Auf den ersten Blick könnte man meinen, „I am Love“ von Luca Guadagnino habe es auf die Kultivierung eines ebenso perfekten wie luxuriösen Retro-Chics abgesehen. Der Vorspann ist in altmodisch geschwungenen Titeln im Stil der 1950er-Jahre gehalten, das opulente Setting lässt an die Filme von Luchino Visconti denken. Es beginnt mit der detaillierten Schilderung eines Abendessens in der mondänen Villa der Recchis, einer bourgeoisen Mailänder Familiendynastie, die eine traditionsreiche Textilmanufaktur besitzt. Edoardo, Gründer des Unternehmens und Patriarch der Familie, feiert seinen Geburtstag. Es ist ein wichtiges Ereignis, denn es geht um das Erbe. Sein Sohn Tancredi soll die Firma übernehmen, und zur Überraschung aller Versammelten auch Edoardo jr., sein Enkel. Wie die Inszenierung die Gesellschaft der Recchis in Bilder einfängt, in gedämpftem Licht und seltsam erstarrt, ist der Malerei so nah wie dem Filmbild. Oberflächen und Texturen geraten ins Visier, Möbel, Geschirr und Stoffe, doch sie bleiben unnahbar und distanziert. Der Film widmet sich ausgiebig den Interieurs, der Kleidung und den Accessoires. Das Etikett „Ausstattungsfilm“ wäre dennoch fehl am Platz. Vielmehr lässt Regisseur Guadagnino Figuren, Kostüme, Ausstattung, Musik und Erzählung gleichberechtigt nebeneinander stehen, bis sich alles zu einem symphonischen Ganzen zusammenfügt. Er zeigt damit auch, wie sehr die bourgeoise Dynastie mit der Welt ihrer Objekte verbunden ist. Dinge werden zu Protagonisten – und Menschen verdinglicht; ein Unterschied ist kaum mehr auszumachen. Jeder der Recchis hat seinen Platz, alles ist in eine feste Ordnung gepresst, die Luft zum Atmen ist knapp. Emma, Tancredis Frau, funktioniert zwar wie ein perfektes Uhrwerk innerhalb der häuslichen Abläufe; mit ihrer Schönheit und Eleganz trägt sie maßgeblich zum Glanz der Familie bei. Doch sie wirkt unbeteiligt und „eingefroren“, wie ein Model auf einer Anzeige des italienischen Traditionslabels „Fendi“. Später erfährt man, dass Tancredi die gebürtige Russin von einer seiner Russlandreisen „mitgebracht“ hat – wo er auf der Suche nach Kunstschätzen war.
Der Film erzählt, wie Emma allmählich aus ihrem musealisierten Leben erwacht. Ausgelöst durch das vertrauliche Geständnis ihrer Tochter Elisabetta, lesbisch zu sein, wagt sie plötzlich, ihre unsichtbare Position zu verlassen. Über Edoardo jr. lernt sie Antonio kennen, einen Koch, mit dem ihr Sohn gemeinsam ein Restaurant eröffnen möchte. Emma verliebt sich in den Mann, der sie anders als Tancredi ganz unverstellt sieht. Natürlich räumt die Regie auch dem Essen einen entscheidenden Stellenwert ein; für Emma wird es zu einer sinnlichen Erfahrung, die ihr erotisches Begehren wachruft. Das Pseudo-Genre „Kulinarisches Kino“ führt jedoch in die Irre. Schließlich ist das Essen nur eines von vielen Ritualen, die eng an den Machtapparat Familie geknüpft sind; erst durch die Begegnung mit Antonio verliert es diese Funktion, es wird zu etwas Lustvollem. Immer öfter verlässt Emma ihr Mausoleum, zuerst sieht man sie durch die Stadt streifen (was sehr Hitchcock-like gefilmt ist), später sucht sie Antonio in seinem einfachen Landhaus auf. In der Gegenüberstellung von Kultur und Natur wird Guadagnino dann allerdings etwas vorhersehbar und schematisch. Einmal lieben sich Emma und Antonio im Gras, was in einer gleißend hellen Montage aus Gesichtern, Körperteilen, Blumen und Insekten gezeigt wird und es mit der Ursprünglichkeit dann doch etwas übertreibt.
Ganze elf Jahre haben Luca Guadagnino und seine Hauptdarstellerin Tilda Swinton gemeinsam an diesem Film gearbeitet. Er ist ganz auf die ätherisch-alienhafte Erscheinung der Schauspielerin zugeschnitten; neben ihrem intensiven Spiel verblassen die anderen Figuren ein bisschen. „I am Love“ bezieht sich stark auf das italienische Kino der Vergangenheit, etwa auf den opernhaften Gestus von Viscontis „Leopard“
(fd 12 378), doch gleichzeitig wirkt der Film sehr modern und zeitgenössisch. Guadagnino hat einen genauen Blick für die Machtstrukturen innerhalb der Familie und zwischen den Geschlechtern sowie – auch das teilt er mit Visconti – für das Generationengefälle. Alte Unternehmensstrukturen und globalisierter Kapitalismus, Tradition und Moderne stehen sich irgendwann unvereinbar gegenüber – ein „Clash“, der seine Entsprechung auf der familiären Ebene findet. Dem langsamen Verfall folgt eine Familientragödie, die dann allerdings allzu plötzlich und bleischwer erscheint. Am Ende bleibt von den Recchis nicht mehr viel übrig.