Die Erinnerung ist noch relativ frisch an John Camerons erste Version von "Abyss"
(fd 27 873), die vor fast genau vier Jahren in die deutschen Kinos kam. Fasziniert folgte man den Bildkompositionen des mit ungeheurem Aufwand in Szene gesetzten Unterwasser-Spektakels, wobei diese Faszination mit zunehmender Dauer einer Mißstimmung wich, die sich angesichts des völlig unmotivierten, holprigen Endes gar in Häme wandelte. Man konnte und wollte der immer wirrer werdenden Handlungslogik nicht mehr folgen, und was blieb, war der Eindruck eines extrem protzig daherkommenden Konglomerats einschlägig vertrauter Genre-Bilder ohne sonderliche Tiefe und Originalität. Nun, da es in Hollywood Mode geworden ist, veränderte Versionen bekannter Filme unter dem Schlagwort "Director's Cut" in die Kinos zu bringen (vgl. Artikel zu "Blade Runner" in fd 8/93, Seite 4), begegnet man auch "Abyss" wieder - in einer Fassung, die um fast eine halbe Stunde länger ist und einen verblüffenden neuen Eindruck hinterläßt. Ganz plötzlich stimmen die Proportionen, das Gesamtkonzept wirkt ausgewogener und auch die märchenhaft-naive Fabel macht plötzlich einen Sinn. Dabei wird die Brachialgewalt der zahlreichen Spannungsund Actionsequenzen geschickt abgefedert durch Szenen von durchaus anrührender Intimität: das Beziehungsgeplänkel zwischen Bud, dem Kommandanten einer tauchfähigen Ölbohrinsel, und seiner Frau Lindsey, die das monströse Unterwassergefährt konstruierte, erfährt Vertiefung als eine grundsätzliche Auseinandersetzung um selbstlose Liebe und Opferbereitschaft. Diese Liebe allein wird gar zum Rettung verheißenden Gegenentwurf zu menschlichen "Fehlentwicklungen": denn, so der Film, nur die Liebe zwischen den Mensehen macht einen Sinn, während atomarer Rüstungswahn, Militarismus und Kalte-Kriegs-Mentalität die Menschen voneinander entfremden und sie in Wahnsinn und Untergang treiben.Die äußere Handlung ist bis auf das umfangreichere Ende unverändert, kürzere Einsprengsel während der ersten zwei Stunden pointieren die Ereignisse vielleicht etwas stärker, ohne daß man sich dessen wirklich bewußt wird. So geht es nach wie vor um den gefahrvollen Unterwassereinsatz der Besatzung besagter Ölbohrstation, die durch eine kleine Spezialeinheit der US-Marine sowie die attraktive Lindsey als Expertin ergänzt wird, um ein versunkenes nukleares U-Boot aufzuspüren. Bald wird klar, daß es um weit mehr geht, als um die Suche nach eventuellen Überlebenden: die Soldaten sollen einen Atomsprengkopf sicherstellen, da die Militärs als Ursache für den U-Boot-Unfall eine sowjetische Aktion vermuten. Daß die Kollision durch die Begegnung mit einer außerirdischen Intelligenz ausgelöst wurde, die sanft leuchtende Gestalt angenommen hat und mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch die Meerestiefen saust, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand.Der damit nur in der Ausgangssituation umrissene Plot ist nach wie vor eine waghalsige Mischung aus Katastrophen-Action, Kriegsfilmanleihen und Science-Fiction-Märchen. Im Zentrum stehen immer noch die spektakulären Effekte, aber auf Grund der neuen Gewichtung der Handlungssegmente läßt sich der Film jetzt auch auf einer Art Meta-Bildebene "lesen". So hat Cameron ein geschicktes Spannungsfeld aus gegensätzlichen (Ur-)Elementen geschaffen: hier die Technik der Menschen, auf die sie so stolz sind, die sie aber in Unterwasseranzügen, Sicherheitskammern etc. ungemein schwerfällig und ausgeliefert erscheinen läßt, dort die schwerelos und elegant dahingleitenden Lichtwesen aus einer anderen Welt; hier die in Lindsey konzentrierte Vorstellung von typisch weiblicher Sinnlichkeit und Empfindsamkeit einer Frau, die die Friedfertigkeit der Fremdlinge spürt, dort die fragwürdige "Männlichkeit" der Spezialsoldaten, die Handlanger des militärischen Apparates und pure Befehlsempfänger sind, dem Wahnsinn verfallen und zur Bedrohung des irdischen Daseins werden: schließlich die Liebe zwischen Kommandant Bud und seiner Frau Lindsey, die wortwörtlich auf den Grund aller Dinge gehen muß und - wieder im wahren Wortsinn - eine doppelte Wiedergeburt erfährt: Lindsey ertrinkt im Vertrauen darauf, daß ihr Mann sie nach der Befreiung aus einem übernuteten Raum wiederbelebt, und Bud sinkt anschließend selbstlos in ungeahnte Tiefen, um sein Leben für die Entschärfung der Atombombe zu opfern. Hier setzt die ausführliche Neugestaltung des Films ein, und Buds Reise "nach unten" wird zur Neugeburt des Menschen überhaupt, die durchaus einem Vergleich mit dem Finale von "200l - Odyssee im Weltraum"
(fd 15 732) standhält. Die außerirdische Intelligenz führt Bud visuell eindrucksvoll die Verfehlungen der Menschen vor Augen, bevor sie sie mittels einer immensen Flutwelle an allen Küsten der Erde hinwegwaschen will. Was sie letztlich davon abhält, ist die Liebe zwischen Bud und Lindsey, die die Außerirdischen als Hoffnung interpretieren, so daß es beim bloßen "Denkzettel" für die Menschheit, vor allem aber das Militär bleibt. Hier liegt die Akzentverschiebung gegenüber der ursprünglichen Version: dort wurde Bud mit seiner - dramaturgisch unmotivierten - Bergung eher dafür belohnt, daß er die Atombombe entschärft hat.Damit wird die lange Version von "Abyss" zum ökologiekritischen "Glasnost-Märchen", in dem die Bedrohung der Menschheit ausschließlich durch die Menschen selbst verursacht wird. Und nur die Menschen wiederum sind es, die den Widersinn ihres Handelns erkennen und rückgängig machen können. So schlicht diese grundlegende Einsicht auch ist, so sinnvoll und auch sinnstiftend umkleidet sie Cameron mit seiner aufwendigen Dramaturgie: erst die lange Version findet in vielfacher Beziehung die Balance zwischen ungewöhnlichem technischem Aufwand und innerer Stimmigkeit - und entwickelt auf der Basis eines solch "existentiellen" Modells auch (noch) mehr Spannung.