Beim Versuch, sich der Festnahme zu entziehen, ersticht ein westafrikanischer Asylsuchender in Stuttgart zwei Polizeibeamte, bevor er selbst erschossen wird. Dramatisierung nach einem authentischen Fall, die die letzten Stunden vor der Tragödie in den Mittelpunkt stellt. Der handwerklich präzise und ideal besetzte Film folgt einer Dramaturgie der skandalösen Zufälligkeit, in der Banalitäten zur Katastrophe führen. Filmisch reflektierte Studie über die Eskalation von Gewalt und das Zerbrechen von Träumen. ("Videotitel": Otomo - Der Stadtfeind")
- Ab 16.
Otomo
- | Deutschland 1999 | 85 Minuten
Regie: Frieder Schlaich
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 1999
- Produktionsfirma
- Filmgalerie 451/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
- Regie
- Frieder Schlaich
- Buch
- Klaus Pohl · Frieder Schlaich
- Kamera
- Volker Tittel
- Musik
- Freundeskreis
- Schnitt
- Magdolna Rokob · Steffen Graubaum
- Darsteller
- Isaach de Bankolé (Otomo) · Eva Mattes (Gisela) · Lara Kugler (Simone) · Hanno Friedrich (Heinz) · Barnaby Metschurat (Rolf)
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Im Sommer 1989 erregte die Ermordung zweier junger Polizisten die Stuttgarter Öffentlichkeit so sehr, dass die lokale Presse dem Fall noch zum zehnten Jahrestag ganze Seiten widmete. Damals hatte ein abgelehnter, aber geduldeter Asylsuchender aus Westafrika beim Versuch, sich seiner Festnahme zu entziehen, die beiden erstochen und drei Kollegen verletzt, bevor er selbst erschossen wurde. Die Tat spülte eine derartige ausländerfeindliche Stimmung im Ländle hoch, dass schließlich der Stuttgarter Oberbürgermeister Rommel zur Mäßigung rufen musste. So spektakulär das Ereignis war, so wenig wurde über den Täter bekannt, dessen Identität nie zweifelsfrei geklärt werden konnte. Der Stuttgarter Filmemacher Frieder Schlaich („Halbmond“) hatte bereits unmittelbar nach den Ereignissen den Plan gefasst, darüber einen Film zu drehen, doch ein Rechercheverbot der Polizei vereitelte zunächst dieses Vorhaben. War seinerzeit noch an eine dokumentarische Rekonstruktion der Ereignisse gedacht worden, so folgt „Otomo“ jetzt einem komplexeren Ansatz.Über die letzten Stunden im Leben des Albert Amend, der im Film Frederic Otomo heißt, ist nichts bekannt. Schlaich und sein Co-Autor Klaus Pohl machten aus dieser Not eine Tugend, indem sie den Zeitraum fiktionalisierten und zugleich eine Parallelhandlung mit den jungen Polizisten integrierten. Beide Erzählstränge sind recht kunstvoll verflochten, umspielen einander und treffen erst in den letzten Filmminuten mit tödlicher Konsequenz aufeinander. Die Handlung des Films konzentriert sich auf wenige Stunden: Es gibt keine Rückblenden oder Erinnerungen in Dialogform, alle Figuren werden konsequent auf Distanz gehalten, und der Zuschauer ist gehalten, aufmerksam Einzelteile eines Puzzles zusammenzusetzen. Mehrere Episoden zeigen, wie sich Otomo vergeblich um eine Arbeit bemüht, wie er versucht, Deutschland zu verlassen, wie er fahrlässig des Schwarzfahrens bezichtigt wird und sich dagegen gewalttätig zur Wehr setzt. Damit ist er ein Fall für die Polizei geworden, die jetzt nach ihm fahndet. Während Otomo Gisela (Eva Mattes) und ihrer Enkelin begegnet, fahren die beiden Polizisten Streife. Polizeialltag, die Fahndung nach dem geflohenen Schwarzfahrer steht (auch) auf der Tagesordnung. Bis zur finalen Eskalation der Gewalt gehorcht die Dramaturgie des Films einer skandalösen Zufälligkeit, obwohl andererseits Indizien einer verallgemeinerbaren Logik erkennbar sind. Indem der Figur des Otomo ihr „Geheimnis“ gelassen wird (die Kamera nähert sich wiederholt in Close-ups dem Gesicht von Isaac de Bankolé, registriert Mimik und Gestik, verweigert sich aber einer oberflächlichen, spekulativen Psychologisierung), erzählt „Otomo“ nicht ein weiteres Mal die bloß gut gemeinte Geschichte vom farbigen Asylanten als Opfer, der fast zwangsläufig zum Täter werden muss, um einen Rest von Würde zu wahren.Im Abspann des Films liest man eine aufschlussreiche Verbeugung vor Roland Klick („Bübchen“, „Supermarkt“, fd 18 693), dessen Filme Schlaich im Rahmen einer Video-Edition wieder zugänglich gemacht hat. Viele der Qualitäten von „Otomo“ erinnern in der Tat an Klicks Verständnis von präsisem Handwerk: Das Gespür für die Inszenierung von Räumen, für die Bedeutung der Körpersprache, der nuancierten Ausstattung, auch ein Bewusstsein für die Bedeutung des Castings und der Locations. Die Besetzung der schwierigen Titelrolle mit Isaac de Bankolé („Black Mic-Mac“, fd 26 598, „Night on Earth“, fd 29 259) ist ein Glücksfall; an den Gedanken, dass Eva Mattes eine (junge) Großmutter spielt, muss man sich erst gewöhnen, aber die Szenen zwischen Bankolé und Mattes gehören zu den Höhepunkten des Films. Auch sonst wurde sorgfältig besetzt, so dass statt der üblichen Film- und Fernsehgesichter einige Entdeckungen geboten werden. Hanno Friedrichs Darstellung des besonnenen und abgeklärten Polizisten Heinz, in dem aus ganz prosaischen Gründen plötzlich das Jagdfieber erwacht, ist mehr als bemerkenswert. Der Film wurde zu großen Teilen an Originalschauplätzen gedreht, die Stuttgart von einer unwirtlichen Seite zeigen, eine zersiedelte, heruntergekommene Industrielandschaft am Neckar, keine Spur von Winzerromantik und Daimler-Chrysler-Herrlichkeit. Einmal entdeckt die Kamera am Neckarufer ein Wahlplakat: „Weltklasse für Deutschland!“ kann man darauf lesen. Mehr als um die Eskalation der Gewalt geht es in „Otomo“ um interkulturelle Projektionen und zerbrochene Träume: Das „Weltklasse“-Image der Bundesrepublik hat Otomo gelockt, sein Scheitern ist umfassend und der verzweifelte Versuch, das Land zu verlassen, das Eingeständnis dieses Scheiterns. Gisela, die sich privat mit afrikanischem Tanz beschäftigt und spontan versucht, Otomo zu helfen, muss sich von ihrer Tochter als „Hippie“ beschimpfen lassen. Der Polizist Rolf träumt von einer Karriere als – wir befinden uns in Stuttgart! – Rapper und überführt seine Alltagseindrücke unverzüglich in modischen Sprechgesang. An zwei, drei Stellen hört man solcherart zwar das Drehbuch rascheln, doch ansonsten überzeugt „Otomo“ mit einer in deutschen Produktionen selten gewordenen Form bewussten filmischen Erzählens.
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