Schon in seinem Regie-Erstling „Eine ganz normale Familie“
(fd 22 861) hatte Robert Redford ein Faible für die filmische Analyse psychischer Konflikte und deren Heilung entwickelt. „Aus der Mitte entspringt ein Fluß“
(fd 30 198) war Jahre später die Verbindung dieses Themas mit einer metaphysischen Komponente, für deren bildhaften Ausdruck Redford das Einswerden des Menschen mit den (heilenden) Kräften der Natur wählte. Es ist nicht schwer zu erraten, was den sensiblen, naturverbundenen Regisseur an Nicholas Evans’ Bestsellerroman
„The Horse Whisperer“ gereizt hat. Das Buch – eine literarische Soap Opera von ärgerlicher Voraussehbarkeit – handelt von einer traumatisierten Vierzehnjährigen und ihrem traumatisierten Pferd, gleichzeitig vom Aufeinanderprallen moderner Manager-Hektik und in sich ruhender seelischer Ausgeglichenheit. Zum ersten Mal hat Redford auch die Hauptrolle in einem selbst inszenierten Film übernommen, was allein schon ein Zeichen dafür ist, wie sehr er sich mit der Zentralfigur des „Pferdeflüsterers“ identifiziert.Ein „Pferdeflüsterer“ ist ein Mann, der Pferden hilft, die ein Problem mit Menschen haben. Indirekt aber hilft er auch den Menschen, die ein Problem mit Pferden haben. Evans und Redford scheinen sich darin einig zu sein, daß es zu solch einer Konstellation nur kommen kann, wenn ein Mensch seine innere Balance und das Vertrauen in sich selbst verloren hat. Beide Frauengestalten des Films leiden unter diesem Problem. Grace, die 14jährige Tochter eines meist abwesenden Rechtsanwalts und einer betriebsamen Magazin-Redakteurin, verliert ihre beste Freundin bei einem dramatischen Reitunfall und erhält selbst das rechte Bein amputiert; Annie, ihre Mutter, verliert zum ersten Mal in ihrem Leben die Kontrolle über ihre Umwelt und muß sich das Vertrauen ihrer Tochter zurückerobern. Inmitten all der falschen Dinge, die sie tut, macht sie intuitiv aber eines richtig: Sie erkennt, daß die Heilung des schwerverletzten Pferdes und die Heilung ihrer Tochter eins sind. Wenn es einen Weg gibt, dem Pferd zu helfen, dann gibt es auch einen für ihre Tochter. Mit dem rigorosen Eifer, dem sie ihre Karriere zu verdanken hat, stürzt sie sich auf tiermedizinische Literatur und entdeckt eine Veröffentlichung über jene seltenen und begabten Naturmenschen, die in die Psyche der Tiere vorzudringen verstehen und mit unendlicher Geduld und angeborenem Geschick Wunder wirken. In Tom Booker findet sie einen solchen Mann. Weil sich Booker aber halsstarrig weigert, nach New York zu kommen, fährt Annie kurz entschlossen samt Tochter und Pferd nach Montana, wo Booker eine Ranch hat.Redford und seinen Autoren ist es gelungen, die im Buch allzu schematische Katastrophe des Anfangs auf eine andeutende, aber dennoch dramatische Schnittfolge zu verdichten. Doch bei den Ereignissen auf der Ranch und bei der sich langsam entwickelnden Beziehung der Personen zueinander verirren sie sich in die Voraussehbarkeit konsumliterarischer Erbauungsstücke. Das widerspenstige Mädchen beginnt dem „Cowboy“ zu vertrauen, so wie dieser sich schrittweise die Zuneigung des geschundenen Pferdes verschafft. Auch die geschäftstüchtige Mutter entdeckt eine weiche Seite und steckt sogar den Verlust ihres hochbezahlten Jobs weg, ohne mit der Wimper zu zucken. Im Roman endet die Begegnung der ungleichen Welten mit einer heißen Liebesbeziehung und dem völlig unüberzeugenden Tod des mythengleichen Helden. Redford erspart dem Kinopublikum in einsichtiger Selbstbescheidenheit beides. Was jedoch nicht bedeutet, daß er die klischeehafte Geschichte deshalb besser in den Griff bekommen hätte. Er ist vielmehr dem Ehrgeiz erlegen, die unüberhörbare Botschaft des Films mit den Genremustern des klassischen Cattle-Westerns zu verbinden. So ufert die bekenntnishafte Story einer Heilung von Geist und Körper in eine – zugegebenermaßen bildwirksame – Bewunderung für die Ursprünglichkeit und Unverdorbenheit des Landes und seiner Bewohner aus. Was in „Aus der Mitte entspringt ein Fluß“ im poetischen Anspruch einer hochrangigen Vorlage grundgelegt war und in engem Bezug zum Verhalten der Personen stand, entgleitet Redford diesmal in ein stark repetitives Breitwandgemälde reichlich naiven Zuschnitts.Je länger der Film währt, um so bedauernder drängt sich die Einsicht auf, daß der Idealist Redford in der gefühlsüberfrachteten Geschichte mehr gesehen hat, als sie hergeben kann. In seiner Konzentration auf das Handlungszentrum Montana begeht er zudem den Fehler, sich nicht genügend mit der Welt zu beschäftigen, der die heilungsbedürftige Mutter und Tochter entstammen. Der Roman hingegen widmet – trotz all seiner sonstigen Unzulänglichkeiten – den motivierenden Lebensumständen der Frauen breiten Raum und begründet damit eine besser nachvollziehbare Basis für ihre Verhaltensweisen. Die Bürde tragen nun die Schauspieler, insbesondere die Darstellerin der Mutter. Kristin Scott Thomas geht mit dem wenigen Rüstzeug, das ihr das Drehbuch an die Hand gibt, bewundernswert um. Fast gelingt es ihr, allein durch ihre Reaktionen auszudrücken, was der Figur an konkretem Hintergrund mangelt. Daß die wohltuend in Andeutungen belassene Liebesbeziehung so wenig überzeugend gerät, hat weniger mit ihr als mit Redford zu tun, der sich nicht entscheiden kann, ob Tom Booker nun ein moderner Held der Prärie oder ein verkappter Tiefenpsychologe sein soll. Am Ende bleibt er einsam in der Weite seiner geliebten Berge und Täler zurück. Das kommt davon, wenn man den „Pferdeflüsterer“ mit „Mein großer Freund Shane“ verwechselt.