- | Deutschland 1996 | 85 Minuten

Regie: Igor Zaritzki

Ein 15jähriger Junge am Rande des Berliner Ostens leidet an der Ichbezogenheit seines alleinerziehenden Vaters ebenso wie an der fehlenden Mutter, die angeblich tot ist. Als er erfährt, daß sie noch lebt, besucht er sie in Hamburg. Behut- und einfühlsam beschreibt der in der Hauptrolle hervorragend gespielte Film das schwierige Dasein eines Halt suchenden Heranwachsenden, der sich auf bemerkenswerte Weise gegen Enttäuschungen und Rückschläge durchzusetzen lernt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Reflex Film
Regie
Igor Zaritzki
Buch
Igor Zaritzki
Kamera
Michael Schaufert
Musik
Christoph Oertel
Schnitt
Monika Kappl-Smith
Darsteller
Richard Kropf (Moritz) · Rainer Winkelvoss (Harald) · Corinna Kirchhoff (Helga) · Isabell Gerschke (Katja) · Karin Mikityla (Petra)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.

Diskussion
Auf einem Computerbildschirm rast ein Auto durch die Kurven einer animierten Kunstwelt, gerät ins Schleudern und prallt gegen eine Mauer: "Game over", verkündet das Spiel. Auf seinem Fahrrad macht sich der 15jährige Moritz auf den Weg über eine schnurgerade Landstraße, verbindet sich die Augen und fährt "blind" auf einen ihm entgegenrasenden Laster zu. Erst in letzter Sekunde weicht er intuitiv aus und landet im Graben. Ein Mutprobe: Wie ist das, wenn das "Spiel vorüber" ist? Moritz lebt am fast noch ländlichen Rand des Berliner Ostens, allein mit seinem Vater, der eine kleine Tankstelle mit angeschlossener Werkstatt betreibt. Moritz muß oft mitarbeiten, und zwar in einem Maße, das schon an Ausnutzung grenzt. Er leidet an der Ichbezogenheit des Vaters, ebenso aber an der fehlenden Mutter, die vor zehn Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen sein soll. Zusehends gerät er ins Schwimmen, schwänzt die Schule, verkriecht sich in Videospielen. Seine vermeintliche Apathie provoziert den überforderten Vater, es kommt zu Konflikten. Da findet Moritz heraus, daß seine Mutter lebt: in Hamburg, in besten sozialen Verhältnissen, mit einer neuen Familie, mit anderen Kindern. Moritz schwindelt seinem Vater einen Klassenausflug vor und fährt zu ihr. Indem er mit seiner Initiative beide Erwachsenen auf unterschiedliche Weise mit ihren Lügen und Verdrängungen konfrontiert, fordert er sie zur Standortbestimmung heraus. Unversehens bieten sich ihm Perspektiven: Bei wem will er leben, wen der beiden Elternteile verlassen?

Behut- und einfühlsam erzählt "Game over" von der Suche nach dem Standort und Standpunkt eines Jugendlichen. Moritz' schwieriges Dasein im Niemandsland zwischen kindlicher Arg- und Sorglosigkeit und seinem Verlangen, als Erwachsener ernstgenommen zu werden, ist zu keinem Moment Anlaß für ein schwerblütiges Drama oder gar ein grell überzeichnetes Pubertätsspektakel. Dafür nimmt Igor Zaritzki (geb. 1965 in Kiew) seinen jugendlichen Helden viel zu ernst, bringt ihm den angemessenen Respekt entgegen. Vor allem zeichnet er "seinen" Moritz, auch wenn der heftige Prügel vom Vater einstecken muß, nie explizit als Opfer: es sind grundsätzliche existentielle Erfahrungen, die Moritz, wie die meisten Gleichaltrigen, sammelt. Wie viele leidet auch er an seiner Enttäuschung, wenn die Freundin urplötzlich mit einem anderen "geht", weil der ein Moped hat, ansonsten aber ein Idiot ist. Und wie ebenso viele flüchtet Moritz, !weicht aus, sucht den Weg des geringsten Widerstands, ohne deshalb gleich ein Feigling zu sein. Im Gegenteil: Konsequent wird Moritz als ein zwar an seinem Dasein leidender, prinzipiell aber ausgesprochen starker Junge gezeichnet, der sich durch Enttäuschungen und Rückschläge "durchfrißt" und sich gegenüber Gleichaltrigen wie Erwachsenen durchzusetzen lernt. Bis auf wenige Ausnahmen, in denen die Erwachsenen untereinander sind, nimmt die Kamera den Blickwinkel von Moritz ein und verläßt sich ganz auf den jugendlichen Hauptdarsteller, der seine Rolle mit ausgesprochener Souveränität füllt. Glaubhaft vermittelt er vor allem das heikle Verhältnis zum schwachen Vater, dem er bei allen Konflikten Nachsicht, Verständnis und Zuneigung entgegenzubringen bereit ist.

Moritz ist eigentlich kein Rebell, sondern "nur" ein Verunsicherter, ein Suchender, dessen Empfindungen der Film aufmerksam und nuancenreich nachspürt. "Game over": Am Ende hat das Spiel ein Ende, aber man ist überzeugt, daß auch Moritz' Halt- und Orientierungslosigkeit ein Ende gefunden hat. Und vielleicht ist er jetzt sogar schon reifer als der eigene Vater, dem Moritz zukünftig Partner und Freund zugleich sein wird.
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