- | Belgien/Deutschland/Niederlande 2006 | 104 Minuten

Regie: Peter Brosens

Ein junger mongolischer Nomade widersetzt sich seiner Berufung zum Schamanen. Als seine Sippe in ein Bergbauzentrum umgesiedelt wird, beginnt er trotz Repressionen, seiner Bestimmung zu folgen, und plant den Aufstand gegen die Zwangsmodernisierung. Ein Spielfilmdebüt mit eindrucksvollen Landschaftsbildern und faszinierender Spannung, das im letzten Drittel aber thematisch verflacht und sich in Blut- und Boden-Mystik sowie dem "radical chic" der sozialistischen Avantgarde der 1920er-Jahre verliert. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KHADAK
Produktionsland
Belgien/Deutschland/Niederlande
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Bo Films/Motion Pic. Investment Group/Ma.Ja.De. Filmprod./Lemming Film/ZDF/arte
Regie
Peter Brosens · Jessica Hope Woodworth
Buch
Peter Brosens · Jessica Hope Woodworth
Kamera
Rimvydas Leipus
Musik
Altan Urag · Dominique Lawalree · Michael Schöpping
Schnitt
Nico Leunen
Darsteller
Batzul Khayankhyarvva (Schäfer Bagi) · Tsetsegee Byamba (Zolzaya) · Damchaa Banzar (Bagis Großvater) · Tserendarizav Dashnyam (Schamanin) · Dugarsuren Dagvadorj (Bagis Mutter)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Universal (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
„Khadak“ beginnt rätselhaft mit Tränen und einem Abzählreim, der die Erzählung später strukturieren hilft. Es folgen Bilder, wie man sie im Kino nach „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ (fd 36 306) oder „Tuyas Hochzeit“ (fd 38 277) gemeinhin mit dem auf archaischen Traditionen fußenden Nomadenleben in der Mongolei verbindet. Bagi, ein Hirtenjunge an der Grenze zum Erwachsensein, verfügt über die besondere Gabe, Lebewesen über größere Distanzen wahrzunehmen. Als er ges während eines Schneesturms ein verloren gegangenes Schaf sucht, erleidet er einen epileptischen Anfall und erfährt, dass er dazu bestimmt sei, ein Schamane zu werden. Doch Bagi will sich nicht in sein Schicksal fügen, auch dann nicht, als sein Großvater raunt, dass es gefährlich sei, sich seiner Bestimmung zu verweigern. Die Filmemacher Peter Brosens und Jessica Woodworth lassen sich ausgesprochen viel Zeit, um ihre Geschichte zu entwickeln. Sie montieren überwältigende Bilderreihen, die doch voller hermetischer Codes sind und dem Zuschauer klar machen, dass er gut daran tut, sich dem Fluss der Erzählung anzuvertrauen. Offensichtlich hat ein Wandel in der Mongolei begonnen, der es erlaubt, sich von den Zwängen der Tradition zu emanzipieren. Doch was im Falle Bagis noch fast unmotiviert erscheint, erhält ungleich mehr ethische Wucht, als eines Tages ein Militärkonvoi vor den Jurten aufkreuzt. Die Soldaten in weißen Schutzanzügen sprechen von einer gefährlichen Seuche und siedeln die Nomaden zwangsweise in ein menschenfeindliches Bergbauzentrum um, wo wenige Arbeiter mit riesigen Maschinen hantieren und einzelne Wohnblocks verloren in der Gegend stehen. Einige Nomaden arrangieren sich mit den neuen Lebensumständen, andere vereinsamen oder begehen Selbstmord. Bagi, der mittlerweile Postbote geworden ist, rettet ein geheimnisvolles Mädchen und versucht, mit ihm zu fliehen. Doch die Flüchtenden werden entdeckt und zur Zwangsarbeit im Straßenbau verurteilt, wo sie auf eine kunterbunte Schar anderer Delinquenten treffen. Als Bagi einen neuerlichen epileptischen Zusammenbruch erleidet, wird er in eine psychiatrische Klinik eingeliefert und mit Medikamenten behandelt. Doch die Gabe des Schamanismus erweist sich als stärker. Nun „weiß“ Bagi, dass die von der Regierung angeblich getöteten Tiere noch „irgendwo da draußen“ leben. Als Bagi gehört wird, kommt es zum Aufstand. Über weite Strecken gelingt es den Filmemachern, bei ihrem Spielfilmdebüt eine faszinierende Spannung zu etablieren, die fast vollständig über Bilder funktioniert. Erst im letzten Drittel, als der Film plötzlich in eine unerquickliche Mischung aus Zivilisationskritik, surrealem Schamanen-Trip, Liebesgeschichte und Revolte umschlägt, die wahllos fremde Bilderwelten von Angelopoulos bis Tarkowskij und Askoldov ausschlachtet, bekommt die Bildgewalt plötzlich einen Zug von prätentiösem Kunsthandwerk, das sich einer fremden Kultur bemächtigt, um eine pseudorevolutionäre Geschichte zu erzählen. Vieles, was vorher noch in seiner schroffen Fremdheit zu fesseln wusste, enthüllt sich als reaktionärer Kitsch, der mit den Mitteln eines abgehalfterten Regietheaters visuelle Effekte aus der Mottenkiste der Weltrevolution produziert, die in ihrer Kunstfertigkeit schlicht ärgerlich sind. Hier kippt das, was „Khadak“ scheinbar kritisiert (oder zumindest diagnostiziert), der Einbruch der Moderne in eine traditionelle Welt, ausgerechnet im Moment des Widerstands in eine Abfolge pathetischer Theatergesten und -choreografien um, wodurch der Film keinen Ort mehr hat, von dem aus er „sinnvoll“ erzählt werden könnte. Was bleibt, ist eine Mischung aus Blut- und Boden-Mystik und „radical chic“ in den Kostümen der sozialistischen Avantgarde der 1920er-Jahre, die durch eine aufgesetzte Hermetik auf ihren Arthouse-Status pocht.
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