Nobody's Business

Dokumentarfilm | USA 1996 | 60 Minuten

Regie: Alan Berliner

Im Mittelpunkt dieser Dokumentation steht der Vater des Filmemachers. Dessen Eltern, die aus einem kleinen Städtchen nordöstlich von Warschau stammten, waren Anfang dieses Jahrhunderts in die "Neue Welt" ausgewandert. Mit Vehemenz sträubt sich der Vater, über die Ursprünge seiner Familie nachzudenken - er sei Amerikaner und sonst nichts. Der Sohn aber läßt nicht locker und stößt dabei auf das Tabu des Holocausts. Alan Berliner entwirft darüber hinaus einen erhellenden Exkurs über Zwänge und Zufälligkeiten menschlicher Genealogie, der auf verblüffende Weise gleichzeitig anthropologisch-universell und selbstironisch daherkommt. (Kinotipp der katholischen Filmkritik; O.m.d.U.; als Vorprogramm läuft der Film "Jewish Prudence" von Max Davidson, USA 1927, s/w, 20 Min.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NOBODY'S BUSINESS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Cine Matrix
Regie
Alan Berliner
Buch
Alan Berliner
Kamera
Phil Abraham · Alan Berliner · David W. Leitner
Schnitt
Alan Berliner
Länge
60 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Diskussion
Spätestens seit den Äußerungen der amerikanischen Außenministerin Albright, sie habe zwar vage von ihrer jüdischeuropäischer Abstammung gewußt, sich aber nicht für die Details interessiert, wurde ein in den USA offenbar weit verbreitetes Verdrängungsphänomen bekannt. Schon Steven Spielberg hatte eingeräumt, vor seiner Arbeit an "Schindlers Liste" (fd 30 663) sehr wenig über die europäische Leidensgeschichte seines Volkes gewußt zu haben - um dann ab 1993 mittels einer kolossalen Aufarbeitungsmaschinerie das Versäumte um so intensiver nachzuholen. Auch bei der vorliegenden Low-Budget-Produktion geht es letztlich um das Trauma des Holocausts, um den Impuls mittelbar Betroffener, diese Jahrtausendkatastrophe nicht zu dicht an sich herankommen zu lassen. Alan Berliner (nicht zu verwechseln mit Alain Berliner, Regisseur von "Mein Leben in Rosarot", fd 32 825) entwirft in seinem Film darüber hinaus einen Exkurs über Zwänge und Zufälligkeiten menschlicher Genealogie, der auf verblüffende Weise gleichzeitig anthropologisch-universell wie selbstironisch daherkommt.

"Nobody's Business" bedeutet so viel wie "Das geht keinen etwas an!" und zitiert damit den Vater des Filmemachers - dieser steht nämlich im Mittelpunkt der Dokumentation. Immer wieder wehrt er die hartnäckigen Fragen seines Sohnes ab: "Ich bin nicht irgendeiner deiner Kumpels - ich bin dein Vater." Um sich dann doch Stück für Stück privater Reflexion abtrotzen zu lassen. Allerdings weigert er sich beharrlich, allzu tief in den Erinnerungen zu stöbern; kurioserweise scheinen vor allem die Ursprünge der Familie Berliner mit einem Tabu belegt zu sein. Seine Eltern waren ein Paar unter Millionen ostjüdischer Einwanderer, die in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in die "Neue Welt" auswanderten. Der Großvater: ein ewig griesgrämiger ehemaliger Talmudschüler mit guten Aussichten auf das Rabbiner-amt, der in Amerika doch nur ein mäßig erfolgreicher Schneider wird. Die Großmutter: das integrative Moment der schnell anwachsenden Familie, die typische "Mamme", fürsorglich, liebevoll, sich selbst stets zurücknehmend. Ihr hoffnungsvollster Sohn (der Vater des Filmemachers) geht zur Army, kämpft in Südostasien, heiratet eine sephardische Jüdin aus Griechenland und wird zum mäßig erfolgreichen Handelsvertreter. Heute lebt er nach gescheiterter Ehe in einem Wolkenkratzer, wechselt in jeder Mittagspause mit dem Wachmann einige lapidare Sätze und ist sonst vor allem eins: einsam. Dennoch setzt er der Neugierde des eigenen Sohnes weiterhin vehementen Widerstand entgegen. Als dieser im Museum für Familiengeschichte in Salt Lake City auf eigene Faust recherchiert und den Vater anschließend mit den Ergebnissen konfrontiert, ist die Ablehnung um so größer. Er ist Amerikaner und sonst nichts! Was gehen ihn die primitiven Vorfahren aus jenem Städtchen namens Raigrad irgendwo nordöstlich von Warschau an? Möglich, daß die Geschwister, Neffen, Nichten, Urgroßeltern, Vettern usw. den Deutschen zum Opfer gefallen sind, es tut ihm leid, aber er kann's ja doch nicht ändern, und jetzt Schluß mit diesem Unsinn, er ist amerikanischer Staatsbürger, Punkt. Alan Berliner kann bei einer Reise ins heutige Polen das Grab seiner Urgroßeltern nicht finden, macht sich aber, zurückgekehrt in die USA, auf die Suche nach ihm bislang unbekannten Verwandtschaftszweigen. Natürlich ergibt sich dadurch kein Aufschluß über die Launen des Schicksals, es werden insgesamt keinerlei Antworten gegeben - dafür aber um so mehr Fragen gestellt. Berliner kommt vom experimentellen Film. Sein dynamisches Montageprinzip, die geschickte Verschachtelung auditiver und visueller Momente schafft eine offene Struktur. Nie gerät diese Methode zum Selbstzweck, bleibt stets dem Anliegen seines Projektes untergeordnet. Daß er die eigene, höchst private Intention mitunter durch fast überdeutlich ausgestellte Ironie unterläuft, sei ihm zugestanden. (Als Vorprogramm wird ein Kurzfilm vom erst kürzlich wiederentdeckten Max Davidson angeboten: "Jewish Prudence" aus dem Jahre 1927, eine Konversationskomödie, deren kruder jüdischer Humor sich im Stil Ernst Lubitschs, Billy Wilders oder Woody Allens fortgesetzt hat.)
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