Ein 13-jähriger Schüler freundet sich auf der Suche nach seiner (sexuellen) Identität mit einem älteren Jugendlichen an und schlüpft nachts in die Rolle eines Mädchens, um mit ihm anzügliche Telefongespräche führen zu können. Als es zur unausweichlichen Begegnung der beiden kommt, muss er Farbe bekennen. Fragmentarisch erzählte Selbstfindungsgeschichte, deren Bildsprache Vorbilder aus der Fotografie sowie dem Undergroundfilm erkennen lässt. Der betonte Kunstwille lässt den Film zwar mitunter etwas prätentiös wirken; als experimentierfreudige Analyse adoleszenter Befindlichkeiten bleibt er indes interessant. (O.m.d.U.)
- Ab 16.
Wild Tigers I Have Known
- | USA 2006 | 81 Minuten
Regie: Cam Archer
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Filmdaten
- Originaltitel
- WILD TIGERS I HAVE KNOWN
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Cut and Paste Films
- Regie
- Cam Archer
- Buch
- Cam Archer
- Kamera
- Aaron Platt
- Musik
- Nate Archer
- Schnitt
- Cam Archer
- Darsteller
- Malcolm Stumpf (Logan) · Patrick White (Rodeo) · Max Paradise (Joey) · Fairuza Balk (Logans Mutter) · Hailey Anne Nelson (Amy Brown)
- Länge
- 81 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Von außen gesehen bestimmt Langeweile das Leben von Logan. „Manchmal habe ich Angst, meinen Kindern keine tollen Geschichten erzählen zu können. Darüber wie es ist, ein Kind zu sein. Dass ich einfach nur langweilig sein werde“, teilt der 13-jährige Junge aus dem Off mit. Dabei spielt sich Logans Erlebniswelt einfach nur weniger im „realen“ Leben ab als in seinen Tagträumereien, die von der Suche nach Identität – vor allem auch einer sexuellen – bestimmt sind. Cam Archer erzählt in seinem Kinodebüt von den verwirrenden Identitätsprozessen in der Adoleszenz. Ebenso wie bei Gus Van Sant, der als ausführender Produzent des Films tätig war, sind die jugendlichen Figuren hier von dem Gefühl der Abgetrenntheit bestimmt. Auch Joey, Logans einziger Freund, ist „anders“: Der verhuschte Junge, der sich am liebsten in sein Kinderzimmer, ein Planetarium in Miniaturformat, zurückzieht, fertigt eine „Ways to be cool“-Liste an. Dinge wie Motorräder, Rasierwasser, Psychorock, Online-Freundschaften etc. werden hier aufgezählt, die Vergeblichkeit dieser Aktion ist anrührend. Dagegen ist der etwas ältere Außenseiter Rodeo die Verkörperung von Coolness schlechthin. Der Junge in den schweren Motorradstiefeln erscheint als eine Art „lonesome cowboy“, der Logans Begehren weckt und fortan seine Fantasie besetzt. Die beiden ungleichen Jungen freunden sich an und streifen tagsüber gemeinsam durch Wälder und Höhlen. Nachts nimmt Logan die Identität von Leah an, einem Mädchen, das Rodeo in langen und anzüglichen Telefongesprächen verführt, bis es zu einer Begegnung zwischen „ihr“ und Rodeo kommt. Zusätzlich wird die Coming-of-Age-Geschichte durch einen metaphorisch funktionierenden Subplot eingerahmt: Berglöwen, die aus dem Wald hin und wieder auf den Schulhof kommen und Eltern und Lehrer in Panik versetzen, fungieren als das „Andere“ – eine Bedrohung, die die Konstitution des eigenen Selbst in Gefahr bringt. Der Film folgt Logans bizarrer Fantasie in oftmals stilisierten Bildern, wie man sie aus der inszenierten Fotografie kennt: Logan, mit überdimensionierter Brille, masturbiert in einem rot erleuchteten Raum. Er betrachtet sich mit blonder Perücke im Spiegel oder telefoniert mit einer Zorro-Maske und man hört seine Stimme, während die Lippen unbewegt bleiben. Durch solche Momentaufnahmen wird die Erzählung durchbrochen und fragmentiert, dabei ist das visuelle Material sehr heterogen. Archer verbindet Standbilder und Slow Motion, lapidare Beobachtungen und artifizielle, mitunter surreale Inszenierungen, er filmt die Figuren regungslos in der Totalen oder zeigt ihre Körper unvollständig, angeschnitten. Assoziationen an Nan Goldins direkte und intime Bildsprache werden ebenso wachgerufen wie die verstörenden Szenarien Harmony Korines; auch Bezüge zu Kenneth Angers halluzinatorischen, erotisch aufgeladenen Filmen lassen sich finden. Trotz dieser Einflüsse verfolgt Cam Archer einen eigenwilligen Ansatz, der sich vor allem im experimentellen Sounddesign sowie dem ambitionierten Einsatz von Licht und Farbe zeigt. Zwischen den zahlreichen eindringlichen Bildern finden sich aber auch Momente, die allzu stark ins Prätenziöse abrutschen (etwa der extensive Einsatz von Lippenstift als Zeichen queerer Identität) und von einem leicht aufdringlichen Kunstwillen bestimmt sind. Und auch das Fragmentarische des Films gerät mitunter zur Nummernrevue. So wirkt „Wild Tigers I Have Known“ mitunter wie ein Film, der seine Form noch nicht ganz gefunden hat – und ist darin seiner Hauptfigur gar nicht so unähnlich.
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