Frau fährt, Mann schläft
Drama | Deutschland 2004 | 122 Minuten
Regie: Rudolf Thome
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Moana-Film
- Regie
- Rudolf Thome
- Buch
- Rudolf Thome
- Kamera
- Michael Wiesweg
- Musik
- Katia Tschemberdi
- Schnitt
- Dörte Völz
- Darsteller
- Hannelore Elsner (Dr. Sue Süssmilch) · Karl Kranzkowski (Prof. Anton Bogenbauer) · Markus Perschmann (Thomas) · Kathleen Fiedler (Sue Two) · Joya Thome (Laura)
- Länge
- 122 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Anton Bogenbauer, Sue Süssmilch, Harald Flickschuster – wenn Figuren solche Namen tragen, befindet man sich mitten im Universum von Rudolf Thome, in dem man türkische Haushälterinnen und italienische Freundinnen hat, morgens fünf Tageszeitungen liest und über „Weltformeln“ und die „absolute Wahrheit des Universums“ nachdenkt. „Frau fährt, Mann schläft“ erzählt von der Brüchigkeit und bestenfalls kurzfristig zu stabilisierenden Erfahrung von Glück. Allzu glücklich ist „Deutschlands glücklichste Familie“ nämlich nicht. Seit Jahren schlafen Sue und Anton getrennt – man darf die eingangs zitierte Maxime Antons auch auf ihre Beziehung münzen. Anton hat ein Verhältnis mit einer Studentin, Sue hat sich in den Astronomen Sven Hedin verliebt, der älteste Sohn Thomas hat gerade von seiner Freundin den Laufpass bekommen, und auch die anderen drei Kinder erleben ihre ersten Beziehungen außerhalb der Familie. So stehen neben den räumlichen auch emotionale Veränderungen an, doch erst der unerwartete Tod von Thomas schafft die nötige Distanz zur Alltäglichkeit.
Meisterlich gestattet Thome im zweiten, der Gegenwart gewidmeten Teil seiner „Zeitreisen“-Trilogie einen präzisen Blick in seine phänomenologische Poetik und verhandelt „letzte Dinge“ auf ernsthafte, zugleich stets leicht distanziert-amüsierte, vielleicht auch nur extrem zugespitzte Weise. Im Gang vor Thomas’ Krankenbett gesteht Sue Anton, dass sie einen anderen Mann liebt, und dass sie beide zu lange mit ihren Lügen gelebt hätten. Anton reagiert regungslos, sein zuvor souveränes Verhalten „entlarvt“ sich binnen Sekunden als selbstgefällig und egozentrisch. Als Glücksfall für Thomes komplexe psychologische Studie erweist sich das präzise Spiel der Hauptdarsteller: Hannelore Elsner braucht nur einen langen, abschätzenden und abschätzigen Blick, um die Entfremdung von Dokuihrem Mann zu vermitteln; begeisternder noch ist, wie Karl Kranzikowski äußerst zurückhaltend die nahezu vollständige Dekonstruktion seiner Figur als selbstgefälligen „Poser“ anlegt, der jedem Rock nachsteigt. Am Grab des Sohnes erleidet Sue einen Nervenzusammenbruch und wird von Anton in die Spezialklinik eines befreundeten Arztes gebracht, was sie als Verrat begreift. Doch es ist genau diese Distanz von der Familie, die Sue, die zunächst über ihre Defizite und Ängste charakterisiert wurde, den Raum gibt, um ihre Ehe und Träume zu bilanzieren. Ihr Fazit ist bitter, eröffnet der gemeinsamen Zukunft aber eine letzte Chance.
Der Film endet mit einer Reise nach Italien, auf die der eigenwillige Filmtitel anspielt. Roberto Rossellinis „Viaggio in Italia“ (1953), gleichfalls die Geschichte einer Ehekrise, begann mit einer Einstellung, die genau das zeigte: Frau (Ingrid Bergman) fährt, Mann (George Sanders) schläft. Thome, für den die Italien-Reise ein beständig wiederkehrendes Motiv ist, schrieb 1987 dazu: „Rossellini hat nicht eine Vorstellung im Kopf gehabt, die er, wenn er dreht, in Bilder, in Filmszenen umsetzt ... Das, was Rossellini sucht, ist etwas Flüchtiges. Nennen wir es Glück, nennen wir es Wahrheit. Das sind große Worte, die gar nicht so wichtig sind. Es geht auf jeden Fall darum, worum es in jeder Kunst geht: um den Versuch, die Wirklichkeit zu sehen und darzustellen.“ Vergleichbar produktiv, wie Thome hier einen unüberschaubaren Referenzraum aktualisiert, schmuggelt er durch die Profession der um Sue werbenden Männer Subtexte als Kommentar in seinen Film. So trägt der Moderator Flickschuster Thesen aus Antons Studie „Das Zeitproblem – Gestern, Heute, Morgen“ vor, in der es heißt: „Wer nicht darauf vertraut, dass die Macht der Phänomene, selbst unermesslich, viel stärker ist als jene kümmerlichen Gebilde, die wir als unsere Begriffe mit uns herum tragen, der hat noch nicht angefangen zu denken. Also Wirkliches zu erfassen, wie es von sich aus ist!“ Später stellt Anton in einer Vorlesung zur Metaphysik fest: „Der Mensch weiß, dass er in der Zeit ist, der Tod ist der Austritt aus der Zeit, das Wissen um die eigene Sterblichkeit distanziert den Menschen inmitten der Zeit von der Zeit, nur aus Distanz ist also Erkenntnis möglich.“ Interessant wird es, wenn Sue, zunächst überfordert, feststellt: „Mein Gott! Warum passiert immer alles gleichzeitig?“, um wenig später gegenüber Anton das erkenntnistheoretische Paradoxon „Stell’ dir vor, es gibt nur die Gegenwart!“ zu formulieren. Tatsächlich kreist „Frau fährt, Mann schläft“ um einen Moment profaner Erleuchtung, um die Aufhebung der Distanz zur Gegenwart. Wenn Sue am Schluss ihren Ehering ins Meer wirft, ist wirklich alles entschieden; hatte sie doch zuvor ihrem Geliebten Sven Hedin ihren Traum erzählt, indem es hieß: „Du musst dein Liebstes opfern, dann bist du frei!“
Dermaßen konzise gelingt Thome die Weitung der Ehegeschichte ins Allgemeine, dass „Frau fährt, Mann schläft“ zur Quintessenz seiner aktuellen Werkphase wird. Bei aller Schärfe im Detail bleibt sein Blick aufs Geschehen dennoch milde und ungerührt. Hier kommt die Perspektive des Astronomen Hedin ins Spiel, der das Leben mit einem Ameisenhaufen vergleicht, in den man einen Stein wirft; binnen kurzer Zeit seien die Leichen fortgeschafft, sei das Chaos in eine neue Ordnung überführt. Thomas’ Tod ist ein solcher Stein, der für kurze Zeit ein Chaos erzeugt. Aus der Distanz jedoch, auch davon erzählt Thome, ist die Krise nur ein vorübergehendes Moment im Rhythmus von Werden und Vergehen. Dass Antons und Sues Kinder nach der Katastrophe rasch in ihren Alltag zurückfinden, sexuelle, künstlerische oder freundschaftliche Erfahrungen machen, bestätigt diese Perspektive aufs Leben.