Alle Jahre wieder wird Weihnachten auch im Kino ein Thema. Meist als „Unterhaltung für die ganze Familie“, 90 Minuten Glückseligkeit oder zumindest am Ende die Gewissheit, dass das Leben schön ist. Dabei wissen wir doch alle, dass der Weg durchs Leben manchmal holpert und „Familie“ einen nicht immer stark macht. Damit ist auch schon das Setting von „4 Könige“ gesetzt. Doch wenngleich der Film zur Weihnachtszeit spielt, bedeutet dies nicht, dass Regisseurin Theresa von Eltz in ihrem Debüt gute Gefühle auf dem Goldteller serviert: Vier junge Leute – Lara, Alex, Timo und Fedja – müssen die Feiertage in der Jugendpsychiatrie verbringen. Weil sie auf Drogen hängengeblieben sind, sich selbst verletzt haben, ihre Aggression nicht kontrollieren können oder Opfer von Gewalt geworden sind. Alle sind sie traumatisiert, alle sind von ihren Eltern enttäuscht. Nun sind sie hier, in „der Klapse“. Und die Zeit schleicht dahin zwischen Aufstehen, Gruppengespräch, der Zigarette am Abend und „O du fröhliche“. Eine Zwangsgemeinschaft, die auf Freiwilligkeit beruht, wie ihr behandelnder Arzt Dr. Wolff immer wieder betont. Sie können jederzeit gehen. Nur – wohin? Soll Alex wirklich zu ihrer depressiven Mutter zurückkehren, die sie mit ihren Besitzansprüchen erdrückt? Und ist Lara, die „Weihnachtspimmel“ für den Baum bastelt, beim Festessen der Eltern überhaupt erwünscht? Also bleiben sie, zumal die vier keinen Stern sehen, der ihnen den Weg weist.
Aber es gibt Dr. Wolff. Er setzt auf Verantwortung, nicht Entmündigung. Er lässt die Jugendlichen aufeinander los, und natürlich lassen sie sich, fast ohne es zu merken, aufeinander ein. Durch Reibung entsteht Wärme, und das ist etwas, was alle dringend nötig haben. Dabei erscheint die Klinik der denkbar schlechteste Ort dafür zu sein. Theresa von Eltz inszeniert die Anstalt – wenig überraschend – als einen kalten Raum. Das Licht ist kühl, die Wände sind weiß oder blau, die Gesichter fahl, die Stille dringt durch jede Ritze. Und die Augen des Arztes sind klar wie Eis – ebenfalls kein Wunder, sie gehören Clemens Schick, der ganz den einsamen Wolf gibt, der bei der Behandlung seiner jungen Patienten eigene Wege geht. Seine Gegenspielerin ist Schwester Simone, eine Light-Version der Oberschwester Ratched aus Miloš Formans „Einer flog über das Kuckucksnest“
(fd 19 710). Sie sieht die Regeln, nicht den Menschen, und damit ist das Drama fast schon vorprogrammiert.
Die Charakterisierung ist etwas schemenhaft und dennoch stimmig, nimmt der Film doch ganz die Perspektive der Jugendlichen ein. Dabei kommen die Erwachsenen nicht gut weg. Sie sind depressiv, ungerecht, seelisch verkrüppelt und alles andere als tolle Vorbilder. Die Kritik an schwachen Eltern und der psychiatrischen Behandlung im Allgemeinen liegt auf der Hand. Doch vor allem geht es um die jungen Protagonisten, die trotz ihrer Ausnahmesituation viel mit ihren Altersgenossen gemein haben. Erwachsenwerden ist nicht einfach.
Die Regisseurin schenkt den jungen Frauen und Männern viel Raum und Zeit und lädt dadurch zum Schauen ein. Und zum Hinhören. Geschickt setzt der Film einen Rhythmus aus Stille und Musik. Fedja etwa, der aufs Grausamste malträtiert wurde, hört man eher, bevor man ihn sieht. Wenn die Angst zu mächtig wird, wird sein Atmen zu einem Keuchen, das alles Andere verstummen lässt. Rückzug ins Innere. Als Zuschauer ist man dann ganz bei ihm und leidet mit. „4 Könige“ ist wahrlich keine leichte Kost, aber sie wird getragen von einer talentierten jungen Darstellerriege und ist garniert mit feinem Humor-Streuseln und einem Hoffnungsschimmer. Kein Bilderbuch-Happy End, aber mit leeren Händen geht auch niemand. „Oft sind die Sachen, die Leute an einen befremdlich finden, wenn man jung ist, genau dieselben, die einen interessant machen, wenn man älter ist“, sagt Dr. Wolff einmal. Vielleicht reicht das ja als frohe Botschaft aus. Es ist schließlich Weihnachten.