Blue in the Face

Drama | USA 1994 | 85 Minuten

Regie: Wayne Wang

Ein halb dokumentarischer, halb inszenierter "Augenblicksfilm", inspiriert durch die Arbeit mit den Schauspielern für den Film "Smoke": Man kehrt in den kleinen Tabakladen in Brooklyn zurück und erlebt kleine und kleinste Episoden, die überwiegend von den Darstellern improvisiert werden und sich zu einem Potpourri Brooklynscher Mentalitäten ergänzen. Kurzweilig, charmant und entspannt, gewinnt der Film durch die Kenntnis von "Smoke" an Reiz. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BLUE IN THE FACE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Miramax
Regie
Wayne Wang · Paul Auster
Buch
Wayne Wang · Paul Auster
Kamera
Adam Holender
Musik
John Lurie
Schnitt
Christopher Tellefsen
Darsteller
Harvey Keitel (Auggie Wren) · Lou Reed (Mann mit ungewöhnl. Brille) · Mel Gorham (Violet) · Victor Argo (Vinnie) · José Zúñiga (Jerry)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.66:1, DS engl./dt.)
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Diskussion
Allen, die sich von "Smoke" (fd 31 577) nicht losreißen können, bescheren Paul Auster und Wayne Wang eine Rückkehr in jenen kleinen Tabakladen in Brooklyn an der Kreuzung der dritten Straße mit der siebten Avenue. "Blue in the Face" ist aber weder eine Fortsetzung noch ein Aufguß, sondern ein eigenständiges zweites Standbein, inspiriert und gespeist von den Erfahrungen, die Auster und Wang während der Dreharbeiten zu "Smoke" gesammelt haben. Die vielen Kurz- und Kürzest-Auftritte der Personen in "Smoke" ließen sie deren Eigenleben hinter den festgelegten Drehbuch-Sentenzen spüren; Wang und Auster wurden neugierig: auf die Menschen und ihre Talente, ihre Gedanken über das Leben, über New York im allgemeinen, Brooklyn im besonderen. Sie schwatzten ihren Produzenten einige weitere Drehtage ab, Auster konstruierte für die Darsteller einige Spiel-Notizen, die lediglich als Ausgangsmaterial für ihr Spiel dienen sollten. Jede Notiz wurde dann die Basis für eine Spielszene, die die Kamera so lange einfing, wie das Filmmaterial in der Kassette Raum bot - die Darsteller sollten spielen und reden, bis sie "blau im Gesicht" werden.

Hauptaufgabe der beiden Regisseure war es dann, das umfängliche Material mittels einer geschickten Montage so "einzudampfen", daß ein "richtiger" Film dabei herauskam; dies aber ist "Blue in the Face" dann doch nicht geworden - wohltuenderweise. Vielmehr ist er ein eigentümlich-kurioser Bastard aus unterschiedlichen Ansätzen: eine Low-Low-Budget-Produktion ohne eigentliches Konzept, aber mit ganz eigenem Mikrokosmos, mit vielen improvisierten Szenen, mit dokumentarischen wie inszenierten Elementen, mit witzigen Pointen (ebenso wie mit einigem Leerlauf), vor allem aber mit viel Charme, Liebenswürdigkeit und großer Entspanntheit. Dreh- und Angelpunkt sind wie in "Smoke" besagter Tabakladen und der Verkäufer Auggie Wren, der zu Beginn eine Art Devise vorgibt: Er fängt einen schwarzen Jungen, der einer Passantin die Handtasche gestohlen hat; daß diese aus Mitleid davon absehen will, den kleinen Dieb verhaften zu lassen, bringt Auggie in Rage und veranlaßt ihn zu einer ganz eigenen Reaktion, um ihr seine Philosophie von Recht und Unrecht sowie vom Leben in

New York zu erklären. New York bzw. Brooklyn "erklären" wollen dann direkt oder indirekt alle Personen, die auftreten. Lou Reed redet über sich und New York, Leute "von der Straße" rezitieren Zahlenmaterial über die Zusammensetzung der Bevölkerung in Brooklyn, andere reflektieren über das Leben dort; Regisseur Jim Jarmusch spielt einen Mann, der das Rauchen aufgeben will und im Angesicht seiner Abschiedszigarette über das Rauchen an sich meditiert; Auggie und seine Geliebte Violet sowie Ladenbesitzer Vinnie und seine Frau Dot verwickeln sich in Alltagsszenen um Liebe und Eifersucht, Lebenssinn und Lebensfreuden. Irgendwie geht es auch um das "Geheimnis" belgischer Waffeln, um einen aus dem Jenseits zurückkehrenden, legendären Baseball-Profi, der einst in Brooklyn spielte, um ein von Pop-Ikone Madonna dargestelltes "Singendes Telegramm", um eine sehr eigenwillige Volksbefragung, um die skurrilen Dauergäste des Tabakladens und - immer wieder - um die Musik von John Lurie. Der sitzt mit seinen Musikern manchmal im, manchmal vor dem Laden, ist also als schweigsamer Zuhörer im Bild sichtbar, bevor er wieder zu musizieren beginnt und ein faszinierendes Bindeglied zwischen der fiktiven und der dokumentarischen Ebene des Films herstellt.

Auster und Wang strukturieren das Material kurzweilig und unterhaltsam als ein Potpourri Brooklynscher Mentalitäten. Überblendungen innerhalb ein und derselben Einstellung, elliptische Erzählschleifen, "schnelle" Schnitte zwischen vermeintlich unvereinbaren Szenen beschleunigen nicht nur den Erzählrhythmus, sondern schaffen eine eigene Logik innerhalb des disparaten Materials. "Blue in the Face" ist eine Art "Instant Movie", ein Augenblicksfilm, dessen Szenen und Personen man im Detail vielleicht bald wieder vergißt, dessen Stimmung, Heiterkeit und Gelassenheit einen aber gewiß noch lange begleiten werden - eine Art filmischer Song über Freundschaft, Liebe, Heimat und Zugehörigkeitsgefühl inmitten einer verrückten Welt.
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