Es sind wunderschöne, fließende Bilder eines Familienglücks aus der Idylle einer US-amerikanischen Kleinstadt der 1950er-Jahre, mit denen Terrence Malick in seinen Film hinein zieht: Eine Mutter tollt mit ihren drei Söhnen über die ruhigen Straßen, die Sonne bricht gleißend durch die Baumwipfel, Hände streichen über Grashalme und Baumrinden. Doch es ist ein vergangenes Glück, das durch die Nachricht vom Tod eines Sohnes jäh unterbrochen wird. Der Schmerz ist so unfassbar wie das Glück zuvor. Und wie das Unwohlsein, das der älteste Sohn als Erwachsener in den vertikal ausgerichteten Wolkenkratzern der modernen Gegenwart empfindet. Man folgt seinen Erinnerungen an die Kindheit, an den Vater, der sich in seinen Ambitionen getäuscht sah und seine Erwartungen auf die Söhne wie den Stempel eines Tyrannen drückte. Vorangestellt sind Aufnahmen einer ständig in Bewegung befindlichen Natur: kleinste Zellteilungen, Flüsse von rot glühender Vulkan-Lava, das Auftreffen von Wellen unter Wasser, die sphärischen Phänomene des Weltalls. Es wird nicht ganz klar, ob man sich am Ende oder zu Beginn der Welt befindet. Man sieht eine Erde abseits der Errungenschaften der Zivilisation, die Malick schon immer suspekt waren, und folgt der Huldigung einer irdischen Schönheit, deren Existenz seine Figuren seit jeher in mystisches Erstaunen und Gottesfurcht versetzte.
Stets spuken Tod und Leben, Entstehen und Vergehen Malicks gläubigen Protagonisten im Kopf herum, und damit durch ihre sinnierenden Voice-Over-Gedanken, einen Bewusstseinsstrom voller Dispute mit Gott, der über den bewundernden Blicken auf die Umwelt lag. Dieses höhere Wesen offenbarte sich für Malick noch stets in der Natur; diesmal wird es als „Vater“ oder „Mutter“ angesprochen. Geteilt wurde diese Sicht von einer Indianerprinzessin und ihren beiden britischen Ehemännern in „The New World“
(fd 37 497) oder von den zum Sterben verdammten Soldaten auf dem „schmalen Grat“
(fd 33 554) zwischen tropfenden Wäldern und grünen Anhöhen einer tropischen Pazifik-Insel im Krieg gegen die Japaner. Unvergessen auch die verwaiste Tochter, die dem Tod durch die Hand ihres Liebhabers in der staubigen Prärie der „Badlands“
(fd 20 728) so anteilslos gegenüberstand. 30 Jahre ließ sich Malick nach „In der Glut des Südens“
(fd 22 049) Zeit, bevor er mit „Der schmale Grat“ für zahlreiche „Oscars“ nominiert wurde und den „Goldenen Bären“ auf der „Berlinale“ errang. Angesichts dessen wirkt der je sechsjährige Abstand zwischen dem eindrücklichen Kriegsalbtraum „Der schmale Grat“, „The New World“ und „The Tree of Life“ fast schon rasant. Die Protagonisten dieser Filme verband die Zwiesprache mit Gott, die Unfassbarkeit des Verlusts und die Sehnsucht nach einem Leben fernab ihrer misslichen Herkunft.
2011 wurde „The Tree of Life“ durch die „Goldene Palme“ von Cannes geadelt, was irgendwie zu einem Film passt, der sich schon im Titel eine ultimative philosophische „Abrechnung“ mit Leben, Tod und Glauben auf die Fahne geschrieben hat und dabei fast schon wie eine Überhöhung aller Motive in Malicks Œuvre wirkt. Es ist sein persönlichstes, aber auch sein zerpflücktestes Werk: Zu groß ist die Ambition, den Sinn allen Lebens von Anfang bis Ende zu erkunden; zu pathetisch wirkt die Anstrengung, unter exzessiven Orgelklängen und der Ikonografie des Christentums fast schon metaphysisch von der finalen Aussöhnung des Menschen mit Gott und dessen fehlender Anteilnahme am irdischen Unglück zu sinnieren. So fantastisch diese elegischen Bilder des Lebens, diese Liebeserklärung an die Erde als visuell explodierende Erörterung auch sein mögen, so unangenehm berühren manche Ideen, mit denen Malick diese vermitteln will: Ein Raubdinosaurier hält den Kopf eines krank am Flussbett liegenden Pflanzenfressers am Boden, die Beute ist zum Greifen nah – und doch verschont er sie. Kurz darauf sorgt ein Asteroid für die zerstörerische Flutwelle und den Beginn der Menschheit. Diese versammelt sich am Ende des Films (und vielleicht der Geschichte überhaupt) an der Küste des Jenseits, wo alle Verletzungen, die man sich zufügte, verziehen werden – bis am Schluss ein Planet in der glühenden Hitze einer Sonne vergeht.
Im Grunde erzählt Malick von der Kleinheit des Menschen im ewigen Rhythmus des Lebens und angesichts der Größe der Galaxien, während eine individuelle Kindheit in surreal anmutenden Erinnerungen doch so schmerzhaft empfunden werden kann. Es ist auch die Geschichte einer väterlichen Unterdrückung, stark verkörpert durch Brad Pitt, und der Angespanntheit eines „Zuhauses“, in dem sich alle Bewohner gerne in einem anderen Raum als ihr Oberhaupt aufhalten. Von dieser schier unerträglichen familiären Schieflage, die in Aufmüpfigkeit, Hass und am Ende in Verzeihen mündet, erzählt Malick zwischen den Wundern der Welt ebenso traumhaft schön wie viel zu lang. Für die Eltern ist der Tod des Sohns eine Hiobs-Erfahrung: Sie verstehen nicht, warum „tugendhaften“ Menschen wie ihnen ein solches Unglück aufgelastet wird. Makellos ist der Charakter des Vaters allerdings nicht; auch er ist von Neid und Ehrgeiz zerfressen, das macht der Rückblick des erwachsenen Sohns klar. Die grandiosen Aufnahmen des Weltalls, die an das Gefühl erinnern, das Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“
(fd 15 732) einst auf der Leinwand erzeugte, verbildlichen wiederum die selig machende Lehre, die der Mutter einst von Nonnen vermittelt wurde: den zur Erfüllung einzuschlagenden Lebensweg der Gnade im Gegensatz zu dem der Natur.
Die Aussöhnung ist das Ziel von Malicks filmischen Elegien über Leben und Tod. Sie ist es auch in diesem Alterswerk, das alles zu vereinen scheint, was sein eigenes Leben und die Schöpfung zu bestimmen scheint. „Wo warst du?“, lautet die zentrale und zornige Frage der Figuren; Erlösung im Loslassen heißt ihr ersehntes Ziel. Das narrative Scheitern an der Grandiosität der Bilder, das Verheben an den eigenen Ambitionen, das ist das Ergebnis für ihren Erzähler.