Eigentlich sind Naturfilme ganz einfach. Um dem Wunder im Kleinen und im Großen auf die Spur zu kommen, muss man den Geschöpfen der Erde „nur“ mit einer hochauflösenden Kamera beim Wachsen zuschauen oder – besser – in die Luft gehen, um die Struktur, wenn schon nicht begreifen, so doch zumindest erkennen zu können. Ansonsten sollte man tunlichst schweigen und die Bilder von der Musik umspielen lassen. Diese wird, egal ob dezent, euphorisch, kitschig oder geheimnisvoll, den Geist des Zuschauers anregen, der sich dann seine höchst eigene Geschichte erzählt. Auf diese Weise wurden schon viele Filme gemacht; allzu viele „von oben“ oder einfach nur tiefenscharf und in HD.
„Das Geheimnis der Bäume“ ist auch ein Film „von oben“, mit brillanten Bildern und in HD – und doch unterscheidet er sich von den vielen anderen auf angenehme Weise. Denn er geht das Wagnis ein, zu erzählen. Nicht auf informative, spannende, analytische oder sichere Weise, wie es Grzimek oder Attenborough früher vorgemacht haben. „Das Geheimnis der Bäume“ wagt sich in die Sphären der Poesie, des Sprachklangs und der Wahrhaftigkeit. Diese Art der Wissensvermittlung ist in der Regel nah am Kitsch und an unfreiwilligrn Komik gebaut. Wozu das führen kann, lässt sich an Luc Jacquets „Die Reise der Pinguine“
(fd 37 283) ablesen, der zudem den Fehler beging, seine tumben Zweibeiner stellvertretend eine Menschengeschichte „spielen“ zu lassen. Dabei kam ein unerträglich menschelnder Tierfilm heraus, der mehr an einer Moral und einer Botschaft interessiert ist als an dem Naturwunder, das er eigentlich zeigen wollte.
Glücklicherweise geht es in Jacquets jüngstem Werk nicht etwa um den kleinen Baum namens Moabi, der sich auf ein 1000-jähriges Abenteuer einlässt und aus dem Dung der Elefanten seine Kraft bezieht, um im täglichen Überlebenskampf der langen Reise ans Licht tausend Gefahren zu überstehen. „Das Geheimnis der Bäume“ zeigt vielmehr den Urwald (auch Primärwald genannt), der – solange er intakt ist – wirklich die Krönung der Schöpfung ist. Obwohl er oberflächlich gesehen ungeordnet und lebensfeindlich wirken mag, geht hier alles seinen geregelten, immerwährenden Gang. Erst wenn der Urwald durch Menschenhand verschwindet und günstigenfalls dem Sekundärwald, wie man ihn aus der Försterei kennt, Platz macht, wird er zum undurchdringlichen, ungleichgewichtigen Dickicht, zum Pflegefall.
Diese Erkenntnisse und noch viele weitere vermittelt ein älterer Herr, der behutsam durchs dunkle Unterholz wandert, stumm sein Zeichenbuch füllt oder den Pflanzen einfach beim Wachsen zuschaut. Francis Hallé ist Biologe und Botaniker und gehört mit seinen 75 Jahren zu den großen Männern seiner Zunft, die sich mit der Ökologie des Primärwaldes ein gefühltes Arbeitsleben lang beschäftigt haben.
Zusammen mit Jacquet, der mit seinem Kameramann Antoine Marteau einmal mehr für atemberaubende Bilder sorgt, hat Hallé das Drehbuch verfasst, in dem es unter anderem um seinen Lieblingsbaum, dem Moabi, geht, der mit seinem filigranen Blätterdach majestätisch über dem Urwald von Gabun thront, so er sein stattliches Alter von rund 1000 Jahre tatsächlich erreicht. Aus dem Off vernimmt man die Geschichte, die ein solches Wesen haben kann, aber auch die anderen Geschichten um ihn herum, die die enorme Artenvielfalt erst möglich macht.
In der deutschen Fassung verleiht Bruno Ganz dieser Stimme Gewicht. Es ist eine bedächtige, nicht pathetisch aufgeplusterte, sondern nachdenkliche, sehr angenehme Stimme, die nicht nur intelligente Dinge sagt, sondern mitunter auch einfach nur schöne. Nicht immer schenkt man ihm Glauben, wenn Hallé beispielsweise über die Düfte der Bäume fabulieren, die gezielt ausströmen, wenn es wieder regnen soll – aber das ist in diesem Fall nahezu egal. Denn der Film verströmt selbst so etwas wie Magie, die sonst nur den Naturbeschreibungen des Anime-Großmeisters Hayao Miyazaki innewohnt.
Jacquet hat neben den hochauflösenden Bildern erstmals auch Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung mit dem Computer animiert und mit dem Zeitraffer zum Leben erweckt. Auch das ist ein schöner Kniff, der den Film im Konzert der vielen anderen Themen zu etwas Besonderen macht: zu einem Fest für die Sinne.