Rot und Blau (2003)
- | Deutschland 2003 | 122 Minuten
Regie: Rudolf Thome
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Moana Film
- Regie
- Rudolf Thome
- Buch
- Rudolf Thome
- Kamera
- Michael Wiesweg
- Schnitt
- Dörte Völz
- Darsteller
- Hannelore Elsner (Barbara Bärenklau) · Serpil Turhan (Ilke) · Hanns Zischler (Samuel Eisenstein) · Karl Kranzkowski (Gregor) · Adriana Altaras (Samantha)
- Länge
- 122 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
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Es ist eine einfache Geschichte mit märchenhaften Zügen, die Rudolf Thome mit „Rot und Blau“, dem ersten Teil seiner neuen Trilogie „Zeitreisen“, erzählt. Man ahnt das, wenn man hört, dass Babara demnächst ihren 50. Geburtstag begehen soll. Gespielt wird Barbara nämlich von Hannelore Elsner, geboren am 26.7.1942 in Burghausen (Oberbayern). Das ist natürlich etwas riskant. „Rot und Blau“ handelt von Barbaras Midlife-Crisis und ihrer daraus erwachsenden Sensibilität für lange schwelende Konflikte. Als Katalysator fungieren Ilke und ihr Koffer voller Geld. Auch wenn häufig von Finanzen die Rede ist, spielt die materielle Grundversorgung der Figuren wie immer bei Thome keine Rolle. Seine Filme sind zwar realitätsgesättigt, aber keineswegs realistisch im konventionellen Sinne. Hierin liegt ein Risiko seiner Filme, aber auch ihre Qualität als Kino in einem beinahe altmodisch-emphatischen Sinne. Fast aufreizend bis zur Selbstparodie wird wieder einmal ein Milieu präsentiert, das wie selbstverständlich über alle Lebensstil-Insignien der Toskana-Fraktion verfügt: architektonisch interessante Wohnungen, teure Autos und der modische Chic des gehobenen Bürgertums. Es gibt tausend Gründe, diesen Film und sein affig-affektiertes Personal nicht zu mögen. Nur verfehlt ein solches Missfallen Thomes Filme im entscheidenden Punkt, denn auch „Rot und Blau“ ist klassisches Kino im Sinne von John Ford oder Howard Hawks. Es braucht nur einige Minuten dieses souveränen, mit größter Selbstverständlichkeit derlei abenteuerliche Behauptungen aufstellenden Erzählens, die sorgfältige, aber unprätentiöse Bildsprache, die liebevolle in der Ausstattung profilierten, titelgebenden Primärfarben, die wiederum Reminiszenz der Vorgeschichte von Barbara und Samuel sind, und nicht zuletzt die ganz zarten Jazz-Klänge von Wolfgang Böhmers Filmmusik, um es sich im Kino bequem zu machen und sich von Thomes (Erzähl-)Kunst verzaubern zu lassen. Mit der Lässigkeit und Meisterschaft des klassischen Erzählkinos und zuweilen auch mit einem Augenzwinkern knüpft Thome seine Fäden: Bereits auf dem Weg nach Berlin begegnet Ilke „zufällig“ Barbaras Ehemann. Gregor ist ein Computerfachmann, der seine Mitreisenden gutgelaunt fotografiert und Bilder der eigenen Familie im Laptop hat. Konstruierter kann eine Exposition kaum sein – abgeklärter und souveräner wohl aber auch nicht. Man ahnt (und wird darin bestätigt), dass man hier jenseits der Erzählung über die Freiheit verfügt, sich in den Räumen umzusehen und den Figuren zuzuhören. In ihrer Textsammlung zur „Nouvelle Vague“ schrieb Frieda Grafe einen Satz, der bestens auf Thomes Filme – zumindest seit „Das Mikroskop“ (fd 26 765) – passt: „Das Fiktive, das wie von selbst sich aus der Realität erhebt, wenn Wünsche ausgestattet mit allen Anzeichen der Wirklichkeit, sich materialisieren, das ist Erfindung, wie sie dem Kino ansteht.“
Wie zeigt man, dass Ilke Gefahr droht, was wiederum Samuel auf den Plan ruft, der bei dieser Gelegenheit Barbara begegnet? Es genügt, einen jungen Mann auf dem Bürgersteig vor Ilkes Wohnung einige Sekunden länger als gewöhnlich im Bild erscheinen zu lassen, um diesen Impuls für den weiteren Handlungsverlauf tragfähig zu gestalten. Diese Freiheit des Zuschauers funktioniert im Einzelfilm, dessen Handlung in zwei von den weiblichen Hauptfiguren vorgetragenen Liedern kulminiert, aber auch im Werkzusammenhang, wo man dem Altern von Thomes „stock company“ (Zischler, Altaras) mit großer Empathie folgt und in Nuancen reichlich Material für eine Ethnografie des Inlands bereit gestellt findet. Nicht zuletzt überzeugt einmal mehr Hannelore Elsner, die sich mit großer Selbstverständlichkeit ins Ensemble fügt und gerade in Bezug aufs Altern eine mutige Arbeit liefert.