Die Geschichte vom Spitfire Grill

Drama | USA 1995 | 116 Minuten

Regie: Lee David Zlotoff

Eine junge Frau, die nach fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, findet in einem einsam gelegenen Dorf im Nordosten der USA Arbeit und Unterschlupf. Je mehr sie aber Freunde gewinnt und Vertrauen faßt, desto größer werden die Herausforderungen, die von alten Erinnerungen ausgehen. Ein eindringliches, poetisches Kinodebüt, das mit unspektakulären Mitteln und ruhigen Bildern von der Suche nach Geborgenheit und Versöhnung erzählt, am Ende allerdings unnötig ins Melodramatische abgleitet. Zahlreiche biblische Parallelen und Anspielungen bedürfen einiger Anstrengung, um entschlüsselt zu werden. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE SPITFIRE GRILL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Gregory Prod./The Mendocino Corporation
Regie
Lee David Zlotoff
Buch
Lee David Zlotoff
Kamera
Robert Draper
Musik
James Horner
Schnitt
Margie Goodspeed
Darsteller
Alison Elliott (Percy Talbott) · Ellen Burstyn (Hannah Ferguson) · Marcia Gay Harden (Shelby) · Will Patton (Nahum) · Kieran Mulroney (Joe Sperling)
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Wunder sind im Kino an der Tagesordnung, zumindest was die Filmstoffe betrifft. Beim Handel mit der Traumware dagegen verläßt sich kaum jemand aufs Prinzip Hoffnung, weshalb der amerikanische Major Columbia wohl auch das Zweieinhalbfache der Produktionskosten in die Werbung steckte (insgesamt 15 Mio Dollar; vgl. fd 20/1996), um einen kleinen Independent-Film im Kino zu lancieren, der beim diesjährigen Sundance-Festival mit dem Publikumspreis ausgezeichnet worden war. Dieses Engagement ist um so erstaunlicher, als es sich bei dem von Lee David Zlotoff geschriebenen und inszenierten Film um eine poetisch-schlichte Geschichte handelt, die sich unspektakulärer Mitteln bedient und statt auf Stars ganz auf die Überzeugungskraft ihres verhaltenen, gleichwohl eindringlichen Erzählstils setzt.

Eine junge Frau wird nach fünf Jahren aus dem Staatsgefängnis von Maine entlassen: Percy Talbott, knapp über zwanzig, ein ernstes, freundliches Ding mit einer Narbe über dem rechten Auge und bis auf literarische Fantasie mit kaum etwas ausgestattet, was sie mit sich nehmen könnte. An einem Winterabend erreicht sie das kleine Kaff Gilead im dünnbesiedelten Nordosten der USA, wo sie im "Spitfire Grill" Zimmer und Anstellung erhält. Deren Besitzerin Hannah ist zwar ein mürrisches, zu gelegentlichen Wutausbrüchen neigendes Frauenzimmer, infolge ihres Alters aber auf Unterstützung angewiesen und um die schweigsame Fremde, die stundenlang durch die Wälder streift, ganz froh. Als sie sich kurz darauf das Bein bricht, führt Percy den Laden weiter, wobei ihr Hannahs Nichte Shelby in der Küche zur Hand geht. Nahum, Shebys selbstherrlicher Ehemann, verfolgt mißtrauisch die Aktivitäten des Frauen-Trios, die das Restaurant wieder auf Vordermann bringen, bald untereinander Zutrauen fassen und sich aus ihrem Leben erzählen. Die Hoffnung auf einen Neuanfang scheint für Percy in Erfüllung zu gehen: Ein Verehrer macht ihr den Hof, die Gäste begegnen ihr mit Achtung und ihre Idee, eine Art Wettbewerb auszuschreiben, damit Hannah das Spitfire verkaufen kann, erweist sich als Volltreffer: säckeweise trudeln aus dem ganzen Land Briefe mit 100-Dollar-Noten ein. Wer am überzeugendsten begründet, warum er das Lokal übernehmen will, soll den Spitfire Grill zugesprochen bekommen. Die Unruhe aber, die damit über die heruntergekommene Minensiedlung hereinbricht, weckt Neid und Mißgunst: Der bevorstehende Besitzerwechsel schwört in der ländlichen Region lange verdrängte Erinnerungen herauf, die sich schließlich zu einem tragischen Knoten schnüren: Erst ein Todesfall rüttelt die Dorfbewohner aus ihrem Wahn.

Ein schreckliches Ende, mit dem der Fernsehautor Zlotoff (der unter anderem die Figur des "MacGyver" erfunden hat) unnötigerweise ins melodramatische Fach abdriftet. Doch die Stärke seines wunderbaren Kinodebüts erweist sich unter anderem darin, daß die mit großer Sensibilität und bemerkenswertem Gespür für die Folgen psychischer Katastrophen entwickelte Erzählung trotz des unglücklichen Genretributs nur wenig an Überzeugungskraft einbüßt. Das liegt in erster Linie an dem verhaltenen, fast kontemplativen Rhythmus des Films, der mit langen Einstellungen, vielen Halbtotalen und einer effektvoll reduzierten Musik seinen Figuren Raum gibt, ihre schmerzhaften Geheimnisse zu hüten. Erst allmählich lichten sich die Rätsel um Percys tiefe Traurigkeit oder Hannahs verbissene Mundwinkel, wenn die verstreichende Zeit ihre Spuren nicht nur im Wechsel der Natur, sondern auch im Umgang der drei Frauen hinterlassen hat. Zlotoff genügen kleine Hinweise, atmosphärische Änderungen, um seine wortkargen Figuren verstehbar zu machen, einfachste Mittel, um ihre Hintergründe anzudeuten: selten so intensiv genutzte Stilmittel, die seinem Film ein lang nachklingendes Gepräge geben. In Alison Elliott als Percy hat er dabei außerdem eine begabte junge Schauspielerin gefunden, die es gut versteht, bei aller Aktivität und neuerwachter Lebensfreude zugleich dunkle Nuancen mitklingen zu lassen, die sich erst spät im Film als jahrelanger Mißbrauch durch den Stiervater zu entschlüsseln geben, den sie schließlich im Affekt erschlug. Gilead, der Name des Dorfes, erinnert ans Alte Testament, wo eine waldreiche Jordangegend so benannt wurde, die für ihre Heilpflanzen und Weideplätze berühmt war. Dies ist eine von zahlreichen biblischen Parallelen, die den Film des praktizierenden Juden Zlotoff durchziehen. Mehr aber als Namen und äußere Zeichen rufen inhaltliche Motive des Films Assoziationen an jüdisch-christliche Traditionen wach: die Suche nach einer neuen Heimat, nach Vergebung und Versöhnung mit seinem Schicksal, die Einsicht in Unrecht und das öffentiche Bekenntnis dazu. Es bedarf allerdings einer kleinen Anstrengung, neben der einprägsamen Exposition und den Bildern von Percys Streifzügen durch naturmystische Landschaften auch zentrale Inhalte über den verklärenden Kitsch der Schlußszene zu retten: etwa die Beobachtung, wie Shelby im freundlichen Zutrauen ihrer neuen Freundin innerlich aufblüht oder diese in der Annäherung an einen anderen Außenseiter des Ortes, den verstörten Eli, ihr tiefstes Trauma zu überwinden beginnt.
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