Drama | Großbritannien 1998 | 87 Minuten

Regie: Michael Winterbottom

Nach acht Jahren im Gefängnis kehrt ein Fischer in seine südenglische Heimatstadt zurück, um wieder die Beziehung zu seiner früheren Geliebten aufzunehmen. Diese aber will nicht an die Vergangenheit erinnert werden, auf der ein dunkles Geheimnis lastet. Dafür werden ein 14jähriger Flüchtling aus Ex-Jugoslawien und seine Schwester in die tragisch endende Auseinandersetzung verwickelt. Der stark stilisierte, in suggestive Stimmungen und kunstvolle Bilder getauchte Film ist optisch wie akustisch komplex strukturiert und kreist inhaltlich um Fragen von Schuld und Sprachlosigkeit. In seiner Tiefenstruktur handelt er vom fortgeschrittenen Zerfall der Moderne. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
I WANT YOU
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Revolution Films
Regie
Michael Winterbottom
Buch
Eoin McNamee
Kamera
Slawomir Idziak
Musik
Adrian Johnston
Schnitt
Trevor Waite
Darsteller
Rachel Weisz (Helen) · Alessandro Nivola (Martin) · Luka Petrusic (Honda) · Labina Mitevska (Smokey) · Carmen Ejogo (Amber)
Länge
87 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Gelegentlich ist es hilfreich, sich die alte hermeneutische Erfahrung ins Gedächtnis rufen, daß Künstler nur in Ausnahmefällen die besten Interpreten ihrer Werke sind. Wer bei der „Berlinale“ 1998 Michael Winterbottom gehört oder seitdem Äußerungen des 37jährigen Engländers (vgl. fd 13/98, S. 34) gelesen hat, ist wahrscheinlich geneigt, die ambivalente Rezeption seines vierten Kinofilms nachvollziehen: Über eine 87minütige düstere Etüde zu Elvis Costellos Ohrwurm „I want you“ braucht man nicht viel Aufhebens machen, wenn sich das Experiment in der Bebilderung von Stimmungen und Atmosphären erschöpft. Doch Witterbottoms bisherige Arbeiten waren inhaltlich wie stilistisch zu herausfordernd, als daß man seine irritierenden Anmerkungen zum Maßstab machen sollte. „I want you“ ist alles andere als eine manieristische Petitesse: Im Mittelpunkt des kunstsinningen, hochkomplexen Films steht eine sperrige Reflexion über Schuld und Sprachlosigkeit, die konzentriert und mit primär cineastischen Mitteln vom fortgeschrittenen Zerfall der Moderne handelt.

„So könnte es gewesen sein“, hört man eine unbekannte Stimme, während die Kamera des „Filter“-Spezialisten Slawomir Idziak bei der Fahrt über eine Schotterpiste in Schwarz-Blau ertrinkt. Eine Leiche fällt in modriges Wasser. Dann färbt sich Leinwand fahlgelb, während aus der Ferne ein Lkw heranfährt, der einen verschlossenen Mann nach Farhaven bringt: Martin. Acht Jahre saß der Fischer wegen Todschlags im Gefängnis, seit zwölf Monaten ist er auf Bewährung draußen, jetzt kehrt er in das nebelgraue Seebad an der englischen Südküste zurück. Am Ufer läuft ein blasser Junge entlang, der Versteinerungen sucht: Honda, ein 14jähriger Bürgerkriegsflüchtling aus Ex-Jugoslawien, ist verstummt, seit er die Leiche seiner Mutter fand, die das Leben im Exil nicht aushielt. Mit seiner Schwester Smokey lebt er in einer kleinen Hütte am Strand und beobachtet die Welt mit skeptischem Blick – und hochempfindlichen Richtmikrophonen. Fast zwanghaft zeichnet er Geräusche und Gespräche auf und mischt sie mit der Stimme seiner Mutter zu Ton-Collagen, die er beim Einschlafen abspielt. Smokey, sanft und wasserstoffblond, scheint mit ihrem Schicksal besser klar zu kommen: Sie jobbt als Sängerin in einem Club und schleppt jeden Abend einen anderen Mann nach Hause. Nur Martin scheint an Sex mit ihr nicht interessiert zu sein, obwohl er Nacht für Nacht eine schwarzhaarige Prostituierte mit grünen Augen bestellt und sie zu den Klängen von Costello tanzen läßt. Deren Ähnlichkeit mit Helen ist kein Zufall, die einen kleinen Friseursalon betreibt und eine abgelegene Villa bewohnt: Sie und Martin waren ein Paar, damals, bevor sich jener Todesfall ereignete, für den Martin im Gefängnis saß. Seine Rückkehr, von der Bewährungshelferin argwöhnisch beobachtet, gilt ausschließlich ihr. Doch Helen will nicht an die Vergangenheit erinnert werden und taucht lieber ins lichte Blau ihres Schwimmingpools ab. Hondas schüchterne Annäherungsversuche dagegen, der ihr Blumen schenkt oder eines seiner Tonbänder, belustigen sie, bringen aber auch weiche Seiten zum Klingen.

Die Wortlosigkeit und Kargheit, mit der der Film diesen Plot skizziert, korrespondiert ästhetisch mit den von Winterbottom angesprochenen extremen Stilisierungen, die Idziaks Kunst in suggestive Stimmungen und bizarre Bilder bannt. Es ist eine traumatische, grobkörnige Welt, deren Fokus sowohl im Zentrum als auch an den Rändern oft verschwimmt. In Helens alter Villa schiebt sich ein riesiges Aquarium ins Bild, das die Perspektiven aufweicht und in ähnlicher Weise verzerrt wie die voyeuristische Horchposition Hondas, dessen Blick durch bunte Glasscheiben nur auf zerfließende Fragmente trifft. Spiegelungen, Brechungen und Reflexionen verwischen die Grenze zwischen Innen und Außen, Wahrnehmung und Wirklichkeit werden zu einem rätselhaften Gewirr, das der Film langsam und kunstvoll auflöst. Inhaltlich kreist diese entfesselte Düsternis auf der Erzählebene um das Scheitern aller Kommunikationsversuche, die in Gesten, Geschenken oder der Sexualität eine meist nur rudimentäre Substitution erfahren. Erst vom schockierenden Ende her wird der tiefere Grund der ausweglosen Anstrengungen sichtbar: verdrängte Schuld, die bleiern auf Helen lastete, seit ihr Vater sie mit Martin im Bett überraschte und im Handgemenge erschlagen wurde. Helens ambivalentes Verhältnis zu Männern, die sie anmacht, dann aber zurückweist, Martins manische Obsession (dem der Film den Titel verdankt), aber auch das nicht weniger „gestörte“ Verhalten der Geschwister wird erst vor dem Hintergrund von Schuld verständlich. Wobei mit den beiden Flüchtlingen, die scheinbar nur zufällig in das Verhängnis hineingezogen werden, die eigentlich spannende Ebene erreicht ist. Denn Winterbottoms Film handelt in seiner Tiefe vom Niedergang der europäischen Moderne, politisch durch das Versagen im jugoslawischen Bürgerkrieg, dessen grausamer Horror in den Verstörungen von Honda und Smokey nachhallt, kulturell im Verlust jeglicher identitätsstiftender Strukturen. Farhaven, der weit entfernte Hafen, ist kein Tor zur Welt, sondern ein heruntergewirtschafteter, farbloser Ort im Nirgendwo, dessen Fassaden von einer überkommenen Vergangenheit zehren und dessen somnambule Bewohner Trauerkränze binden. Die „Väter“ sind tot, erschlagen oder verschollen, die Wärme der „Mütter“ nur noch ein fernes Echo, die Jungen allein und vereinsamt. Keine explizite Dialogzeile erwähnt diesen Zusammenhang – und doch erzählt Witterbottom mit seiner beeindruckend inszenierten „Sprach“-losigkeit von nichts anderem. Wenn sich am Ende der Horizont etwas lichtet und Honda aus dem Off einen vorsichtigen Satz formuliert, rundet sich zwar die konsequent aus der Sicht des Jungen erzählte Geschichte, doch die Sonnenstrahlen bleiben grau und verhangen: Woher auch sollte die Hoffnung ihre Berechtigung nehmen?
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