgeschichte ein. Im Rohschnitt war „Greed“ zehn Stunden lang. Stroheim kürzte auf die Hälfte, was dem Studio nicht genügte. Am Ende kam eine 140-Minuten-Version, an deren Schnitt Stroheim nicht beteiligt war, in die Kinos. Der Regisseur war am Boden zerstört. Seine Nemesis hieß Louis B. Mayer, der während der Dreharbeiten von „Greed“ Produktionschef des zu Metro Goldwyn Mayer Pictures (MGM) fusionierten Studios geworden war und den Film am liebsten ganz eingestampft hätte. Noch weniger als seine Dienerrolle in „Sunset Boulevard“ dürfte Stroheim der Rollenname „Mayerling“ gepasst haben. Böser Billy Wilder!
„The man you love to hate“
Der Mann, der als Erich Oswald Stroheim 1885 als Sohn eines Hutmachers in Wien geboren wurde, war von Anfang an ein begnadeter Geschichtenerzähler. Das betraf auch seine Biografie. 1906 emigrierte er in die USA, und als er um 1915 kleine Filmrollen in Hollywood zu spielen begann, erfand er sich eine adelige Herkunft und eine Offizierslaufbahn in der k.u.k. Armee. Während des Ersten Weltkriegs erlangte „von“ Stroheim Berühmtheit als Darsteller brutaler preußischer Offiziere, von Spionen, Herrenmenschen und Kinderhassern. In „The Heart of Humanity“ (1918) spielt er einen Hauptmann, der eine Krankenschwester vergewaltigen will, die einen Säugling beschützt. Weil dessen Geschrei ihn stört, packt er das Baby und wirft es aus dem Fenster. Solche zur Schau gestellten Grausamkeiten begründeten Stroheims Ruhm als „Man you love to hate“.
Als Assistent von D.W. Griffith bei „Intolerance“ und „Hearts of the World“ hatte er auch Regietalent gezeigt, und so ließ Universal Stroheim 1918 seinen ersten Film inszenieren: „Blind Husbands“, den er ebenso wie den Nachfolgefilm „The Devil’s Passkey“ auch selbst schrieb und ausstattete. Die Dreharbeiten seines dritten Projekts „Foolish Wives“ zogen sich über fast ein Jahr hin. Mit dem laut Plakat „First real Million Dollar Picture“ festigte Stroheim seinen Ruf als extravaganter, detailbesessener Regisseur, dem Zeitaufwand und Geld gleichgültig sind. Halb Monte Carlo mitsamt dem Spielcasino, dem „Hotel de Paris“ und der Uferpromenade ließ der Fanatiker detailgetreu nachbilden. Erstmals warb Universal mit den Produktionskosten eines Films, die auf einer Leuchttafel am New Yorker Broadway täglich angezeigt wurden. Intern waren Stroheims Ausschweifungen weniger beliebt. Der Film wurde von fünf auf dreieinhalb Stunden zusammengeschnitten, ein Schicksal, das fortan keinem Stroheim-Film erspart bleiben sollte.
Stroheim verkörperte die barbarische Sinnlichkeit aus Europa
Wie seine ersten beiden Filme ist „Foolish Wives“ ein Ehebruchsdrama, bei dem ein Verführer in das harmonisch-eintönige Eheleben eindringt. Wie so oft bei Stroheim „steht der amerikanischen Zivilisiertheit die barbarische Sinnlichkeit des ‚alten‘ Europa entgegen, die mit einer perfekten Beherrschung von Sprachen, von ‚Umgangsformen‘ gepaart scheint“ (Georg Seeßlen). Erich von Stroheim persönlich verkörpert den falschen russischen Grafen Karamzin, der die Gattin des amerikanischen Botschafters in Monaco verführt, um sich bald darauf einen beträchtlichen Geldbetrag von ihr zu erschwindeln. Die verschlungene Story wartet mit einem eifersüchtigen Dienstmädchen auf, das die Villa des Botschafters – in dem der Ehebruch stattfindet – anzündet und sich später umbringt. Die Herrschaften überleben den Brandanschlag, aber der als Hochstapler enttarnte Karamzin wird von einem Geldfälscher, der den „Grafen“ bei dem Versuch erwischt, seine geistig behinderte Tochter zu vergewaltigen, umgebracht. Karamzins Leiche wird in ein Kanalisationsloch gestopft.
Trotz der Querelen mit den Produzenten, und weil „Foolish Wives“ sich als Kassenschlager erwies, durfte Stroheim mit „Merry-Go-Round“ noch einen weiteren Film für Universal drehen. Diesmal war Stroheim aber größeren Restriktionen als zuvor unterworfen. Den Part des jungen Aristokraten Hohenegg durfte Stroheim nicht selbst spielen, sodass er nicht mehr damit drohen konnte, die Hauptrolle niederzulegen, wenn man ihm die Regie wegnahm. Da er wieder einmal Zeit und Geld verschwendete – tagelang ließ er Statisten das korrekte Salutieren üben und ließ den Wiener Prater originalgetreu auf dem Universal-Gelände nachbauen – wurde er nach fünf Drehwochen durch Rupert Julian ersetzt. Von 114 Filmminuten stammten am Ende nur noch 15 Minuten von Stroheim.
Der Mix aus Kolportage und Groteske trägt dennoch deutlich Stroheims Handschrift. Erzählt wird die Story um einen verwöhnten Aristokratenspross, der sich in die zarte Drehorgelspielerin Agnes verliebt. Ein buckliger Tierpfleger schmachtet sie ebenfalls heimlich an. Ihr Chef, der bösartige Karussellbesitzer Huber, versucht Agnes zu vergewaltigen, woraufhin der Tierpfleger einen wilden Orang-Utan auf Huber hetzt, mit tödlichem Ausgang. Am Ende schließen sich Agnes und Hohenegg, der seinen Grafentitel verloren hat, doch noch in die Arme.
Das Fiasko mit „Queen Kelly“
Nicht nur „Merry-Go-Round“ hatte Klassengegensätze und deren (mögliche) Überwindung zum Inhalt. In weiteren Erzählungen variierte Stroheim die Geschichte vom adligen Lebemann, der sich in eine Frau aus niederem Stand verliebt: „The Merry Widow“ (1925), „The Wedding March“ (1926) und „Queen Kelly“ (1928). In Stroheims Drehbuch kann die Klosterschülerin Patricia Kelly (Gloria Swanson) am Ende der im fiktiven Königreich Kronberg angesiedelten Story den Prinzen Wolfram heiraten, was den Titel „Queen Kelly“ rechtfertigte. Nachdem Swanson während der Dreharbeiten aber – erstaunlich spät – begriff, dass die wüste Handlung (Bordellszenen, Nacktheit, Alkoholexzesse) niemals die Zensur passieren würde, trennte sie sich von Stroheim und versucht noch, das Projekt mit Nachdrehs zu retten. In der bereinigten Version starb ihre Figur, der Prinz nahm sich vor Patricias aufgebahrter Leiche das Leben. So wurde „Queen Kelly“ wenige Male gezeigt, aber Stroheim drohte mit juristischen Schritten, und der Film verschwand in den Archiven.
Jahre nach dem Fiasko mit Swanson bekam Stroheim, der sich als Schauspieler in meist unbedeutenden Filmen verdingte und zeitweilig als Dramaturg bei MGM tätig war, überraschend doch noch einen Regieauftrag – für einen Tonfilm für William Fox. Obwohl Stroheim aus Schaden klug geworden war und sich bei „Walking Down Broadway“ penibel an den Drehplan und das Budget hielt, kam wieder ein völlig anderer Film ins Kino, ein B-Movie mit dem Titel „Hello Sister“ (1933). Laut der Filmhistorikerin Lotte Eisner gab es in der durch Nachdrehs und Kürzungen veränderten Version überhaupt nichts mehr, was von Stroheim stammte.
Der Heilige Gral der US-Filmgeschichte
Das
Unterschicht-Milieu – entsprechend dem Stoff, dem nie aufgeführten Theaterstück
„Walking Down Broadway“ – hatte Stroheim brennend interessiert. Er hatte mit „Greed“
ja bereits den Roman des amerikanischen Naturalisten Frank Norris adaptiert,
ein Panorama des amerikanischen Lebens, erzählt aus der Sicht der Verlierer und
Gedemütigten. Die verschollene Zehn-Stunden-Version, ein einziges Mal bei einer
Privatvorführung gezeigt, gilt als der Heilige Gral der US-Filmgeschichte.
Noch in der extrem verstümmelten Form (150 Minuten) fasziniert die grausame Mär von der Geldgier, die drei amerikanische Underdogs und ihre Beziehungen zerfrisst. Statt Aristokraten waren Arbeiter und Kleinbürger die Protagonisten: Im Mittelpunkt steht der Bergarbeiter McTeague (Gibson Gowland), der als Kurpfuscher eine Zahnarztpraxis in San Francisco aufmacht, sich in seine Patientin Trina (Zasu Pitts) verliebt und sie heiratet. Als Trina 5000 Dollar in einer Lotterie gewinnt, wird ihr Ex-Verlobter, McTeagues Freund Marcus (Jean Hersholt) von heftigem Neid ergriffen und meldet Anspruch auf das Geld an. Trina wiederum entwickelt einen krankhaften Geiz und eine erotische Beziehung zu ihrem Schatz, statt mit dem Geld ihre und die Not ihres Ehemanns abzuwenden, der nicht mehr als Zahnarzt arbeiten darf. McTeague praktizierte ohne Zulassung, Marcus hatte ihn angeschwärzt. McTeague mutiert im Elend zum Brutalo, Trina trennt sich vom Ehemann, der sie später aufspürt, ermordet und mit den geraubten 5000 Dollar ins Death Valley flüchtet. Im Finalduell in der Wüste erschlägt McTeague Marcus, der ihn wegen des Geldes verfolgte. Am Ende irrt McTeague delirierend durch die Wüste – dem sicheren Tod entgegen.
Obwohl in der überlieferten Form eine Ruine von Film, überwältigt „Greed“ mit seiner erbarmungslos präzisen Figurenzeichnung und den lebendigen ruralen und urbanen Hintergründen. Stroheim drehte fast ausnahmslos an Originalschauplätzen, den Mord an Trina, den Frank Norris im Roman nach einer wirklichen Begebenheit geschildert hatte, inszenierte der besessene Regisseur sogar am echten Tatort.
Alles so korrekt wie menschenmöglich wiedergeben
In einem Nachruf auf seinen Lehrer D.W. Griffith schrieb Stroheim 1948: „Es war Griffith, der zuerst die heilige Pflicht fühlte, alles so korrekt wie menschenmöglich wiederzugeben, ob Dekorationen, Kostüme, Uniformen, Sitten oder Rituale (…) Es war Griffith, der zuerst und ganz den psychologischen Effekt eines genauen und korrekten Kostüms auf den Schauspieler erkannte.“ Eine treffende Charakterisierung – aber eher eine Selbstbeschreibung Stroheims, der Griffiths Bedeutung für die Entwicklung filmischer Erzählformen in seinem Nekrolog unterschlug. Während Griffith – der Erfinder des Umschnitts in einer Szene, der Parallelmontage und der emotionalen Großaufnahme – einen unschätzbaren Beitrag für die Sprache des Kinos leistete, sind es bei Stroheim die sardonische Freude am Erzählen und Ausschweifen, seine Detailwut und Charakterisierungskunst, die ihm einen Ehrenplatz in der Filmgeschichte sichern.
„Als Naturalist musste Stroheim zu Allegorien und Symbolen greifen, um seinen Geschichten eine Bedeutung zu verleihen, die sie von sich aus nicht erkennen ließen. In ‚Greed‘ etwa werden die Intrigen des Rivalen von einem symbolischen Parallelgeschehen begleitet: eine Katze belauert einen Vogelkäfig und springt ihn an“, heißt es in Gregor/Patalas’ „Geschichte des Films“. Neben den allegorischen Verweisen, so die Autoren weiter, „sollen die ‚allgemein-bedeutsamen‘ Zwischentitel, die sich von Film zu Film zuweilen wörtlich wiederholen, über das Geschehen hinausweisen. Sie sind das Eingeständnis der Unfähigkeit, Vorgänge zu gestalten, die selbst gesellschaftliche Relevanz besitzen (…) Aber indem Stroheim mit sadomasochistischer Lust die Defekte einer mit sich zerfallenen Gesellschaft registrierte, entwarf er eine Psychopathologie menschlicher Selbstentfremdung überhaupt.“
Persona non grata
Irgendwann in den 1950er-Jahren zeigte Henri Langlois, der Leiter der Pariser Cinémathèque, Stroheim die verstümmelte Fassung seines Schmerzenskinds „Greed“. Langlois berichtete, dass Stroheim hinterher in Tränen ausbrach und sagte: „Das war wie eine Exhumierung für mich. In einem winzigen Sarg sah ich eine Menge Staub, ein schrecklicher Geruch kam mir entgegen, ich betrachtete ein kleines Rückgrat und einen Schulterknochen.“
Als Regisseur war Stroheim in Hollywood zur „persona non grata“ geworden. Er arbeitete nach dem letzten Fiasko mit „Walking Down Broadway“ noch an mehreren Filmprojekten, darunter einer Fortsetzung seiner Wien-Filme „Merry-Go-Round“ und „The Wedding March“ mit dem Titel „La Dame blanche“. Aus alldem wurde nichts. Filmateliers durfte er nur noch als Darsteller betreten. In Jean Renoirs Meisterwerk „Die große Illusion“ spielte er einen Aristokraten und Jagdflieger im Ersten Weltkrieg, in Billy Wilders „Fünf Gräber bis Kairo“ (1943) verkörperte er den Generalfeldmarschall Erwin Rommel (als der echte Rommel noch lebte). Anders als Stroheim es mit seiner gefälschten Vita vorgaukelte, war er ja kein Krieger, nur ein großer Krieger-Darsteller. Max von Mayerling in Wilders „Sunset Boulevard“ hat da schon mehr mit Stroheims damaliger Lebensrealität zu tun – ein Regisseur a.D., der das Zaubern nicht verlernt hat, aber nur noch für eine einzige Zuschauerin zaubert: die sich einsam selbst bespiegelnde Norma Desmond.