Als vor 20 Jahren Jonathan Demmes „Philadelphia“
(fd 30 662) in die Kinos kam, dachte man, das Eis sei gebrochen. Es war der erste AIDS-Film aus Hollywood, legitimiert durch die Mitwirkung von Stars wie Tom Hanks und Denzel Washington. Doch danach haben die Major Studios das Thema allenfalls am Rande tangiert. Nun bringt Focus Features, ein Ableger von Universal Pictures, „Dallas Buyers Club“ ins Kino, einen AIDS-Film, dessen Drehbuch 18 Jahre auf seine Realisierung warten musste.
Wie so viele aktuelle Filme beruht auch er auf einer wahren Geschichte. Der texanische Elektriker Ron Woodroof, der schon in der ersten Szene seine ungezügelte Vorliebe für Rodeo und leichte Mädchen demonstriert, ist keine erfundene Figur. Ebensowenig erfunden ist, dass sich Woodroof, der vulgäre Homophobe, mit HIV infizierte. Die Ärzte geben ihm noch 30 Tage, doch Woodroof lässt sich nicht einschüchtern. Die Story spielt in den 1980er-Jahren, als die Wissenschaft noch vor einem Rätsel stand, wie mit AIDS umzugehen sei. Also macht sich Woodroof daran, haufenweise Pillen zu schlucken, von denen man sich Wunder versprach. Mit der ihm eigenen profanen Lebenslust spült er Hände voller Medikamente und Vitamine samt Schnaps und Drogen hinunter. Als er damit ein ganzes Jahr überlebt, dämmert Woodroof, dass er aus seinem privaten Pillenschmuggel ein lukratives Geschäft machen könnte. Geschickt umgeht er die gesetzlichen Hindernisse, indem er in einem schäbigen Motel einen Club gründet, dessen Anhänger zwar 400 Dollar Mitgliedsbeitrag zahlen müssen, dafür aber die illegalen Medikamente kostenlos bekommen.
Woodroof hat das Todesurteil der Ärzte um sieben Jahre überlebt. Doch nicht alle in seiner Umgebung hatten so viel Glück. Der Film führt deshalb eine Nebenhandlung ein, in der Woodroof, der aggressive Schwulenhasser, allmählich freundschaftliche Gefühle für einen sensiblen Transsexuellen entwickelt. Szenen wie diese befördern den Film in der zweiten Hälfte von einer realistisch-ironischen Betrachtung auf eine menschlich bewegende Ebene, ohne ins Sentimentale abzugleiten.
Die Glaubwürdigkeit dieser Entwicklung ist vor allem den Schauspielern zu verdanken, deren Figuren dem Milieu geradezu entwachsen zu sein scheinen. Matthew McConaughey, der für die Rolle 40 Pfund abgenommen hat und in den ersten Einstellungen kaum wiederzuerkennen ist, strahlt eine nicht für möglich gehaltene proletarische Energie aus, die den vom Tod gezeichneten AIDS-Kranken zu einem unvergesslichen Kinohelden macht. Dass Jared Leto dieser Leistung in der Rolle des Transsexuellen eine tragische Charakterstudie an die Seite zu setzen vermag, die dem gewohnten Stereotyp fast völlig entgeht, ist umso erstaunlicher.
„Dallas Buyers Club“ wäre ein großartiger Film geworden, wenn Drehbuch und Regie die Randfiguren und -situationen mit der gleichen Sorgfalt bedacht hätten, die sie den beiden Hauptrollen widmen. Doch da liegt manches im Argen. Sowohl politisch wie medizinisch kommt der Film nicht über die üblichen Klischees hinaus. Die Figur einer mit Woodroof sympathisierenden Ärztin (gespielt von Jennifer Garner) wird dabei so stiefmütterlich behandelt, dass der Film in allen Fugen ächzt, sobald sie auf der Leinwand erscheint.
Als Anti-Establishment-Story, die „Dallas Buyers Club“ wäre, bedürfte es auch detaillierterer Informationen über die Situation in den 1980er-Jahren, die für heutige Kinogänger schon so weit zurückliegt, dass man genaue Kenntnisse kaum unterstellen kann.