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Die Zärtlichkeit der Wölfe: Patricia Highsmith und das Kino

Ein Essay über Patricia Highsmith und das Kino anlässlich des 100. Geburtstags der US-Schriftstellerin

Veröffentlicht am
17. April 2021
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In der Literaturkritik musste Krimi-Autorin Patricia Highsmith (1921-1995) lange um ihren verdienten Status ringen; das Kino hingegen schätzte ihren präzisen Stil und ihre ungewöhnlichen Szenarien, sodass sich beginnend mit Alfred Hitchcocks „Der Fremde im Zug“ (1951) eine spannende „Liebesgeschichte“ zwischen dem Medium Film und dem Highsmith-Universum entspann. Eine Hommage zum 100. Geburtstag der Autorin am 19. Januar 2021.


„Ich finde die Leidenschaft der Öffentlichkeit für das Gesetz­ ziemlich langweilig und gekünstelt, denn weder das Leben noch die Natur kümmern sich jemals um Gerechtigkeit.“ (Patricia Highsmith)


Im Herbst 1950 war der Schriftsteller Raymond Chandler von den Zumutungen seiner aktuellen Arbeit genervt: „Ziemlich albern“, das Ganze. Für Alfred Hitchcock sollte er aus dem irrwitzigen Debütroman einer jungen US-Amerikanerin ein tragfähiges Drehbuch verfassen. Chandlers Problem bestand darin, „dass es in dieser Geschichte um den Horror einer Absurdität geht, die Wirklichkeit geworden ist“. Worum ging es? „Ein durch und durch anständiger junger Mann, Guy Haines, erklärt sich bereit, einen Menschen zu ermorden, den er gar nicht kennt.“ In Chandlers Beschreibung der Hauptfigur aus dem Roman „Zwei Fremde im Zug“ von Patricia Highsmith (1921-1995) als „durch und durch anständig“ liegt freilich ein groteskes Missverständnis der Vorlage, schlug diese doch weit radikalere existenzialistische Töne an.


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Der Fremde im Zug“ (1951) mag nicht zu den besten Filmen Hitchcocks gehören, und doch scheint der Regisseur ein weit größeres Gespür für den Abgrund von Guy Haines gehabt zu haben als der am Projekt gescheiterte „hard boiled“-Profi Chandler. Man kann nämlich den flamboyanten Psychopathen Bruno Anthony, der Haynes einen „Austausch“ von Morden als perfektes Verbrechen vorschlägt und in Vorleistung geht, indem er Guys unliebsame Ehefrau tötet, sehr gut als Materialisierung der dunklen Seite dieses „Anständigen“ sehen. Womit einige Leitmotive der fiktiven Welten, die Patricia Highsmith vielfach entworfen hat, bereits in ihrem Debütroman aufscheinen: Es geht bei ihr stets um Identitätszerfall, Identitätswechsel und die Befreiung von einer Identität durch einen eher spontanen als mordlustigen Akt der Gewalt. Und um das fortwährende, improvisierende Spiel mit Identitäten in Folge der Gewalt. Nicht ohne Grund wurde Anthony Minghellas Neuverfilmung von „Der talentierte Mr. Ripley“ (1999) ein Film voller Jazz!

"Der Fremde im Zug" (© imago images / Mary Evans)
"Der Fremde im Zug" (© imago images/Mary Evans)

Träume und Sehnsüchte schlagen in Albträume und Wahn um

Bei Highsmiths Figuren handelt es sich um Kippfiguren, bei denen nie ganz ausgemacht ist, wann Träume und Sehnsüchte in Albträume oder Wahn umschlagen, wann Realität sich in Wahn zerstreut oder Träume Wirklichkeit werden. Das gilt auch für ihre filmischen Inkarnationen, etwa den Architekten Phillip Braun, der in „Die gläserne Zelle“ (1977) für ein Verbrechen ins Gefängnis geht, das er nicht begangen hat, und verändert aus der Haft entlassen wird. Doch in der Welt findet er sich, misstrauisch und manipulierbar bis zur Paranoia, nicht mehr zurecht, bis er ein Verbrechen begeht, dessen er verdächtigt wird, aber nicht belangt werden kann, weil er unerwartet ein Alibi bekommt. Oder die Hauptfigur in „Ediths Tagebuch“ (1983), die einerseits vor den Zumutungen ihres Alltags und der Zeitläufte in die „Traumwelt“ ihres Tagebuchs driftet, sich aber genau durch diese Drift eine spielerische Autonomie bewahrt, die man auch als Widerstand begreifen kann.

Und da ist Robert Forrester, der in „Der Schrei der Eule“ (2008), der bislang düstersten Highsmith-Verfilmung, hilflos und paralysiert miterleben muss, wie sich seine bürgerliche Existenz durch Eheprobleme und Eifersucht in eine Folge von Gewaltakten auflöst, bis alle ihm nahestehenden Personen tot sind. Wenn man Forrester am Schluss genau an dem Ort verlässt, dem zu Beginn seine Sehnsucht gegolten hatte, kommt einem der Satz in den Sinn, mit dem der Selbstmörder David Kelsey in „Der süße Wahn“ den Lauf der Dinge auf den Punkt gebracht hat: „Nothing was true but the fatigue of life and the eternal disappointment.“

Hitchcocks Verfilmung „Der Fremde im Zug“ machte Patricia Highsmith schon früh berühmt. Zahlreiche Adaptionen ihrer gefragten Geschichten sollten folgen, doch die Beziehung zwischen Highsmith und dem Kino blieb stets problematisch. Mehr als einmal äußerte sich die Schriftstellerin enttäuscht von den Verfilmungen, die dadurch, dass sie einzelne Mosaiksteinchen innerhalb ihrer kunstvoll gewebten Konstruktionen verrückten, deren Statik beschädigten. Das ist schwerlich zu leugnen. Aber erzählt die Tatsache, dass die Schlusspointe von René Cléments „Nur die Sonne war Zeuge“ (1959) die Romanhandlung moralisch geradezu auf den Kopf stellt, nicht mehr über die Entstehungszeit des Films als der zugrunde liegende Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ selbst? Enno Patalas erkannte in Tom Ripley, wie er in Cléments Film konturiert ist, einen modernen Helden, „ganz Intelligenz ohne Charakter, ein kalter Narziss“, und lobte: „Der Film erklärt seinen Helden nicht, er konfrontiert den Zuschauer mit ihm und seiner Welt und zwingt ihn durch die Präzision des Bildes in die Auseinandersetzung.“

Alain Delon in "Nur die Sonne war Zeuge" (© STUDIOCANAL)
Alain Delon in "Nur die Sonne war Zeuge" (© Studiocanal)

Männerfreundschaften und Frauen als Medium

In Highsmiths Notizen zu „Zwei Fremde im Zug“ stößt man auf die sonderbare Formulierung „sex life motivates & controls all“, die ein neues Licht auf die Geschlechteridentitäten vieler ihrer Figuren wirft. Insbesondere Wim Wenders hat in seiner Highsmith-Verfilmung „Der amerikanische Freund“ (1976) klargemacht, dass die Konstellationen zwischen den Männern von kaum übersehbaren homoerotischen Gefühlen geprägt sind. Frauen fungieren hingegen eher als Medium und scheiden irgendwann als Störfaktor der Männerfreundschaft aus. Wenders hat im Interview zu seiner Bearbeitung von „Ripley’s Game“ angemerkt, dass ihm die Darstellung der Ehe des leukämiekranken Rahmenbauers Jonathan in der Romanvorlage zu misogyn gewesen sei, weshalb er einige Änderungen vorgenommen habe, die ihm Highsmith zunächst sehr übelnahm. Tatsächlich aber hat Wenders – wie nicht zuletzt ein Blick auf die recht werkgetreue Neuverfilmung des Stoffs durch Liliana Cavani (2002) deutlich macht – die Geschichte meisterhaft in seinen filmischen Kosmos der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre eingepasst. Es sind Wenders-Figuren, die mit Songs der Kinks, der Beatles und der Byrds auf den Lippen eine Gangstergeschichte nachspielen, die für den todkranken Jonathan letztlich nur eine verlockende Chance darstellt, aus seiner bürgerlichen Existenz auszubrechen.

So paradox es klingt: Man hat Patricia Highsmith trotz ihrer enormen Popularität lange als „Kriminalautorin“ unterschätzt. Peter Handke dagegen, der die Genauigkeit der Prosa der Amerikanerin liebte, hat sich schon früh für Highsmith als „große Schriftstellerin“ starkgemacht und berichtet, dass ihre Fans unter den Filmemachern, die sich vergeblich um die Filmrechte bemühten, auf ihre Art ihrer Bewunderung Ausdruck verliehen. Etwa indem Werner Schroeter seinen Figuren in „Argila“ und „Eika Katappa“ Worte aus dem Roman „Der Schrei der Eule“ in den Mund legte. Oder indem in Wenders’ „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1971) in einem Kino eine Highsmith-Verfilmung von „Das Zittern des Fälschers“ läuft – die damals gar nicht existierte. Erst 1993 versuchte sich Peter Goedel an einer Adaption dieses schillerndsten aller Highsmith-Romane – als Fernsehspiel („Trip nach Tunis“).

Dennis Hopper in "Der amerikanische Freund" (© imago images / Mary Evans)
Dennis Hopper in "Der amerikanische Freund" (© imago images/Mary Evans)

Hinzu kommt, dass die Mängel und Kürzungen der alten, höchst einflussreichen Highsmith-Edition sichtbar wurden, als der Diogenes-Verlag zu Beginn der 2000er-Jahre eine Neuübersetzung der Bücher von Patricia Highsmith in Angriff nahm. Ein neuer Highsmith-Kontinent wurde entdeckt! So liest man im Nachwort der Neuübersetzung von „Die zwei Gesichter des Januars“ mit Staunen, dass Highsmith bei der Konzeption des Romans zumindest zeitweise mit der (komischen) Option einer Travestie gespielt hat. Deren dunkle Variante ließe sich so lesen: Ein unbeabsichtigter Mord in einem Athener Hotel begründet die Freundschaft zweier Männer, die sich später auf Kreta durch einen verabredeten Mord der jungen Ehefrau des älteren Mannes entledigen – und der jüngere Mann schlüpft in die Rolle der Ermordeten. Highsmith notiert: „Er übernimmt ihren Pass und ihre Garderobe – durchaus nicht ohne Vergnügen, doch mit ausreichender Unbeholfenheit, so dass es komisch wirkt. Die Stimme bereitet wenig Schwierigkeiten. Schlimmer ist der Bart.“ Solche Abgründe sucht man in Hossein Aminis eher ins Brave tendierenden Romanverfilmung vergeblich.


Filme nach Romanen von Patricia Highsmith:

2016 A Kind of Murder

2015 Carol

2014 Die zwei Gesichter des Januars

2008 Der Schrei der Eule

2005 Ripley Under Ground

2002 Ripley’s Game

1999 Der talentierte Mr. Ripley

1993 Trip nach Tunis

1991 Der Geschichtenerzähler

1987 Schrei der Eule

1985 Die zwei Gesichter des Januar

1983 Ediths Tagebuch

1981 Stille Wasser

1977 Die gläserne Zelle

1977 Süßer Wahn

1976 Der amerikanische Freund

1969 Wenn dich dein Mörder küsst

1962 Der Mörder

1959 Nur die Sonne war Zeuge

1951 Der Fremde im Zug


Hinweis:

Der Artikel „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von Ulrich Kriest erschien erstmals in der FILMDIENST-Ausgabe fd 11/2014.

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