Sie haben Knut
Drama | Deutschland 2003 | 107 Minuten
Regie: Stefan Krohmer
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Rommel Film
- Regie
- Stefan Krohmer
- Buch
- Daniel Nocke
- Kamera
- Benedict Neuenfels
- Schnitt
- Stephan Krumbiegel
- Darsteller
- Valerie Koch (Nadja) · Hans-Jochen Wagner (Ingo) · Pit Bukowski (Niklas) · Alexandra Neldel (Sylvia) · Ingo Haab (Knut)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Zeitgeisterinnerungen an die 1980er-Jahre stehen auch im Mittelpunkt von „Sie haben Knut“, einer Persiflage auf Politfreaks und linke Gruppenrituale, die dem 32-jährigen Ludwigsburg- Absolventen Stefan Krohmer in seinem Porträt der vorangegangenen Generation gelungen ist. Die erfrischend nostalgiefreie Rückschau lebt von einer präzisen Beobachtungsgabe und macht dabei mehr als anschaulich, warum im Leben jeder beliebigen Generation Anspruch und Wirklichkeit so selten zur Deckung zu bringen sind. In die Abgeschiedenheit einer Tiroler Almhütte haben sich Ingo und Nadja an einem verschneiten Winterwochenende 1983 zurückgezogen, um ihre Beziehung zu diskutieren, die langsam, aber sicher vor dem Aus steht. Doch die angespannte Zweisamkeit wird jäh durch eine lärmende Volleyballgruppe aus dem linksalternativen Umfeld unterbrochen, die sich unangekündigt bei ihnen einnistet, um Skiurlaub zu machen. Nur einer fehlt, Nadjas Bruder Knut, politisch in der linken Szene engagiert. Als die Clique mit der Nachricht konfrontiert wird, Knut wäre bei einer Aktion verhaftet worden, setzen quälende Grundsatzdiskussionen ein, die die Gruppe zunehmend spalten. Darf man unter diesen Umständen gemeinsam Spaß haben? Müsste man nicht Befreiungsstrategien ausarbeiten und Solidarität bekunden?
Subtil und klug zeigt Krohmer die Auswirkungen kleinster Verschiebungen im Beziehungsgeflecht der Gruppe: Zwischen Skigymnastik, dem Training auf der Piste und geselligen Abendstunden bestimmen politische Paranoia, gruppendynamische Prozesse und verkrampfte Beziehungsaussprachen das Geschehen. Dass hinter all den Betroffenheitsgesten und linken Floskeln Vorwand und Absicht, Ideologeme und Taten, Schein und Sein weit auseinander klaffen, wird immer dann am deutlichsten sichtbar, wenn das Balzverhalten der Männer ins Spiel kommt. Um den Nebenbuhler aus dem Weg zu räumen, sind einigen Genossen alle Mittel recht, bis hin zu politischer Denunziation und Psychoterror. Die Mehrfachoptik aus der Perspektive unterschiedlicher Figuren hilft dabei, die Lebenslügen und Diskrepanzen zwischen dem, was sie sagen und denken, zu entlarven; diskret und mit viel Ironie, ohne die gut gezeichneten Charaktere zu denunzieren. Der Reiz des Films liegt in der minuziösen, nuancenreichen Analyse ihres Verhaltens. Krohmer und seinem Drehbuchautor Daniel Nocke, der im Film den Part eines selbstgerechten Gedankenpolizisten und Anführers übernommen hat, gelingt es, das Verhalten als typisch für eine bestimmte Generation zu eruieren. Allerdings unterlaufen den Machern auch grobe Fehler. Zwar wirkt das Stimmungsbild der Zeit über weite Strecken authentisch, doch wenn Knut später überraschend in der Tür steht, geht nicht nur der Story der Atem aus; auch die offene Dramaturgie kann nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte zu keinem schlüssigen Ende findet. Der Glaubwürdigkeit abträglich sind auch einige Dialoge: Dem Porträt einer Generation, zu deren Signum Idiome wie „Null Bock“ oder „ätzend“ gehörten, kann man nicht mit Vokabeln wie „geil“ und „peinlich“ den eigenen Jugendslang überstülpen.
Unter Krohmers sensibler Regie entstand eine beeindruckende Ensembleleistung, die noch ganz andere Abgründe offenbart und bis in verborgene Verwinklungen auslotet. Wieweit die großen Utopien von antiautoritärer Erziehung und freier Liebe bereits gescheitert sind, lässt sich an den beiden Knaben besichtigen, die unbemerkt von Erwachsenen zu kleinen Sadisten heranwachsen, grausam mit einem Stock auf eine Kuh eindreschen und in demütigenden Herr-Knecht-Spielen Machtgelüste entwickeln. Auch auf diese Weise erfährt man viel über die Ausstaffierung eines Milieus, über die Zeitgebundenheit der sozialen Verhaltensmuster und Codes sowie deren individuelle Ausprägungen, in einer Art beiläufiger Mentalgeschichte der bundesdeutschen Gesellschaft. Hinterher kann man nur noch getrost sagen, dass die Zeit der selbstgestrickten Pullover, politischen Parolen und offenen Beziehungen für immer vorbei ist.