Passionen: Hommage auf Technicolor

Anlässlich des 3. Technicolor Festivals in Karlsruhe: Wenn Kinobilder in Träume kippen - Lucas Barwenczik über den bleibenden Zauber des Technicolor-Farbfilms

Veröffentlicht am
08. Juni 2019
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Zu rote Lippen trinken zu roten Wein: Das war Technicolor. Eine fast schon mythische Technik der Übersteigerung, die Kinobilder in Träume kippen ließ. Ein Symbol, pars pro toto für das Kino. Entfesselte Farben, von denen vor allem die künstlichsten und fremdartigsten in Erinnerung blieben. Denn wer von Technicolor spricht, meint meist schwelgerische Klassiker wie Singin’ in the Rain, Vom Winde verweht oder eben Der Zauberer von Oz. „We’re not in Kansas anymore“, heißt es dort, wenn das sanfte Sepia der vertrauten Heimat den neuen und fantastischen Bonbonfarben des magischen Landes weicht. Technicolor impliziert in seinem Glanz, der die Wirklichkeit überstrahlen will, immer eine Gegenwelt, meistens die außerhalb des Kinosaals.

In Karlsruhe wurde vom 23. bis zum 26. Mai 2019 im Schauburg-Programmkino bereits zum dritten Mal das bemerkenswerte Technicolor Filmfestival veranstaltet. 13 Spielfilme und 3 Kurzfilme, ein Filmausschnitt und ein Trailer – bis auf den Eröffnungsfilm Irrtum im Jenseits (der in einer 4k-Restauration gezeigt wurde) – allesamt von soliden bis sehr gut erhaltenen Farbdruckkopien aus der Zeit der Erstaufführung. Eine eklektische Auswahl, von Bibelepen (König der Könige, Samson & Delilah) über Kung-Fu-Abenteuer (Goodbye, Bruce Lee) bis hin zu Dokumentarfilmen (Woodstock). Alte Filme, neu erlebt, vielleicht auch erstmals so, wie von den Filmemachern angedacht. We’re not in Karlsruhe anymore.

Farbrausch: "Samson und Delilah"
Farbrausch: "Samson und Delilah"

Es ist interessant, aber eigentlich wenig erstaunlich, wie sehr jeder Technicolor-Film auch von seiner eigenen Technik erzählt. An den Filmplakaten und Titelsequenzen erkennt man sofort: Diese Technik war selbst ein Star. Auf dem Poster zu Douglas Sirks Melodram Die wunderbare Macht prangt das Firmenlogo größer als Regisseur und Drehbuchautor zusammen. Auf dem Technicolor-Festival wirkt es oft, als müsste die große Anzahl von menschlichen Stars allein deshalb aufgebracht werden, damit die Menschen nicht allzu widerstandslos im Farbensturm untergehen: Burt Lancaster, Frank Sinatra, Gary Cooper, Dean Martin, Sammy Davis Jr., Bing Crosby, Barbara Rush, Bruce Lee, Tony Curtis, Janet Leigh, Hedy Lamarr… Von einer Industrie geformte Menschen, deren Spiel offenkundig auch von dieser äußeren Kraft mitbestimmt wird. Mal bekräftigen die Farben ihre Gesten und Blicke, mal werden sie von ihnen verraten.

In der Einführung zu Jacques Tourneurs Der Rebell wird eine „nostalgische Reise“ in „die Zeit vor Mobiltelefonen, Selfies und soziale Medien“ versprochen. Eigentlich ist es merkwürdig, wie oft das Aufführen von älteren Filmen mit Nostalgie gleichgesetzt wird. Von den Stars auf der Leinwand ist keiner gealtert, sie sind so jung und schön wie in dem Moment, als das Licht sie auf Filmmaterial bannte. Und auch die Technicolor-Farben sind dafür bekannt, kaum zu altern – zumindest weniger, als viele mit anderen Methoden eingefärbte Streifen, die heute meist längst verfärbt und verfallen sind. Natürlich haben Kopien, die größtenteils einige Jahrzehnte alt sind, gelegentlich ein paar Kratzer oder Laufstreifen; wirklich stören tut das nie, manchmal wirken sie sogar wie ein Teil der Dramaturgie. Etwa dann, wenn die angekratzte Psyche in Apocalypse Now mit der angekratzten Physis des Materials zusammentrifft. Ein tanzender, zuckender Wahnsinn. Das Lesen eines alten Buchs, Museumsbesuche oder die Aufführung eines jahrhundertealten Theaterstücks würden nie als rein nostalgischer Akt verstanden. Dabei vergegenwärtigt das Kino nicht weniger als andere Medien. Als könnte nicht auch ein alter Film immer etwas radikal Neues oder Vergessenes aufzeigen. Ist Cinephilie alt geworden oder war sie nie wirklich jung?

Als Naturbursche tritt der Held in eher dezenten Farben auf, dafür leuchten die Lippen seiner Liebsten umso röter: "Der Rebell"
Als Naturbursche tritt der Held in eher dezenten Farben auf, dafür leuchten die Lippen seiner Liebsten umso röter: "Der Rebell"

Wie bei jedem Festival erzählten die Filme in ihrer Abfolge und Summe auch eine eigene Geschichte – in diesem Fall vor allem die vom Oz-Kontrast, dem zwischen surrealen Technicolor-Pomp und allem Geerdeten und Reellen. In vielen der ausgewählten Filme wird deutlich, dass selbst der Traumfabrik das übernatürliche Leuchten von Technicolor manchmal unheimlich war. Abenteuergeschichten wie Der Rebell, Vera Cruz oder Der eiserne Ritter von Falworth verbindet eine ähnliche Farbdramaturgie: Die Schurken tragen jene bunten, exzentrischen Gewänder, die das Magische der Technik betonen. Zivilisationsgeschwächte Aristokraten. Ihnen gegenüber stehen kernige Naturburschen in unauffälligem Braun, Schwarz und Grün.

In der Robin-Hood-Variation „Der Rebell“ versteckt sich eine Gruppe Widerständler – die Entsprechung der Merry Men – in einem Wald. Unter den Rebellen ist ein Mann, der ein Stück Leder mit seinen Füßen gerbt. „Kultur“, so erklärt er, „ist, wenn man sich so unnatürlich wie möglich verhält.“ Ein kurioses Zerrbild der adeligen Gegner. Den im Film hyperviril gezeichnete Burt Lancaster und seine Mannen sehen wir in simplen Erdtönen, seine Feinde aber platzen fast vor Rüschen und Ornamentalem. In ihren Thron- und Ballsälen bleibt ihnen oft nur die Verzweiflung, wenn die wilden Urmenschenhelden über ihre Technicolor-Festungen herfallen.

Oft betonen die besonders auffälligen Einfärbungen Menschen und Objekte, die nicht an den jeweiligen Ort gehören. Etwa die Römer-Ruine aus „Der Rebell“, in denen sich die Aufständischen verstecken, oder die kaiserlichen Dragoner aus „Vera Cruz“, die in ihren ritterlichen Rüstungen in einem Western wie kuriose Fremdkörper wirken, merkwürdig unbefleckt vom Schlamm und Staub Amerikas.

Fremdkörper im Wilden Westen: Die bunten Uniformen der Dragoner in "Vera Cruz"
Fremdkörper im Wilden Westen: Die bunten Uniformen der Dragoner in "Vera Cruz"

Der Mythos Technicolor präsentierte sich beim Festival verliebt in andere Mythen: Den des legendären Musikfestivals Woodstock im gleichnamigen Dokumentarfilm von Michael Wadleigh, das wohl schon ohne Kamera und Dreifarbverfahren exakt so übersteigert und grell ausgesehen haben muss – die Batikshirts von Joe Cocker oder John Sebastian allein machen high. Den von Vietnam in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now Redux, der auf der großen Leinwand erst seine zermürbend-lärmige Gewalt ganz entfalten kann. Den von Walt Disney, der in den Kurzfilmen „Willie the Operatic Whale“ oder „Dragon Around“ bekräftigt wurde. Im direkten Vergleich merkt man, dass natürlich auch andere Technicolor-Filme etwas lustvoll Cartoonhaftes haben. Das sie visuell oft wundervoll verzerren und karikieren. Die Filme von Douglas Sirk kann man sich ohne diesen Effekt kaum vorstellen. Wie könnten seine gewaltigen, unaufhaltsam Bahnen brechenden Emotionen je von einem schnöden Naturalismus erfasst werden? Er hat seinen Nachahmern vieles voraus, wohl eben auch eine besondere Farbenwelt.

Denkt man an das Festival zurück, bleiben tatsächlich vor allem Farben in Erinnerung: Das blasse Giftgelb, das in „Apocalypse Now Redux“ nach einem amerikanischen Napalmangriff in der Luft liegt. So muss der Weltuntergang wirklich aussehen. Die Polychromie von Delilahs verführerischem Pfauenfedernkleid, unter Scheinwerfern glitzernd. Prunkvolle Goldtöne, etwa von römischen Gewändern oder dem Körper von Androide C3PO aus dem ersten Star Wars-Film. Das Türkisblau des Meeres im Trailer zu Die zehn Gebote. Und eben Jane Wyman in Die wunderbare Macht, die mit viel zu roten Lippen viel zu roten Wein trinkt.


Fotos: United Artists, Universal, Paramount, Warner

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