Immer höher soll die Mauer werden, die das Kloster im Osten Irlands umschließt. Und weil die Bedrohung durch die Wikinger immer greifbarer wird, ist Eile geboten. Umso mehr ist der Abt Cellach darüber erzürnt, dass sich sein Neffe Brendan viel mehr für das kostbare Buch mit dem goldenen Umschlag interessiert, das Bruder Aidan auf seiner Flucht aus Schottland mitgebracht hat, und nicht mehr beim Bau der Befestigungsanlage mithilft. Brendan ist fasziniert von den wunderbaren Zeichnungen, mit denen Aidan jede Seite des Buchs zu einem Kunstwerk macht. Doch Aidan ist bereits alt, seine Augen werden schlechter – und allein wird er das Buch nicht fertig stellen können. So führt er den Jungen ohne Wissen von Cellach allmählich in die Arbeit eines Illuminators, eines Buchmalers, ein. Um nach Beeren zu suchen, aus denen Aidan Farbe gewinnen will, verlässt Brendan zum ersten Mal in seinem Leben heimlich das sichere Kloster und betritt den dunklen Wald, der es umschließt. Tatsächlich gerät er schnell in eine gefährliche Lage, aus der ihn die Waldfee Aisling rettet. Später wird sie ihm noch ein weiteres Mal beistehen; denn für die Illustrationen benötigt Aidan auch einen besonderen Kristall – das Auge des Crom Cruach, einer Kreatur, die sich in einer Höhle im Wald verbirgt.
Irische Folklore und Mythologie, historische Fakten und Fiktion verbindet Tomm Moore in seinem Animationsfilm zu einer neuen Einheit und reichert diese zudem mit typischen Elementen einer Coming-of-Age-Geschichte an: Brendan entdeckt seine Talente, gewinnt an Selbstbewusstsein und ist nicht länger abhängig von den Erklärungen seines Onkels. Während jener hinter den Mauern Schutz sucht und sich von der Außenwelt abschottet, gewinnt Brendan durch das Buch von Kells eine neue Sicht auf das Leben, findet in seiner Kreativität Freiheit und in der Waldfee Aisling eine Verbündete, mit der er sich seinen Ängsten stellen kann. Universelle Fragen schließlich wirft „Das Geheimis von Kells“ auf, indem es die Schönheit der Kunst als Kontrapunkt zu Krieg und Terror setzt. Dass diese daher auch in schweren Zeiten lebenswichtig ist, davon erzählt Moore ebenso unaufdringlich wie mitreißend. Sowohl mit ihrem Thema als auch mit ihrer bildlichen Experimentierfreude widersetzt sich die irisch-französisch-belgische Co-Produktion üblichen Konventionen. Seltsam flächig und fast ein wenig einfach wirkt der Zeichenstil zunächst; eine Anordnung von Ebenen, aber keine Bilder mit räumlicher Tiefe und zudem offensichtlich falschen Perspektiven, weil die räumliche Verzerrung aus der Perspektive des Beobachters oft ignoriert wird. Doch sobald Brendan von der Schönheit der Buchmalerei in den Bann gezogen wird, finden das visuelle Gestaltungskonzept und die Handlung des Films auf wunderbare Weise zueinander. Moore lehnt sich eng an das prachtvoll verzierte Buch von Kells an, das bedeutendste Werk der irischen Buchmalerkunst aus dem 9. Jahrhundert. So taucht nicht nur Brendan in die detaillierten Zeichnungen von Aidans Buch ein, eine wahre Schatztruhe aus Formen und Farben, Mustern und Geflechten, sondern mit ihm auch der Zuschauer. Äste mit kleinen Blättern oder gar Nebelschwaden winden sich kunstvoll zu Spiralen, Schneeflocken haben die Form des irischen Knotenmusters, Augen erinnern an keltische Kreise. Nahezu jedes Bild imitiert die Buchornamente oder die Architektur jener Zeit und lädt zum Staunen ein.
Einen faszinierenden Einblick in die Entstehungsgeschichte des Films bietet das Bonusmaterial der DVD/Blu-ray, das vollständig von der US-amerikanischen Ausgabe übernommen wurde und ohne übliche Marketing-Phrasen auskommt. Wenn Moore etwa im Kommentar zu einer halbstündigen Diashow mit Entwurfszeichnungen und Bildern aus dem Film ästhetische Einflüsse und Konzepte erläutert, dann trägt er damit zum tieferen Verständnis bei und macht Lust, mit Brendan das Geheimnis des Buchs von Kells noch einmal zu entdecken.