- | USA 1996 | 95 Minuten

Regie: Steve Buscemi

Situationen aus dem Leben eines Taugenichts in einer Vorort-Bar: Ein beruflich wie privat glückloser Lebenskünstler erkennt erst allmählich den Scherbenhaufen seines Lebens. Eine liebevoll inszenierte Tragikomödie, voller Sympathie für ihre Figuren; das beachtliche Regiedebüt des Hauptdarstellers Steve Buscemi. (Fernsehtitel: "Trees Lounge - Die Bar, in der sich alles dreht".)
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Filmdaten

Originaltitel
TREES LOUNGE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Orion/Live Ent.
Regie
Steve Buscemi
Buch
Steve Buscemi
Kamera
Lisa Rinzler
Musik
Evan Lurie
Schnitt
Kate Williams
Darsteller
Steve Buscemi (Tommy) · Mark Boone jr. (Mike) · Chloe Sevigny (Debbie) · Michael Buscemi (Raymond) · Anthony LaPaglia (Rob)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
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Diskussion
Die Bezeichnung "Bar" wäre ein glatter Euphemismus für die vergammelte "Trees Lounge" im Städtchen Valley Stream, Long Island. In unseren Breiten wäre dieser glanzlose Treffpunkt der immer selben Stammgäste als gewöhnliche Eckkneipe hinreichend charakterisiert. Seit Jahrzehnten hat sich hier nichts verändert, weder das Mobiliar noch die Songs in der Jukebox. Und auch die Kundschaft scheint durchaus vertraut: neben stillen Trinkern und lauten, zwischen verkrachten Paaren und gescheiterten Existenzen gibt es den typischen Tagedieb, den klassischen Schnorrer, dem man dann doch immer wieder einen Drink spendiert, da er sich so beharrlich bemüht, das Entgegenkommen wenigstens mit einem schwachen Scherz zu danken. Es sind trockene Floskeln von einem Stolz, den man in der Großstadt der Boheme zuschreiben würde, im Vorort aber eher der Attitüde von Zukurzgekommenen.

"Ich versuchte mir vorzustellen", sagt Steve Buscemi über die Figur des Tommy, "wie mein Leben hätte verlaufen können, wenn ich nicht nach Manhattan gezogen wäre, um Schauspieler zu werden." Wie viele Debütarbeiten ist auch diese autobiografisch gefärbt. Doch man brauchte nicht einmal zu wissen, daß Valley Stream tatsächlich die Heimatstadt des Filmemachers ist, um die zwiespältige Idee von Heimat zu verstehen, die diesem Film zugrunde liegt. Gesichtslose Vorstädte wie Valley Stream eignen sich kaum für sentimentale Erinnerungsreisen. Buscemi beschreibt eine Provinz, die nicht einmal abgelegen genug ist, um als pittoreske Alternative zur Großstadt zu taugen. Sein Mitgefühl gehört dabei jenen, die nicht wie Tommys jugendliche Freundin Debbie doch noch den Absprung in die City schaffen. Tommy ist arbeitslos, seit er seinem Arbeitgeber, der auch Liebhaber seiner abtrünnigen Ehefrau ist, einen Grund gegeben hat, ihn zu feuern: 1500 Dollar hatte er sich aus der Kasse geliehen für einen Ausflug ins Spielerparadies Atlantic City und sie aus naheliegenden Gründen nicht mehr zurückgeben können. Ohnehin war Tommy, wie seine Frau zu sagen pflegte, öfter zur Bar gegangen als zur Arbeit. Einen kurzen Aufschwung nimmt seine Karriere, als er nach dem Tod seines Onkels dessen Eiswagen fahren darf. Die Ausfahrten werden sogar zum Vergnügen, als sich das 17jährige Nachbarmädchen Debbie in ihn verliebt. Reagierte Tommy nicht mit Feigheit, als Debbie seinetwegen von ihrem Vater verprügelt wird, vielleicht wäre sein Leben tatsächlich wieder lebenswert geworden. Doch während Debbie Hals über Kopf nach New York zieht, zeichnet sich für Tommy keine positive Wendung ab. Er besucht reumütig seine Ehefrau nach der Geburt ihres Kindes im Krankenhaus, doch diese erkennt seine Illusionen als das, was sie sind. So endet Tommys Geschichte da, wo sie begonnen hat - im "Trees Lounge".

Für die bescheidene Summe von einer Million Dollar entstand ein unprätentiöser Independentfilm, deutlich orientiert an Buscemis Vorbild John Cassavetes. In dessen Filmen, so der Regisseur, stünden weniger die Handlungen als die Charaktere im Mittelpunkt. "Cassavetes zeigt ihre guten wie ihre schlechten Seiten. Doch er hat seine Figuren nie verurteilt, sondern stets geliebt. Genauso wollte ich sie auch schildern." Eine solche Menschenliebe, für Filmemacher wie Sirk, Truffaut oder Fassbinder einmal eine Selbstverständlichkeit, ist rar und kostbar geworden im gegenwärtigen Kino. Buscemi gelang es nach zähen Verhandlungen mit seinen Geldgebern, ein pessimistisches Ende durchzusetzen, das seinen Film neben "Leaving Las Vegas" (fd 31 893) zu den wenigen erklärten Gegenbeispielen einer aktuellen Tendenz zu naiver Versöhnlichkeit im amerikanischen Gegenwartsfilm macht. In der Tradition von Cassavetes steht auch das improvisierte Spiel der handverlesenen Besetzung. Indem Buscemi seinen Mitspielern größte darstellerische Freiheit zugesteht, löst er seinen erklärten Anspruch ein, die Charaktere stärker zu betonen als die eigentliche Handlung. So sind es die Situationen selbst, unwiederbringliche Momente, die allein das Kino festzuhalten vermag, die die Erzählung in Beiläufigkeit weiter tragen. Die Stärke des Ensembles entlastet auch Buscemis Hauptfigur, die so vergleichsweise bescheiden und zurückgenommen agieren kann. Die Liebe, die man diesem Film angedeihen ließ, teilt sich dem Zuschauer in zweifacher Gestalt mit: als Menschenliebe und Cinephilie.
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