In der Katholischen Kirche läutete die Wahl des argentinischen Kardinals Jorge Mario Bergoglio am 13. März 2013 zum neuen Oberhaupt eine Zäsur ein. In dem Drama „Die zwei Päpste“ umkreist der Regisseur Fernando Meirelles das Ringen um die kirchliche Ausrichtung in Gestalt einer wechselseitigen „Beichte“ zwischen dem bisherigen Amtsinhaber Papst Benedikt XVI. und seinem Nachfolger Papst Franziskus. Ein gefälliger, sanft-ironischer Blick hinter die Kulissen. Der Film ist ab 20. Dezember auf Netflix zu sehen.
Der brasilianische Regisseur Fernando Meirelles hat das Thema seines jüngsten Films „Die zwei Päpste“ eigentlich schon in seinem aufsehenerregenden Drama „City of God“ (2002) aus den Favelas von Rio de Janeiro vorweggenommen. Denn die fiktionalisierte Geschichte eines Aufeinandertreffens der beiden Päpste Benedikt XVI. und Franziskus ist unverkennbar ein gesellschaftlich-soziales Plädoyer für eine überfällige und grundsätzliche Veränderung innerhalb der katholischen Kirche.
Eingeleitet wird „Die zwei Päpste“ durch eine Ansprache von Kardinal Jorge Mario Bergoglio, der als Bischof von Buenos Aires im Jahre 2005 zu den von der argentinischen Wirtschaftskrise gebeutelten Gläubigen spricht. Acht Jahre später ermöglicht Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. durch seinen Verzicht auf das Papstamt eine Kurskorrektur im Vatikan.
Zeit für Veränderungen
Es war eine Zeit, in der die konservativen Bischöfe in der katholischen Kirche dem Zeitgeist Tribut zollen mussten. Der aufgeschlossene Papst der Armen drängt mit seiner natürlichen Nähe zum Volk das pure Machtkalkül und eine Ära der theologischen Auslegung zumindest nach außen und medienwirksam stark zurück. Zu heftig hatten die Enthüllungen über dubiose Verbindungen der Katholischen Kirche zur Mafia, intransparente Geldgeschäfte und die Debatten über die skandalöse Vertuschung sexuellen Missbrauchs durch kirchliche Würdenträger an den Pforten des Vatikans gerüttelt.
Die Schauspieler Jonathan Pryce als Papst Franziskus und Anthony Hopkins als Papst Benedikt XVI. verkörpern die beiden gegensätzlichen Positionen und Charaktere hervorragend. Ihre Meisterleistung korrespondiert mit der handwerklich perfekten, unterhaltsam-ironischen und im Erzählrhythmus gut getakteten Inszenierung. Die Kamera von César Charlone unterstützt den sehr dialoglastigen Film überdies vorzüglich. Ihr Blick gleitet subtil über kleine Details, die Accessoires der Ausstattung und kirchliche Insignien in privaten wie öffentlichen Räumen, wodurch sie eine größtmögliche Nähe, aber auch Distanz ermöglicht.
Die in fast jeder Einstellung spürbare emotionale Spannung und die Sympathie des Regisseurs für den aufgeschlossenen südamerikanischen Menschenversteher rückt sogar die eher devote, reportagehafte Perspektive von Wim Wenders’ „Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes“ (2018) in ein neues Licht.
Zwei Männer und ihr Leben
Bei der Papstwahl im Jahr 2005 strafte Joseph Ratzinger seinen „progressiven“ Konkurrenten Bergoglio noch mit Missachtung. Dessen Vergangenheit – seine Entscheidung für das Priesteramt und gegen die Liebe zu einer Jugendfreundin, die Verstrickung in die argentinische Militärdiktatur ab 1976, als er als jesuitischer Beauftragter mehrere Mitpriester in die Folterkammern lieferte – wird recht ausführlich dargestellt, bis hin zur Ermordung der „Verschwundenen“, die vom Flugzeug aus ins Meer geworfen wurden. Für die Figur von Joseph Ratzinger fehlt eine solche historische Perspektive, was ein ziemliches Ungleichgewicht erzeugt. Nur einige Stimmen anlässlich seiner Wahl zum Oberhaupt der Katholischen Kirche, in denen Benedikt XVI. angesichts fragwürdiger jugendlicher Verfehlungen kommentarlos als Nazi apostrophiert wird, sollen sein hintergrundarmes Porträt etwas auszutarieren.
Sehr bewegend ist die wechselseitige Aussprache und „Beichte“ der beiden Oberhäupter in der Sommerresidenz Castel Gandolfo, wo Benedikt tief erschüttert von der Einsamkeit seiner Rolle und der Last der Verantwortung als Stellvertreter Gottes erzählt. Bergoglio hält dagegen: Die Zeit für eine Veränderung sei gekommen; Frauen müsste ein größerer Raum im Gottesdienst und in der Amtskirche eingeräumt werden.
Die Gespräche sind nicht mit theologischen Diskussionen überlastet. Beim gewichtigen Thema Missbrauch zieht sich die Kamera allerdings sanft zurück, der Ton wird bis zur Unhörbarkeit abgeblendet, die Türen werden verriegelt. Es ist sehr entlarvend, wie „Die zwei Päpste“ hier versucht, das brisante Problem in all seiner Widerwärtigkeit und Widersprüchlichkeit von einer Aufklärung fernzuhalten. Das ist eine Schwachstelle des Films, aber auch eine subtile Anspielung auf die Unfähigkeit zum Eingeständnis der Schuld, die man auch Papst Franziskus immer wieder vorgeworfen hat, weil er entscheidende Schritte nicht konsequent genug unternommen habe.
Der Blick hinter die Kulissen
„Die zwei Päpste“ wirft gefällige Blicke hinter die Kulissen, wo die Protagonisten gemeinsam Pizza essen, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2014 verfolgen, als Deutschland gegen Argentinien gewann, oder ihren unterschiedlichen musikalischen Vorlieben huldigen. Während Bergoglio den Tango, Abba oder die Beatles schätzt, bevorzugt Benedikt das klassische Fach und spielt auf dem Piano sogar ein Album ein, was die Stärke des Drehbuchs von Anthony McCarten unterstreicht.
Als Schwachstellen fallen die verkürzte Darstellung der argentinischen Geschichte auf, wenn Bergoglio als Anwalt der Armen die Banken für die Zustände in seiner Heimat verantwortlich macht, während in Wirklichkeit das Triumvirat aus Regierung, Wirtschaft und Kirche das einst reichste Land Südamerikas in einen Strudel aus immer schwereren Krisen stürzte. Oberflächlich bleibt der Film auch in der kurzen, wie aufgeklebt wirkenden Erwähnung der Flüchtlingskrise, bei der die unterlassenen Hilfeleistungen und das enorme Bevölkerungswachstum in Afrika mit keinem Wort erwähnt werden.
Ab 20. Dezember bei Netflix
Beim Filmfestival in Toronto (5.-15.9.2019) sorgte „The Two Popes“ für viel Gesprächsstoff. Am 27. November soll der von Netflix produzierte Film eine selektive Kinoauswertung in den USA erfahren, bevor ihn der Streamingdienst ab 20. Dezember weltweit in seinem Angebot präsentieren will.
Fotos: Netflix