Drama | USA 1994 | 112 Minuten

Regie: Wayne Wang

Der Verkäufer eines Tabakwarenladens in Brooklyn ist Dreh- und Angelpunkt einer Vielzahl von Geschichten über Freundschaften, Güte und solidarisches Handeln. Keine große Filmerzählung, sondern wundervoll gereihte Miniaturen, die sich in einem entspannten Rhythmus zur Einheit fügen. Das fabelhafte Buch, die kongeniale Inszenierung und die exzellenten Darsteller lassen den zauberhaften Film zu einem selten gewordenen Erlebnis werden, das lange nachhallt. (Kinotipp der katholischen Filmkritik; vgl. auch "Blue in the Face") - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SMOKE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Miramax
Regie
Wayne Wang · Paul Auster
Buch
Paul Auster
Kamera
Adam Holender
Musik
Rachel Portman
Schnitt
Maysie Hoy
Darsteller
Harvey Keitel (Auggie Wren) · William Hurt (Paul Benjamin) · Harold Perrineau (Rashid Cole) · Forest Whitaker (Cyrus Cole) · Stockard Channing (Ruby McNutt)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 1.66:1, DS engl./dt.)
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Diskussion
Paul erzählt die Geschichte des Sir Walter Raleigh, Intimus der englischen Königin Elisabeth I. und leidenschaftlicher Raucher, der den Rauch einer Zigarre wiegen konnte. Seine Zuhörer trauen ihren Ohren nicht, Auggie jedenfalls hat Gefallen an der kleinen Geschichte. Irgendwie hat er auch damit zu tun, immerhin verkauft er Rauchwaren in Vinnies Geschäft, ist so eine Art Fachmann.

Vinnies Tabakladen in Brooklyn, Ecke 3rd Street und 7th Avenue ist das Zentrum in "Smoke". Hier trifft man sich, redet miteinander, manchmal auch aneinander vorbei, hier kann Auggie sich um den debilen Jimmy kümmern, der pausenlos den Bürgersteig fegt, hier kauft Schriftsteller Paul regelmäßig seine holländischen Zigarren - Schimmelpennicks. Auggie kennt die Geheimnisse seiner Kunden, weiß, daß Pauls Frau vor ein paar Jahren auf offener Straße erschossen wurde, weiß, daß Paul sich seitdem in sich zurückgezogen hat. Das Schreiben geht nicht mehr so leicht von der Hand, die Zigarren sind weit mehr als Glimmstengel für den Autor.

Nach dem Verlassen des Ladens lernt Paul den jungen schwarzen Herumtreiber Rashid kennen bzw. dieser rettet ihm das Leben, als Paul gedankenverloren die Straßen überqueren will. Der Dank sind einige Colas und Hamburger, ein Gespräch und Pauls Einladung, der Junge könne einige Tage bei ihm wohnen. Der lehnt ab, irgendwie ist Paul auch froh und um so überraschter, als Rashid einige Tage später bei ihm vor der Tür steht und das Angebot annimmt. Er ist ohne Bleibe und auf der Suche nach seinem Vater.

Inzwischen sind Auggie und Paul sich nähergekommen, der Verkäufer hat den Schriftsteller in sein Lebenswerk eingeweiht, ihm den wahren Sinn seines Lebens erschlossen. Jeden Morgen um sieben fotografiert er das Haus, in dem er wohnt, immer vom selben Standpunkt aus, immer aus demselben Blickwinkel. Das Ergebnis sind etwa 4 000 Fotos, säuberlich eingeklebt in zwölf identische Alben. Paul ist zunächst über diese vermeintliche Schrulle amüsiert, mehr höflich als interessiert blättert er in den Alben, überfliegt hastig die Seiten. Auggie unterbricht ihn: "Sie sind zu schnell. Wenn sie nicht langsamer machen, werden sie nie dahinterkommen." Erst jetzt erkennt Paul, daß alle Fotos anders sind. Das Licht und das Wetter wechselt, die Wolken haben stets eine andere Form, mal schauen Leute in die Kamera, andere hasten vorbei. Plötzlich ist Paul wie vom Donner gerührt, auf einem der Fotos erkennt er seine tote Frau. Tränen treten ihm in die Augen, er hat seine Lektion gelernt und die Poesie von Auggies Fotos erkannt.

Der Film von Wayne Wang und Paul Auster ist voll von diesen kleinen Geschichten, die zu Herzen gehen und zu Tränen rühren, ohne rührselig zu sein. Kunstvoll erzählte Miniaturen, die mit viel Liebe zu einer Geschichte zusammengefaßt werden, ohne daß sie eine zusammenhängende Geschichte im klassischen Sinn ergeben würden. Das macht es auch so schwer, Paul Austers Buch nachzuerzählen, eine Inhaltsangabe herkömmlicher Art würde jeden Rahmen sprengen. Jede Person hat ihre eigene Geschichte, verfolgt eigene Wege und Ziele, doch man begegnet sich ständig in diesem Mikrokosmos, der nur wenige Straßenzüge umfaßt.

Obwohl Rashid, der eigentlich Thomas heißt, Paul auf die Nerven geht und belügt, ihm zwei Gangster auf den Hals hetzt und in Gefahr bringt, werden die beiden Freunde. Sogar Auggie ist mit von der Partie, als es darum geht, Rashids Vater, mit dem der Sohn sich ausgesöhnt hat, in Augenschein zu nehmen, und das, obwohl Rashid ihm wenig zuvor ein todsicheres Geschäft mit illegalen, sündhaft teuren kubanischen Zigarren vermasselt hat, genauer gesagt, der Junge hat die Zigarren vernichtet. Auggie, die gute Seele, läßt sich sogar von Ruby, seiner Ex-Geliebten, an die er sich nicht sonderlich gerne erinnert, überreden, mit ihr Felicity, angeblich seine Tochter, nach 18 Jahren aufzusuchen. Die junge Frau ist drogenabhängig, und ihr ist kaum noch zu helfen, trotzdem schenkt er Ruby 5 000 Dollar, sein ganzes Vermögen, damit eine Entziehungskur finanziert werden kann.

Auggie ist das Herz der Geschichte, ihre Seele, der Anlaufpunkt, auf den alles zusteuert.

Oft wirkt er mürrisch, doch er hält alles zusammen, hat für jeden ein offens Ohr und unter der rauhen Schale ein viel zu weiches Herz. Ist er der menschliche Motor der Geschichte, so sind die 5 000 Dollar der rote Faden, an dem die einzelnen Erzählperlen aufgereiht sind. Auch in dieser Konstruktion ist die meisterliche Erzähltechnik Austers, eines der wichtigsten zeitgenössischen amerikanischen Autoren, zu erkennen.

Am Ende sind Auggie und Paul Freunde geworden, und da der Schriftsteller in der Klemme steckt - er soll binnen weniger Tage eine Weihnachtsgeschichte abliefern -, hilft der Verkäufer-Fotograf. Er schenkt ihm seine Geschichte, erzählt, wie er zu seiner Berufung und der dazu notwendigen Kamera kam. Eine auf den Kopf gestellte Weihnachtsgeschichte voller Lügen und mit einem Diebstahl, aber auch voller unerschütterlicher Menschlichkeit - Auggie pur eben.

Hier schließt sich der Kreis und hier muß die Exegese des Films von hinten aufgezäumt werden. Am Anfang stand "Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte", eine wenige Seiten umfassende Erzählung, die Paul Auster 1990 für die "N ew York Times" schrieb. Wayne Wang las sie im fernen San Francisco, nahm Kontakt auf, die beiden kamen ins Gespräch und - nach der Überwindung zahlreicher Widerstände - ins Geschäft. "Smoke" ist ein überaus autobiografisch gefärbter Film, viele Details stimmen, den Tabakladen gibt es und es gibt sogar Paul Benjamin, er ist das alter I ego Austers, das in vielen seiner Bücher auftaucht, unter dessen Namen der Autor sogar einen Kriminalroman verfaßte.

"Smoke" ist ein typischer Auster-Stoff: Zu Beginn sind die Helden für sich allein, abgekapselt, scheinen sich in ihrer Einsamkeit eingerichtet zu haben. Nur ganz langsam sind sie in der Lage, Nähe aufzubauen; am Ende hat sich ihre Grundposition nur ein wenig verändert, ihre individuellen Probleme sind dieselben geblieben, aber die Welt schaut ein wenig freundlicher aus, wirkt lebenswerter. Wayne Wang setzt diese Stimmung auf kongeniale Weise um. Er nähert sich der Geschichte mit geradezu rauch-hafter Leichtigkeit und einem ungeheuer entspannten Rhythmus. Anfänglich - die Personen sind noch auf Distanz - herrschen Halbtotalen vor, je näher sich die Menschen kommen, um so mehr nähert sich ihnen die Kamera. Am Ende, als Auggie seine Geschichte erzählt, sieht man die Gesichter der beiden Männer in Großaufnahme, und die Kamera fährt noch näher heran, zeigt am Ende nur noch Auggies erzählenden Mund.

Wang/Auster ist einer der schönsten Filme der letzten Jahre gelungen. Klein und bescheiden, völlig unspektakulär; ein kleines Wunder, daß so ein Film überhaupt noch realisiert werden konnte. Neben der schönen Geschichte über Freundschaften und die heilende Kraft des Erzählens trägt diese Bescheidenheit dazu bei, daß der Film so wunderbar funktioniert und so nachhaltig wirkt. Unterstützt wird dies durch das fabelhafte Spiel von Harvey Keitel, der seinem Auggie eine solche Wärme verleiht, daß ein Charakter entsteht, den man im wirklichen Leben unbedingt zum Freund haben möchte: ein wundervoller Mensch, mit kleinen Fehlern zwar, aber irgendwie ein Fels der Menschlichkeit und Güte in dieser unsteten Welt. Man hat den Eindruck, daß sich dieses ungeheuere, schwer zu beschreibende Gefühl auf die ganze Filmcrew übertragen hat. Man sieht sie förmlich am Ende eines langen Arbeitstages völlig entspannt den Tag ausklingen lassen. Wayne, Auster, Keitel und Hurt nippen an ihren Getränken, paffen natürlich vor sich hin und lächeln versonnen in sich hinein. Ein schöneres Gefühl kann ein Film kaum vermitteln.

Und weil alles so schön war, hat die Mannschaft innerhalb von vier Tagen eine zweiten Film gedreht: "Blue in the Face", Stehgreifgeschichten mit und um Auggie Wren (Bundesstart im Januar 1996). Zum Abschluß sei bemerkt, daß "Smoke" auch ein Film gegen die in Amerika grassierende "political correctness" ist. Selten in einem neuen amerikanischen Film hat man Menschen so lustvoll rauchen gesehen, kaum eine Szene ohne Tabakwaren. Sie werden so selbstverständlich hingenommen wie die freundlichen Gespräche.

Kein Wunder, daß die letzte Einstellung dem Rauch gilt, der aus Auggies und Pauls Mündern gemächlich zur Decke steigt. Vielleicht mag Sir Walter Raleigh in ja wiegen.
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