„Filmpolitischer Kommentar“ heißt das neue Format auf filmdienst.de, in dem unter anderem der Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, Lars Henrik Gass, in loser Folge zu aktuellen Fragen der Filmkultur Thesen, Widerrufe und Anregungen beisteuert.
Was muss geschehen, um die Filmkultur in Deutschland am Leben zu erhalten? Über diese Frage wird kontrovers diskutiert; immer mehr Petitionen, Manifeste und Forderungen sprießen aus dem Boden – doch bewegt hat sich bislang wenig. Lars Henrik Gass, seit 1997 Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und Vorstandsmitglied des Bundesverbands kommunale Filmarbeit, kommentiert den Kampf ums Kino – und befindet, dass es dabei viel zu oft gar nicht um die Filmkultur geht.
Der
Unmut gegenüber dem deutschen Filmfördersystem, das eine
Filmwirtschaft, die nach ihren selbstgesetzten Maßstäben kommerziell nicht
überlebensfähig ist, mit 300 Millionen Euro im Jahr am Leben erhält, obwohl
kaum nennenswerte Ergebnisse dabei herauskommen, dürfte derzeit mindestens
ebenso groß sein wie gegenüber der Politik, die gewerblichen Ende des Kinos
keinen starken kulturellen Impuls entgegensetzt und es als kulturelle Praxis
auf eine Stufe mit anderen Künsten stellt. Im Bundeskultusministerium werden im
Stile der Ära Kohl alle Argumente und Initiativen für eine andere Filmpolitik
standhaft ausgesessen, etwa bei der Vergabe des Deutschen Filmpreises durch die
Filmakademie, die aus einem Preis für künstlerische Qualität einen Preis für
den Erfolg beim Publikum gemacht hat.
Oder bei einer Filmförderung, die künstlerischen Erfolg eher behindert als fördert. Ausgesessen wurde nicht zuletzt vor allem die Erklärung von rund 80 Filmemacherinnen und Filmemachern, bei der Nachbesetzung der „Berlinale“-Leitung wie jedem anderen kulturellen oder demokratischen Verfahren auf transparente Maßgaben zu setzen.
Mit dieser Erklärung der Filmemacher vom November 2017, die eine in Deutschland beispiellose, das Oberhausener Manifest zwar nicht an Bedeutung, aber an konsensueller Leistung weit überstrahlende, wenn auch filmpolitisch fragile Vereinigung darstellte, kam etwas in Bewegung, das auch die standhafteste politische Ignoranz bislang nicht mehr aus der Welt schaffen konnte.
Manifeste
und Aufrufe folgen fast im Vierteljahrestakt, zunächst bei der Konferenz zur
Zukunft des deutschen Films anlässlich des Lichter-Filmfests in Frankfurt am
Main im April 2018. Dass aus den Böcke von gestern allerdings die Gärtner von
morgen würden, durfte man schon im Voraus nicht erwarten. Im Nachhinein war
daher kaum jemand überrascht, dass man sich nicht auf viel Gemeinsames hatte
einigen können.
Der Versuch, allzu unterschiedliche Interessen in einem Text zusammenzuführen, war ehrenhaft, aber illusionär. Die Unzufriedenheit vieler dürfte sich darauf beschränkt haben, nicht selbst Teil des ganz großen Spiels in der deutschen Filmbranche zu sein.
Edgar Reitz, der Pate des Lichter-Festivals, nutzte mit „4 Thesen zur Filmkultur in Deutschland“ die Plattform für eine Fundamentalkritik des „Gremienfilms“, die man normalerweise aus ganz anderen politischen Ecken hört.
Von Petition zu Petition
Fraglos dürfte die Oberhausener Erklärung, die auch Reitz 1962 unterzeichnet hatte, selbst einen gewissen Anteil an der Entstehung des Systems haben, dessen Zustand er gerade mit Recht beklagt. Die historisch legitime Forderung nach einer kulturellen Förderung des Films hat zwischenzeitlich alle Akteure erfolgreich vom Markt gefegt und schützt nicht nur diejenigen, die auf ihm kommerziell nicht bestehen können, weil sie künstlerisch motiviert sind.
Wo ein Festival sich hervortut, darf das andere nicht nachstehen: Michael Kötz, Filmfestivalleiter in drei Städten, publizierte im Herbst 2018 –ziemlich im Alleingang, wie man hört – die sogenannte „Ludwigshafener Petition“, die die Überlegungen aus Frankfurt ungeniert aufgriff.
Nun erfolgte überdies ein „Aufruf zur Cinéphilie“, initiiert von überwiegend jungen Kinobetreibern und Programmgestaltern. Die Erklärung ist ein Sample aller richtigen filmpolitischen Forderungen der letzten Jahre, sowohl von Verbänden wie der AG DOK, dem Bundesverband kommunale Filmarbeit oder dem Verband der deutschen Filmkritik als auch von nicht-institutionellen Initiativen, etwa „Festivalarbeit gerecht gestalten“.
Das aber macht den Aufruf zugleich etwas nebulös in der Prosa und unübersichtlich in den Zielsetzungen. Bei einem ersten öffentlichen Auftritt während der „Berlinale“ im Neuköllner Kino Wolf, einem der innovativsten Kinokonzepte der letzten Jahre, in dem Aufführung, Produktion und sozialer Raum miteinander verbunden werden – waren die vielen unbeschriebenen Themen-Plakate an den Wänden am Ende randvoll mit Anmerkungen der Anwesenden.
Nachdem viele Jahre lang gefordert und diskutiert worden war, müsste nun aber doch endlich mal aufgezeigt werden, wie richtige Forderungen politisch umgesetzt werden sollen, denn es besteht ein beträchtliches Risiko, dass die soziale Mobilisierung sich von Manifest zu Manifest, von Initiative zu Initiative abschwächt statt sich zu verstärken.
Cinephilie oder Geschäftsmodelle?
Wo ein Aufruf, da ein Verband. In diesem Falle, man reibt sich die Augen, ironiefrei gleich ein „Hauptverband“, der, so sagte man mir, „antragsfähig“ werden solle. Die Forderung nach „Cinéphilie“, die zu den verblassten Mythen der Filmkultur gehört, erinnert mich an ein Seminar an der dffb, bei dem ich zu Gast war und in dem die Studierenden schon im Vorfeld zu dem für sie wahrscheinlich mutigen Ergebnis gekommen waren, dass sie „politischer“ werden sollten.
Ich wollte die Anwesenden nicht vom Gegenteil überzeugen. Ob allerdings die geistig-moralische Wende zurück zur „Liebe zum Kino“ den konkreten politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen begrifflich ernsthaft gewachsen ist, bezweifele ich. Der Aufmerksamkeitswettbewerb unter den oppositionellen Kräften droht sowohl die gründliche Analyse der Situation zu vernachlässigen als auch dem Alarmismus der tradierenden institutionellen Kräfte in die Hände zu spielen.
Seit
der Entdeckung, dass ihr Geschäftsmodell im Niedergang begriffen ist,
verteidigt die Kinowirtschaft in Schockstarre vor den Streamingdiensten den
„Kulturort Kino“ (in der Verlautbarung der AG Kino zur
Filmpolitik 2017-21). Welche „Kultur“ hier gemeint ist, macht der offene Brief des Internationalen Verbands der Filmkunsttheater (CICAE) an den
scheidenden „Berlinale“-Leiter Kosslick und die Kulturstaatsministerin Grütters
vom 11. Februar 2019 unumwunden klar: Es geht allein um die Sicherung von
Besitzständen. Die „Berlinale“ möge wie in Cannes Filme von Streamingportalen
wie Netflix vom Wettbewerb ausschließen (wie lange man die Entscheidung in
Cannes durchhält, bleibt abzuwarten).
Vom fragwürdigen demokratischen Verständnis gegenüber Wettbewerben einmal abgesehen, wird hier offenbar versucht, prohibitiv gegen die gegenwärtig marktfähigsten Auswertungsformen für Film vorzugehen. Ein durchschaubares taktisches Manöver: so viel Kultur, wie dem eigenen Geschäft dient.
Regression zu „kultureller Identität“
Zum historischen Stand der Kinokultur müssen wir uns in Deutschland regelmäßig von außen unterrichten lassen, etwa von Alexander Horwath, der daran erinnerte, dass Kino mehr ist als der Filmstreifen, den eine gutgemeinte Initiative „in Gefahr“ sieht und durch die Digitalisierung gerettet sehen will.
Aus konservatorischer Sicht ist das nachvollziehbar, filmpolitisch aber längst auf der Mainstream-Agenda der Kulturstaatsministerin, die daraus einen Masterplan zur Rettung der Nation machte. Es handelt sich hier nicht um die Rettung von Kinematografie und Filmgeschichte (nicht-deutsche Produktionen in deutschen Filmarchiven sind per definitionem ausgeschlossen), nicht um die Bewahrung der medialen Praxis „Kino“, sondern um die Ertüchtigung deutscher Spielfilme für eine erneute Kinoauswertung: ein Geschenk an die deutsche Filmwirtschaft als Teil einer streng nationalen Vorstellung "kultureller Identität“, so der Wortlaut der Kulturstaatsministerin.
Untrügliche
Kennzeichen des regressiven Zugs im Umgang mit dem Kino ist die Überblendung
der sozialen Frage durch Ästhetik, von Kritik durch Bewunderung, von Denken
durch Werte, von Qualität durch Nationalismus, sowie die identifikatorische und
tribalistische Projektion auf das Kino, von dem man mediengeschichtlich im
Rückblick zumindest behaupten kann, dass es einen neuartigen Zugang zu
gesellschaftlicher Wirklichkeit geschaffen hat, der jetzt gerade aus dem Blick
gerät.
Dementsprechend trostlos fiel die Replik auf Horwath durch den Leiter der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin aus. Keine der den deutschen Filmmuseen vorstehende Leitung vertritt erkennbar ein mediengeschichtliches Verständnis von Kino oder schenkt diesem besondere Aufmerksamkeit.
Kino jedoch hatte an uns vor allem eine soziale Frage; daran erinnerte Hilmar Hoffmann bereit 1972, der in Deutschland das erste und einzige Kino gleichberechtigt neben den anderen Künsten etablierte: „Wenn es dem Kommunalen Kino nicht gelingt, die eigene gesellschaftspolitische Rolle mit den progressiven gesellschaftlichen Erfordernissen zu synchronisieren, ist ihr Stellenwert kaum höher als auf der Ebene der musealen Medien zu veranschlagen“.
Der Autor Lars Hendrik Gass ist seit 1997 Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Er veröffentlicht regelmäßig Essays, Kritiken und Vorträge zu Film, Photographie sowie kultur- und filmpolitischen Themen und lehrt zu Film und Kulturmanagement. Er ist Mitherausgeber der Bände "Provokation der Wirklichkeit. Das Oberhausener Manifest und die Folgen" (2012) und "after youtube. Gespräche, Portraits, Texte zum Musikvideo nach dem Internet" (2018) sowie Autor der Bücher "Das ortlose Kino. Über Marguerite Duras" (2001), "Film und Kunst nach dem Kino" (2012) und "Filmgeschichte als Kinogeschichte. Eine kleine Theorie des Kinos" (2019).