Lucia und der Sex

Drama | Spanien/Frankreich 2001 | 128 Minuten

Regie: Julio Medem

Eine Kellnerin aus Madrid erinnert sich auf der Ferieninsel Formentera an ihren verschwundenen Geliebten und findet die Erfüllung ihrer Träume von Liebe und Sex. Eine Hommage an die Liebe, inszeniert als wahres Feuerwerk an Zufälligkeiten, das sich zu einem Fest der Sinnlichkeit und Lebensfreude verdichtet. Ein Film voller Symbole und märchenhafter Verdichtungen, der sich in seiner eigenwilligen Poesie jeder vordergründigen Folklore verschließt und mit Momenten reiner Magie aufwartet. (O.m.d.U.) - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
LUCIA Y EL SEXO
Produktionsland
Spanien/Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Alicia/Canal + España/Sociedad/Sogepaq/TVE/Studio Canal
Regie
Julio Medem
Buch
Julio Medem
Kamera
Kiko de la Rica
Musik
Alberto Iglesias
Schnitt
Iván Aledo
Darsteller
Paz Vega (Lucia) · Tristán Ulloa (Lorenzo Alvarez) · Najwa Nimri (Elena) · Daniel Freire (Carlos/Antonio Castillo) · Elena Anaya (Belén Lozano)
Länge
128 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Impuls (Warner Vision) (1:2.35/16:9/Dolby Digital 5.1)
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Lucia arbeitet als Kellnerin in einer Bar in Madrid. Sie erhält einen Anruf von ihrem Freund, der offensichtlich unter heftigen Depressionen leidet. Sie eilt nach Hause in die gemeinsame Dachwohnung, wo sich ihre schlimmsten Befürchtungen erfüllen: Lorenzo ist nicht mehr da. Das Telefon klingelt und ein Polizist teilt Lucia mit, dass Lorenzo verunglückt sei. Lucia rennt fort, bevor sie die Nachricht zu Ende gehört hat. Sie fährt auf die Balearen, nach Formentera, jener Insel, die Lorenzo immer voller Hingabe beschrieben hat.

Julio Medems Filme leben immer vom „azar“, dem spanischen Wort für schicksalshaften Zufall, und so ist es kein Zufall, dass sie hier Elena trifft, die nach dem Verlust ihrer Tochter nicht mehr weinen kann. Elena stößt in ihrer Erinnerung an die Zeit mit Lorenzo auf ein verwirrendes Geflecht an tragischen und erotischen Begegnungen, die sich in Lorenzos Roman niedergeschlagen haben, aber auch den Schlüssel zu seiner tiefen Depression bilden. Wenn die Liebesgeschichte von Ana und Otto aus „Die Liebenden des Polarkreises“ (fd 34 513), Medems vorletztem Film, etwas von der sinnlichen Hoffnungslosigkeit des Tristan-und- Isolde Stoffes hatte, so verbreitet „Lucia und der Sex“ eine sonnendurchflutete Erotik, die auch die Hoffnungslosigkeit überwindet. Der Film erzählt von der Annäherung und der Entfremdung der Kellnerin Lucia und des Schriftstellers Lorenzo und verdichtet sich zu einer Hommage an die Liebe. Wobei auch hier ein Feuerwerk der Zufälligkeiten den Weg der Protagonisten bestimmt, bis die Träume von Sex und Liebe ebenso wie die Wege von Lucia, Lorenzo, Elena, Carlos und Belén auf der felsigen Mittelmeerinsel endgültig zusammenkommen. Hier wird das Licht gleißend, fast kalt – auch wenn der Film vor mediterranem Optimismus vibriert. Medem bringt diese unterschiedlichen Extreme und paradoxen Widersprüche in Einklang. Er ist ein Meister der spröden Poesie, aber auch der Ellipse; wenn er den Tod eines kleinen Mädchens zeigt, erweist er sich gerade durch die Aussparung als Schamane eines sich selbst erfüllenden Albtraums.

Für Medem ist der Ausgangspunkt seiner Filme häufig ein Bild, eine Einstellung, eine flüchtige Lichtkomposition. In diesem Fall waren es das Spiel der Wolken, der Leuchtturm und die Höhlen, die in die Unendlichkeit des Wassers führen, die zum Auslöser verschachtelter Leidenschaften und Handlungsstränge wurden, wobei sie eine ganz eigene, märchenhafte Magie verströmen. Bis heute hat sich Medem den kindlichen Blick, die kreative Unruhe bewahrt. Seine Filme sperren sich gegen eine glatte Synopsis, gegen die Zusammenfassung in fünf Zeilen. Sie sind eine leidenschaftliche Hommage an die Grenzen und die Abwege des menschlichen Geistes. „Das rote Eichhörnchen“ (fd 31 274) handelte vom Gedächtnisverlust; Angel, der Protagonist von „Tierra“, halb Heiliger, halb Narr, kommt gerade aus der Psychatrie und wird für einen Engel gehalten; und auch in „Die Liebenden des Polarkreises“ bildet die Gegensätzlichkeit der Wahrnehmungen, das Unwirkliche der Wirklichkeit, die Achse der Handlung. In „Lucia und der Sex“ verliert Lorenzo fast den Verstand und flüchtet sich in fieberhafte literarische Kreationen. Medems Figuren bleiben selten bei einer kontinuierlichen Psychologie; er geht den Rätsel des Unterbewusstseins mit kindlichem Blick auf den Grund. In der Visualisierung dieser Abgründe, in einer märchenhaften Verdichtung und Verknappung und in einer eigenwilligen Poesie distanziert sich Medem weit vom lärmenden Folklorismus des spanischen Films. Er ist einer der wenigen spanischen Filmemachern seit dem Autorenkino der 60er- und 70er- Jahre, der die Landschaft und die Weite zum Protagonisten werden lässt: die dunklen Wälder des Baskenlandes, die trockene rote Erde kastillischer Weinbaugebiete, die Wälder und Seen am Polarkreis. Nun ist es die perforierte Felsenlandschaft Formenteras und die Unendlichkeit des Meeres. „Lucia und der Sex“ ist ein Film über Liebe und Trauer, ein Film, der vor Sinnlichkeit und Lebensfreude vibriert, der aber auch die Grenzen menschlicher Beziehungen aufzeigt, um sie am Ende zu sprengen.
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