Komödie | Großbritannien 1993 | 94 Minuten

Regie: Stephen Frears

Eine unverheiratete Zwanzigjährige, Tochter aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie in einem Dubliner Vorort, wird schwanger. Da sie den Vater des Kindes verheimlichen will, geraten ihre Familie und vor allem der in seiner Autorität verletzte Vater in Turbulenzen und Krisen, bevor die tiefe Zuneigung füreinander und die (Vor-)Freude auf das Baby alle versöhnt. Ein schwungvoll und detailfreudig entwickelter liebenswerter Film, der bruchlos die Verzahnung von realistischer Alltagsbeschreibung, bewegendem Melodram und unterhaltsamer Komödie meistert. Ein außergewöhnliches Plädoyer für die uneingeschränkte Zustimmung zum Leben. (Kinotipp der katholischen Filmkritik; auch O.m.d.U.; die deutsche Synchronfassung kommt bei aller Sorgfalt dem Charme des Originals nie nahe.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE SNAPPER
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
BBC Films
Regie
Stephen Frears
Buch
Roddy Doyle
Kamera
Oliver Stapleton
Musik
div. Songs
Schnitt
Mick Audsley
Darsteller
Tina Kellegher (Sharon Curley) · Colm Meaney (Dessie) · Ruth McCabe (Kay) · Colm O'Byrne (Craig) · Eanna MacLiam (Kimberley)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Concorde (16:9, 1.78:1, DD2.0 engl./dt.)
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Diskussion
"Du bist was?" Ebenso unvermittelt wie im Roman beginnt auch der Film mit einem Geständnis: Sharon Curley, 20 Jahre und damit das älteste von sechs Kindern einer Arbeiterfamilie in einem Vorort Dublins, ist schwanger. Vater Dessie und Mutter Kay ringen um Fassung, und vielleicht hätte sich vor allem Dessie schneller mit der neuen Situation abgefunden, wenn seine unverheiratete Tochter wenigstens sagen würde, wer der Vater des Kindes ist. Doch Sharon schweigt; das sei ihre Angelegenheit. Nachdem Vater und Tochter erst einmal bei einem Glas Guinness in Pub und Disco das Geständnis "verarbeitet" haben, scheint sich die neue Situation in den ohnehin schon turbulent-chaotischen Familienalltag einordnen zu lassen. Doch bei allem inneren Zusammenhalt lebt auch Familie Curley nicht im hermetisch geschlossenen Raum: Sharons Geheimnis tickt wie ein Zeitbombe, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis wird geredet, spekuliert, schließlich kann einer seinen Mund nicht halten, ein Gerücht kommt auf und wird weitergetragen. Als sich dann herausstellt, daß der Vater des Kindes ausgerechnet ein älterer Nachbar ist - und zudem der Vater einer von Sharons Freundinnen -, der die Situation auf einem Fest, als alle maßlos betrunken waren, ausnutzte, da kriselt es doch bei den Curleys. Dessie fühlt sich in seiner Ehre als Familienoberhaupt gekränkt, reagiert beleidigt und mit dem Rückzug von Sharon. Für Sharon wiederum beginnt em Spießrutenlauf, den sie lässig zu ertragen versucht, der sie aber doch manchmal die Passung verlieren läßt. Daß sich trotz aller Krisen Solidarität und Miteinander wieder einstellen, liegt vor allem an einem: an der unzerstörbaren Zuneigung der Familienmitglieder zueinander und an der ungebrochenen (Vor-)Freude, mit der alle das Baby erwarten.

"The Snapper" ist ein selten gewordenes Kinoereignis. Ohne Bruch oder aufgesetzte Konstruktion gelingt Stephen Frears die wie beiläufig und selbstverständlich skizzierte Verzahnung von realistischer Alltagsbeschreibung, bewegendem Melodram und kösüich unterhaltender Komödie voller Menschen, die man liebgewinnt und ebenso ins Herz schließt wie manche skurrile Randfigur, die bei aller urigen (Über-)Zeichnung nie als Karikatur diffamiert wird, sondern gerade in ihrer Exzentrik sympathische Individualität gewinnt. Vor allem sind es Sharon und ihre Freundinnen, die sich als quirlig-lebhafte Persönlichkeiten erweisen, nicht weil sie irgendetwas Außergewöhnliches leisten würden, sondern weil sie "mitten im Leben" stehen, ihre Stärken ebenso wie ihre Schwächen haben, albern, schnoddrig und ausgelassen sind, wenn es darauf ankommt aber Herzenswärme und solidarisches Miteinander zeigen. Wenn man in diesem Reigen faszinierender Personen und Persönlichkeiten überhaupt von einem "heimlichen Star" reden will, dann ist dies freilich Sharons Vater Dessie, der eine ungeheuerliche Wandlung durchmacht: von seiner Familie mit all seinen "Macken" zwar akzeptiert und geliebt, bewirkt die neue Situation einen massiven Autoritätsverlust, er muß inner- und außerhalb der Familie umdenken, andere (Wert-)Maßstäbe kennen- und verstehen lernen. Das führt zu Turbulenzen, Streitereien und Verwirrungen, die sich aus einem Füllhorn komisch gebrochener Szenen ausschütten, stets aber einen "wahren" Kern haben: ein Mann, der sich trotz der Zuneigung zu seiner Frau nie darum kümmerte, wie seine Kinder eigentlich zur Welt kamen, entwickelt plötzlich Neugier und Interesse, Fürsorge und Verantwortung, krempelt sein bisheriges "Männlichkeitskonzept" um und schafft für sich selbst - zu Hause ebenso wie im Püb bei den Freunden - neue Ordnung. Am Schluß steht er, wieder einmal, in einem Pub, freut sich auf sein erstes Guinness nach der Geburt seines Enkelkindes, trinkt das Bier in einem Zug aus und rülpst dann, parallel zum "Bauer" des Babys: auch er gleichsam ein "Neugeborener", der neue Sichtweisen erfahren hat und danach wohl auch in Zukunft leben kann.

An sich müßte "The Snapper" ein "Skandal" sein: eine Geschichte, die in Irland spielt, von einer unverheirateten jungen Schwangeren handelt, ohne daß an irgendeiner Stelle die institutionelle Instanz der katholischen Kirche auftaucht oder eine religiöse Glaubenshaltung überhaupt eine Rolle spielt! Während im benachbarten Nordirland die Verhältnisse wohl von einer noch weitaus strengeren Sexualmoral geprägt sind (vgl. "Hush-A-Bye, Baby", fd 29 731 ), scheint in Irland der Einfluß der Institution Kirche auf die Arbeiterklasse geschwunden. Roddy Doyle, der bereits mit"Die Commitments", dem ersten Roman seiner irischen "Arbeiter-Trilogie", eine fantastische Filmvorlage (fd 29 158) schuf: "Immer weniger Leute gehen heutzutage zur Messe und kümmern sich darum, was der Pfarrer predigt; es wäre schon sehr verlogen gewesen, wenn ich diesen Sachverhalt in meinem Roman und im Drehbuch ignoriert hätte." Stattdessen schaffen Doyle und Frears spielerisch und unterhaltsam eine konstruktive, im konkreten Alltag lebbare Alternative, die im Prinzip überraschend nahe an die spirituellen Dimensionen religiösen Denkens rührt: die uneingeschränkte Zustimmung zum Leben, die auf Werte wie Respekt, Zuneigung, Liebe und Solidarität aufbaut, wobei die Familie zum Refugium wird, das gegen das "soziale Außen" wappnet, Rück- und Niederschläge, Repressionen und Angriffe verkraften läßt. Bei aller naturalistischen Ausschmückung bildet Frears nie Wirklichkeit unmittelbar ab, transzendiert sie eher zu einem faszinierenden Konstrukt darüber, wie Wirklichkeit lebbar sein kann. Alles in seinem nur auf den ersten Blick "schlichten" Film hat seinen virtuos austarierten Rhythmus: angefangen von der manchmal derben, stets aber charmanten (Original-)Sprache und ihrer Melodik über die präzise gesetzten Gags bis zur pointiert integrierten Popmusik, die beredter Bestandteil alltäglicher Kommunikation wird. Sharon übt sich als Karaoke-Sängerin und gibt Madonnas "Papa, don't preach" neuen Sinn ("I'm keeping my baby ..."), die eintreffende Post wird mit "Return to Sender" kommentiert, der Nachbar trällert ironisch "Torn between two lovers". Populär-Mythen werden sinnstiftend dem Alltag zurückgeführt, man möchte mitsingen, auch Guinness trinken und Sharon zu ihrem Baby gratulieren.
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