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Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Ein Nachruf auf den US-amerikanischen Schauspieler Gene Hackman (30.1.1930-26.2.2025)

Veröffentlicht am
27.02.2025 - 12:00:09
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Der US-amerikanische Schauspieler Gene Hackman ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Auch wenn Hackman seit 2004 nicht mehr vor der Kamera stand, haben sich seine zahlreichen Filmauftritte dauerhaft Raum im Kinogedächtnis gesichert: Als Bühne für einen höchst vielseitigen Darsteller, der sich keinesfalls auf einen bestimmten Typ festlegen ließ. Stattdessen verstand er mit seinen gebrochenen Figuren von Szene zu Szene immer wieder zu überraschen.


Würde Gene Hackman beim „Räuber und Gendarm“-Spiel vor der Frage stehen, zu welcher Seite er gehören wolle, könnte er keine endgültige Antwort geben. Man müsste eine neue Rolle einführen, eine, in der der Räuber jagt und der Gendarm gejagt wird. Hackman würde dann beide Rollen spielen.

Sich auf Filme mit Gene Hackman einzulassen, bedeutet unsicher zu sein im Angesicht eines Körpers. Man muss lernen, Gesten oder ein Funkeln in den Augen zu lesen. Aber kaum glaubt man, seine Rollen durchschaut, seine Ticks verstanden zu haben, überrascht einen ein einnehmendes Lächeln oder ein unerwarteter Gewaltausbruch. Das hatte auch der Regisseur Arthur Penn verstanden, der Hackman in drei seiner Filme („Bonnie und Clyde, „Die heiße Spur und „Target – Zielscheibe) besetzte und bewusst mit dessen ambivalenter Erscheinung spielte.

Vor allem in Die heiße Spur, einer an Philip Marlowe erinnernden Detektivgeschichte, die ganz im Sinn von New Hollywood das Genre radikal hinterfragt, wird die ganze Wucht und Zerbrechlichkeit von Gene Hackman offenbar. Statt wie Bogart einen Fall zu lösen, wird der Ermittler mehr und mehr selbst zum Fall. Kaum eine Szene fasziniert, weil man wissen möchte, wie es weitergeht, doch jede Sekunde begeistert, weil man sie mit diesem Hackman verbringt. Zwischen Möchtegern-Macho, gutem Herzen, Selbstmitleid, Wut, Humor, Ennui und existenzialistischer Introvertiertheit entwirft sich ein hochkomplexes Bild.

Die wahrscheinlich bekannteste Starrolle von Gene Hackman: Jimmy "Popeye" Doyle in "Brennpunkt Brooklyn"
Die wohl bekannteste Starrolle von Gene Hackman: Jimmy "Popeye" Doyle in "Brennpunkt Brooklyn"

Dabei passt dieser Körper nicht unbedingt in diese schillernden Welten aus mysteriösen Thrillern und Reisen um die ganze Welt. Etwas grau, unscheinbar und auf den ersten Blick rüpelhaft erscheint der 1930 in Kalifornien geborene Mann, der das US-amerikanische Kino über drei Jahrzehnte entscheidend prägte, bevor er 2004 das Schauspiel hinter sich ließ, um sich im hohen Alter einer Karriere als Autor zu widmen. In der Schauspielklasse mit Dustin Hoffman sagte man, dass er und Hoffman aufgrund ihres Aussehens die geringsten Chancen auf eine Karriere haben würden.


Energie in der Nichtbewegung

Sein großes Vorbild war ein anderer Unpassender des Hollywoodkinos: James Cagney. Mit ihm teilt er auch eine Vorliebe für charakteristische Hüte in den falschen Größen. Wichtiger aber ist eine ganz eigene Energie, die man vor allem dann spürt, wenn sich niemand bewegt. Es gibt ein großes Potenzial für den Ausbruch in beiden Darstellern, und dieses Potenzial macht die Zärtlichkeit einer Ruhe, eines Lächelns oder einer beschwichtigenden Handbewegung erst menschlich. Man spürt die Kraft, die es braucht, um in sich zu bleiben, um zu lieben. Von seiner ikonischen Darbietung des Lex Luthor in den „Superman“-Filmen an wurde Hackman oft als Antagonist besetzt. Was er in der Comicverfilmung noch komödiantisch überdreht, beherrscht er in anderen Arbeiten in großer Ernsthaftigkeit Arroganz, ein fehlendes Nervenkostüm und etwas, was man die Scham des Bösen nennen könnte.

Das kann man etwa in der Zusammenarbeit mit Clint Eastwood entdecken. Sowohl in Absolute Power als auch in Erbarmungslos spielt Hackman mächtige Menschen mit krimineller Energie. Er verkörpert Männer, die alles tun, um an der Macht zu bleiben, deren Leben nicht gelebt, sondern versteckt wird. In den Bewegungen des Sheriffs in Erbarmungslos und des US-Präsidenten in Absolute Power lässt sich eine Scham erkennen. Ab und an blickt er hilfesuchend in die Gesichter, andere Male senkt er beständig den Blick, sodass ihn niemand durchschauen kann. Er dreht sich oft weg von der Kamera, um mit einer plötzlichen und ob ihrer Dreistigkeit erschütternden Sicherheit zurück ins Bild zu kommen. Man spürt diesen Rollen den Druck ihrer moralischen Verirrung an. Gab es zu Zeiten von Cagney noch oft den vom Production Code verlangten moralischen Ausgang von Gangstergeschichten, bräuchte es diesen bei Hackman nicht. Er spielt ihn schon mit, selbst wenn er materiell oder machtbezogen belohnt wird.

Als US-Präsident zwischen krimineller Energie und moralischen Skrupeln in "Absolute Power"
Als US-Präsident zwischen krimineller Energie und moralischen Skrupeln in "Absolute Power"

Selbstkontrolle dämmt die Zärtlichkeit ein

In mancher Hinsicht erinnert dieser Mann mit dem einschüchternden Gebaren und den ängstlichen Augen, dem lichten Lockenkopf und dem strahlenden Lächeln an einen Ehemann aus einem japanischen Film von Mikio Naruse oder Yasujirō Ozu. Auch diese Männer sind oft bedachte, unnahbare Wesen, in denen zwar Zärtlichkeit schlummert, aber die ihr Leben der Konsolidierung ihrer Macht und Kontrolle widmen. Tatsächlich filmt Eastwood (einer der japanischsten Filmemacher der USA) Hackman ganz im Stil von Ozu oft aus extremer Untersicht. Selten haben einzelne Bilder Untersicht und Unsicherheit so nah zusammengebracht.

Trotz dieser Analogien war Hackman während seiner Karriere zumeist in Thrillern oder Actionfilmen zu sehen. Aus dem „New Hollywood“-Kino entsprungen, mit wunderbaren Rollen in Asphalt-Blüten oder Brennpunkt Brooklyn, konnte er in dramatischen Rollen kaum brillieren, wie das etwa Dustin Hoffman, Al Pacino oder Robert De Niro möglich war.

Seine Dramen münden meist in Genrefilme. Das kurze Aufflackern von Liebe wird in seiner Arbeit von einem Notruf, einem Schuss oder einer anderen Unmöglichkeit erstickt. Dass er dennoch in der Lage ist, romantische Szenen zu spielen, zeigte er weniger in den Filmen, die es darauf anlegen wie der arg seichte Die Trottel vom Texas-Grill, sondern in kurzen Intermezzi, zum Beispiel mit Gena Rowlands in Eine andere Frau von Woody Allen, in einer langen, verständnisvollen Umarmung mit Meryl Streep in Carrie Fishers autobiografischem Film Grüße aus Hollywood oder auf der Suche nach einer Öffnung mit Frances McDormand in Mississippi Burning – Die Wurzel des Hasses. Am ehesten in der Rolle des Familienvaters kann man ihn in einem Film eines anderen großen Liebhabers des japanischen Kinos sehen, nämlich in Wes Andersons schrulligem Die Royal Tenenbaums. In der Rolle des Royal Tenenbaum verbindet er die gewohnte Ambivalenz mit einer Schmierigkeit, die dichte Lagen von Parfüm von der Leinwand herunter riechen lässt. Doch als Hochstapler und wenig verantwortungsvoller Vater erobert er schnell das Herz des Publikums, als er darum kämpft, wieder seinen Platz in der Familie einzunehmen. Die exzentrische Übersteigerung, die kindliche Seele und das verschmitzte Betrügerwesen verschmelzen auch deshalb so nahtlos, weil er mit einem einzigen Blick, einem kleinen Zublinzeln Vertrauen schaffen kann.

Oberhaupt eines schrägen Clans: "Die Royal Tenenbaums"
Oberhaupt eines schrägen Clans: "Die Royal Tenenbaums"

Ein Gehetzter

Doch schon bald zieht es ihn weiter. Dabei wirkt er in seiner Einsamkeit weniger souverän und melancholisch als etwa John Wayne. Stattdessen ist Hackman ein Gehetzter, von Sorgen und Ängsten geplagt. Normalerweise überschminkt man glänzende Stellen auf der Haut von Schauspielern, damit diese nicht fettig und schwitzig wirken. Bei Hackman aber stehen immer Schweißtropfen auf der Stirn, in seinen Geheimratsecken sammelt sich die Unsauberkeit des Alltags. Seine Raucherstimme überschlägt sich, seine Mäntel wirken zu lang und falsch zugeknöpft; immer in Hektik, wird sein eigentlich eher rustikaler Körper zum Bewegungsbild einer gequälten Eleganz.

William Friedkin hat in Brennpunkt Brooklyn äußerst gut verstanden, dass Hackman vor allem im Stress aufblüht. Hinter einem Steuer sitzend oder sich Treppen hinauf- und hinabwuchtend, gerade noch in die U-Bahn springend, am Telefon schreiend, panisch jemandem zurufend, das sind die Bilder, die Hackman füllen kann, obwohl er eigentlich große Ruhe ausstrahlt. In ihm bricht die Unterscheidung zwischen Zeit- und Bewegungsbild auf, er ist beides zugleich, die reine Kinetik und ihre Reflexion, das existenzialistische Nichts und die unbedingte Handlung. Auch Nicolas Roeg nutzt das gerade zu Beginn seines Films Eureka, als er diesen Mann auf der Suche nach Gold im Schnee als reine Körperlichkeit zwischen Gier und Traum inszenierte. Kriechend, erfrierend, mit aller Gewalt und Eleganz, die das Glänzen in der Ferne mit sich bringt.

In einer seiner berühmtesten Rollen verwandelt sich dieser Stress in Paranoia. Die Rede ist von Francis Ford Coppolas Der Dialog, in dem die Grenzen zwischen Jäger und Gejagten, Überwacher und Überwachtem, Räuber und Gendarm für Hackman verschwimmen. Das mit Zooms auf der Bildebene betonte Belauschen wird auch zu einer Fahrt in den Kopf eines nervösen Mannes. Wie in Die heiße Spur geht es nicht nur um einen Fall, es geht um einen Charakter, der aufgrund seiner psychologischen Konstitution entscheidende Fehler macht. Passend dazu wird seiner Figur einmal gesagt: Du sollst nicht etwas sein, du sollst nur etwas tun! Dieses Spannungsfeld zwischen Sein und Tun ist auch deshalb so eindringlich, weil das Sein sich in den Weg des Tuns stellt. In einer unvergesslichen Szene in einem engen Aufzug spürt man das ganze Sein eines Menschen, der nicht mehr tun kann.

"Der Dialog": Ein Abhörspezialist verirrt sich in Verschwörungstheorien
"Der Dialog": Ein Abhörspezialist verirrt sich in Verschwörungstheorien


Coppola lässt Hackman immer wieder aus dem Bild kippen, vom Rand des Bildausschnitts hervorlugen. Beständig entzieht sich Hackman seiner Rolle als Mann in Kontrolle und wird mehr und mehr zum Mann außer Kontrolle. Dass er dazu ein Jazz-Saxofon spielt, erzählt vom schmalen Grat zwischen einem abgründigen Rausch der durcheinanderwirbelnden Töne und der musikalischen Meisterschaft. Wie Miles Davis mit dem Rücken zum Publikum spielte, so entfernt sich etwas von Hackman vor unserem Blick. Je nach Situation ist es entweder sein Sein oder sein Tun, beide halten kaum zusammen. Es ist kein Zufall, dass Hackman Jahrzehnte später in Der Staatsfeind Nr. 1erneut einen Überwachungsspezialisten spielt, der selbst überwacht wird. Irgendwie hat er nie etwas anderes gespielt.


Gesellschaftliche Angst

An Hackman entzündet sich die Entfremdung des modernen US-Amerikaners. Eine gesellschaftliche Angst, die im Abklingen der Utopien, den aufkommenden, von der Politik lancierten Verschwörungstheorien, Überwachungsskandalen und dem Kalten Krieg ihre Ventile findet. Ventile, die mehr Luft behalten als abgeben. Obwohl Hackmans Gebaren dem footballliebenden, biertrinkenden US-Kleinstadt-Ehemann beinahe klischeehaft nahekommt, ist er ständig auf Reisen. Oft wird er in Europa inszeniert. Man spürt immer zugleich einen konservativen, rassistischen, religiösen Macho und einen anarchistischen, radikalen und einfühlsamen Querdenker. Im Ausland und jenseits des von Hollywood sonst so überstrapazierten Familienkonstrukts wird dieser innere Konflikt besonders deutlich. Blickt man auf sein Gesamtwerk, erahnt man wie nur bei ganz großen Schauspielern eine Autorenschaft, die nicht immer mit der Qualität der Filme, aber der undurchsichtigen, gebrochenen Seele seiner Figuren zu tun hat.

Selbstredend setzt sich diese Autorenschaft auch in seinem Schreiben fort. Bislang widmet er sich vornehmlich Thrillern und Western. Sein Stil ist trocken und nüchtern. Knappe Sätze und große Klarheit können nicht immer verbergen, dass er spät mit dem Schreiben begonnen hat, aber sie zeugen dennoch von einer Passion für die Literatur. Als Vorbild nennt Hackman übrigens Robert Louis Stevenson, der mit „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ wohl eine der nie gespielten Paraderollen für Hackman geschrieben hat. Noch besser vorstellen könnte man ihn sich aber als Long John Silver aus Stevensons „Die Schatzinsel“, denn es sind genau diese undurchschaubaren, verwundeten, rücksichtslosen Gleichzeitigkeiten, die Hackman ausmachen und als einen der großen Schauspieler der letzten 50 Jahre definieren.


Fotos: Warner Home, Fox, Buena Vista, StudioCanal


Hinweis: Die Hommage an Gene Hackman erschien erstmals am 30.1.2020 zum 90. Geburtstag des Schauspielers.

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