In der
Literaturkritik musste Krimi-Autorin Patricia Highsmith (1921-1995)
lange um ihren verdienten Status ringen; das Kino hingegen schätzte
ihren präzisen
Stil und ihre ungewöhnlichen Szenarien, sodass sich beginnend mit Alfred
Hitchcocks „Der Fremde im Zug“ (1951) eine spannende „Liebesgeschichte“
zwischen dem Medium Film und dem Highsmith-Universum entspann. Eine
Hommage zum 100. Geburtstag der Autorin am 19. Januar 2021.
„Ich finde die Leidenschaft der Öffentlichkeit für das Gesetz ziemlich langweilig und gekünstelt, denn weder das Leben noch die Natur kümmern sich jemals um Gerechtigkeit.“ (Patricia Highsmith)
Im Herbst 1950 war der
Schriftsteller Raymond Chandler von den Zumutungen seiner aktuellen Arbeit
genervt: „Ziemlich albern“, das Ganze. Für Alfred Hitchcock sollte er aus dem
irrwitzigen Debütroman einer jungen US-Amerikanerin ein tragfähiges Drehbuch
verfassen. Chandlers Problem bestand darin, „dass es in dieser Geschichte um
den Horror einer Absurdität geht, die Wirklichkeit geworden ist“. Worum ging
es? „Ein durch und durch anständiger junger Mann, Guy Haines, erklärt sich
bereit, einen Menschen zu ermorden, den er gar nicht kennt.“ In Chandlers
Beschreibung der Hauptfigur aus dem Roman „Zwei Fremde im Zug“
von Patricia Highsmith (1921-1995) als „durch und durch
anständig“ liegt freilich ein groteskes Missverständnis der Vorlage, schlug
diese doch weit radikalere existenzialistische Töne an.
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„Der Fremde im Zug“ (1951) mag nicht zu den besten Filmen Hitchcocks gehören, und doch scheint der Regisseur ein weit größeres Gespür für den Abgrund von Guy Haines gehabt zu haben als der am Projekt gescheiterte „hard boiled“-Profi Chandler. Man kann nämlich den flamboyanten Psychopathen Bruno Anthony, der Haynes einen „Austausch“ von Morden als perfektes Verbrechen vorschlägt und in Vorleistung geht, indem er Guys unliebsame Ehefrau tötet, sehr gut als Materialisierung der dunklen Seite dieses „Anständigen“ sehen. Womit einige Leitmotive der fiktiven Welten, die Patricia Highsmith vielfach entworfen hat, bereits in ihrem Debütroman aufscheinen: Es geht bei ihr stets um Identitätszerfall, Identitätswechsel und die Befreiung von einer Identität durch einen eher spontanen als mordlustigen Akt der Gewalt. Und um das fortwährende, improvisierende Spiel mit Identitäten in Folge der Gewalt. Nicht ohne Grund wurde Anthony Minghellas Neuverfilmung von „Der talentierte Mr. Ripley“ (1999) ein Film voller Jazz!
Träume und Sehnsüchte schlagen in Albträume und Wahn um
Bei Highsmiths Figuren handelt es sich um Kippfiguren, bei denen nie ganz ausgemacht ist, wann Träume und Sehnsüchte in Albträume oder Wahn umschlagen, wann Realität sich in Wahn zerstreut oder Träume Wirklichkeit werden. Das gilt auch für ihre filmischen Inkarnationen, etwa den Architekten Phillip Braun, der in „Die gläserne Zelle“ (1977) für ein Verbrechen ins Gefängnis geht, das er nicht begangen hat, und verändert aus der Haft entlassen wird. Doch in der Welt findet er sich, misstrauisch und manipulierbar bis zur Paranoia, nicht mehr zurecht, bis er ein Verbrechen begeht, dessen er verdächtigt wird, aber nicht belangt werden kann, weil er unerwartet ein Alibi bekommt. Oder die Hauptfigur in „Ediths Tagebuch“ (1983), die einerseits vor den Zumutungen ihres Alltags und der Zeitläufte in die „Traumwelt“ ihres Tagebuchs driftet, sich aber genau durch diese Drift eine spielerische Autonomie bewahrt, die man auch als Widerstand begreifen kann.
Und da ist Robert Forrester, der in „Der Schrei der Eule“ (2008), der bislang düstersten Highsmith-Verfilmung, hilflos und paralysiert miterleben muss, wie sich seine bürgerliche Existenz durch Eheprobleme und Eifersucht in eine Folge von Gewaltakten auflöst, bis alle ihm nahestehenden Personen tot sind. Wenn man Forrester am Schluss genau an dem Ort verlässt, dem zu Beginn seine Sehnsucht gegolten hatte, kommt einem der Satz in den Sinn, mit dem der Selbstmörder David Kelsey in „Der süße Wahn“ den Lauf der Dinge auf den Punkt gebracht hat: „Nothing was true but the fatigue of life and the eternal disappointment.“
Hitchcocks Verfilmung „Der Fremde im Zug“ machte Patricia Highsmith schon früh berühmt. Zahlreiche Adaptionen ihrer gefragten Geschichten sollten folgen, doch die Beziehung zwischen Highsmith und dem Kino blieb stets problematisch. Mehr als einmal äußerte sich die Schriftstellerin enttäuscht von den Verfilmungen, die dadurch, dass sie einzelne Mosaiksteinchen innerhalb ihrer kunstvoll gewebten Konstruktionen verrückten, deren Statik beschädigten. Das ist schwerlich zu leugnen. Aber erzählt die Tatsache, dass die Schlusspointe von René Cléments „Nur die Sonne war Zeuge“ (1959) die Romanhandlung moralisch geradezu auf den Kopf stellt, nicht mehr über die Entstehungszeit des Films als der zugrunde liegende Roman „Der talentierte Mr. Ripley“ selbst? Enno Patalas erkannte in Tom Ripley, wie er in Cléments Film konturiert ist, einen modernen Helden, „ganz Intelligenz ohne Charakter, ein kalter Narziss“, und lobte: „Der Film erklärt seinen Helden nicht, er konfrontiert den Zuschauer mit ihm und seiner Welt und zwingt ihn durch die Präzision des Bildes in die Auseinandersetzung.“
Männerfreundschaften und Frauen als Medium
In Highsmiths Notizen zu „Zwei Fremde im Zug“ stößt man auf die sonderbare Formulierung „sex life motivates & controls all“, die ein neues Licht auf die Geschlechteridentitäten vieler ihrer Figuren wirft. Insbesondere Wim Wenders hat in seiner Highsmith-Verfilmung „Der amerikanische Freund“ (1976) klargemacht, dass die Konstellationen zwischen den Männern von kaum übersehbaren homoerotischen Gefühlen geprägt sind. Frauen fungieren hingegen eher als Medium und scheiden irgendwann als Störfaktor der Männerfreundschaft aus. Wenders hat im Interview zu seiner Bearbeitung von „Ripley’s Game“ angemerkt, dass ihm die Darstellung der Ehe des leukämiekranken Rahmenbauers Jonathan in der Romanvorlage zu misogyn gewesen sei, weshalb er einige Änderungen vorgenommen habe, die ihm Highsmith zunächst sehr übelnahm. Tatsächlich aber hat Wenders – wie nicht zuletzt ein Blick auf die recht werkgetreue Neuverfilmung des Stoffs durch Liliana Cavani (2002) deutlich macht – die Geschichte meisterhaft in seinen filmischen Kosmos der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre eingepasst. Es sind Wenders-Figuren, die mit Songs der Kinks, der Beatles und der Byrds auf den Lippen eine Gangstergeschichte nachspielen, die für den todkranken Jonathan letztlich nur eine verlockende Chance darstellt, aus seiner bürgerlichen Existenz auszubrechen.
So paradox es klingt: Man hat
Patricia Highsmith trotz ihrer enormen Popularität lange als „Kriminalautorin“
unterschätzt. Peter Handke dagegen, der die Genauigkeit der Prosa der
Amerikanerin liebte, hat sich schon früh für Highsmith als „große
Schriftstellerin“ starkgemacht und berichtet, dass ihre Fans unter den
Filmemachern, die sich vergeblich um die Filmrechte bemühten, auf ihre Art
ihrer Bewunderung Ausdruck verliehen. Etwa indem Werner Schroeter seinen
Figuren in „Argila“ und „Eika Katappa“ Worte aus
dem Roman „Der Schrei der Eule“ in den Mund legte. Oder indem in Wenders’ „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1971) in einem Kino eine Highsmith-Verfilmung
von „Das Zittern des Fälschers“ läuft – die damals gar nicht existierte. Erst
1993 versuchte sich Peter Goedel an einer Adaption dieses schillerndsten aller
Highsmith-Romane – als Fernsehspiel („Trip nach Tunis“).
Hinzu kommt, dass die Mängel und
Kürzungen der alten, höchst einflussreichen Highsmith-Edition sichtbar wurden,
als der Diogenes-Verlag zu Beginn der 2000er-Jahre eine Neuübersetzung der
Bücher von Patricia Highsmith in Angriff nahm. Ein neuer Highsmith-Kontinent
wurde entdeckt! So liest man im Nachwort der Neuübersetzung von „Die zwei
Gesichter des Januars“ mit Staunen, dass Highsmith bei der Konzeption des
Romans zumindest zeitweise mit der (komischen) Option einer Travestie gespielt
hat. Deren dunkle Variante ließe sich so lesen: Ein unbeabsichtigter Mord in
einem Athener Hotel begründet die Freundschaft zweier Männer, die sich später
auf Kreta durch einen verabredeten Mord der jungen Ehefrau des älteren Mannes
entledigen – und der jüngere Mann schlüpft in die Rolle der Ermordeten.
Highsmith notiert: „Er übernimmt ihren Pass und ihre Garderobe – durchaus nicht
ohne Vergnügen, doch mit ausreichender Unbeholfenheit, so dass es komisch
wirkt. Die Stimme bereitet wenig Schwierigkeiten. Schlimmer ist der Bart.“
Solche Abgründe sucht man in Hossein Aminis eher ins Brave tendierenden Romanverfilmung
vergeblich.
Filme nach Romanen von Patricia Highsmith:
2016 A Kind of Murder
2015 Carol
2014 Die zwei Gesichter des Januars
2008 Der Schrei der Eule
2005 Ripley Under Ground
2002 Ripley’s Game
1999 Der talentierte Mr. Ripley
1993 Trip nach Tunis
1987 Schrei der Eule
1985 Die zwei Gesichter des Januar
1983 Ediths Tagebuch
1981 Stille Wasser
1977 Die gläserne Zelle
1977 Süßer Wahn
1969 Wenn dich dein Mörder küsst
1962 Der Mörder
1951 Der Fremde im Zug
Hinweis:
Der Artikel „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ von Ulrich Kriest erschien erstmals in der FILMDIENST-Ausgabe fd 11/2014.