Niki de Saint Phalle

Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 1995 | 95 Minuten

Regie: Peter Schamoni

Das beeindruckend komponierte Porträt der französischen Skulptur-Künstlerin Niki de Saint Phalle und ihres künstlerischen Weg- und Lebensgefährten Jean Tinguely. Schamoni montiert zu Klängen klassischer, avantgardistischer und jazziger Rhythmen Archivmaterial und selbst gedrehte Aufnahmen und läßt ohne erklärenden Kommentar seine Protagonisten reden und die Bilder erzählen. Auf geradezu sinnliche Weise macht der Film Lust auf Reisen zu den Schauplätzen der fantasievoll-poetischen Kunstobjekte und zeigt gleichzeitig, wie man sich durch Intoleranz gegenüber neuen und provokativen Kunstformen eines solchen Vergnügens selbst berauben kann. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Peter-Schamoni-Film/Praesens/arte/ZDF
Regie
Peter Schamoni
Buch
Peter Schamoni
Kamera
Mike Bartlett · Rodger Hinrichs · Michael D. Murphy · Peter Whitehead · Bernard Zitzermann
Musik
Frédéric Chopin · Erik Satie · Igor Strawinsky · Philip Glass · Helmut Binzer
Schnitt
Thomas Krattenmacher
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Les Nanas au pouvoir!,, (Alle Macht den Nanas) hatte Niki de Saint Phalle schon ein Jahr vor den Studentenunruhen 1968 für ihre üppigen, mit knalligen Popfarben bemalten und grellbetonten Geschlechtsmerkmalen versehenen Frauenpuppen gefordert, deren fröhliche, unbekümmerte Gefühlsbetontheit von ihrem Bekenntnis zum Frausein, dem weiblichen Prinzip als Leben gebende und erhaltende Kraft, zeugen.

Ihre Maxime, die Kunst farbiger und abwechslungsreicher, das Leben heiterer zu gestalten, hat die 1920 in Neuilly-sur-Seine geborene und in New York aufgewachsene Künstlerin jung erhalten. Wenn die Kamera nicht gerade die welke Haut ihrer Hände streift, meint man immer noch, jenes junge Mädchen zu sehen, daß nach seiner Rückkehr nach Frankreich IS 50 begann, als eine der ersten Frauen in die; Männerdomäne "Kunst" einzudringen. Als einziges weibliches Mitglied der kontroversen Gruppe "Nouveau Réalisme" um Yves Klein, Daniel Spoerri und Christo wurde sie zu einer Terroristin der Kunst", die mit ihren "Schießbildern" einen (Kunst-) Krieg ohne Opfer entfachte: Mit einem Karabiner schoß sie auf unter einem Gipsrelief alltäglicher Objekte versteckten Farbbeutel, dessen Inhalt sich dann über die Bildoberfläche ergoß. Bei der Einwicklung dieser TIRS genannten Bilder arbeitete sie erstmals mit dem Schweizer Jean Tinguely ("Ich baue Maschinen, die zu nichts nutze sind") zusammen, mit dem sie dann eine bis zu seinem Tode 1991 dauernde Lebens- und Arbeitsgemeinschaft verband. Diese Künstler-"Ehe" bildet einen der Pfeiler von Peter Schamonis von Hochachtung und Liebe geprägtem Porträt einer außergewöhnlichen Frau und Künstlerin. Den anderen Schwerpunkt setzt Niki de Saint Phalles Arbeit an dem 1978 begonnenen und erst kürzlich vollendeten Skulpturgarten in der Toscana, zu dem sie durch Gaudis Park Güell und die 22 Hauptkarten des Tarotspiels inspiriert wurde. Dazwischen hat Schamoni Archivmaterial vom Schaffen der Künstlerin und aktuelle Bilder von eigenen Begegnungen mit Niki de Saint Phalle geschnitten. Schamoni enthält sich jedes erklärenden oder gar belehrenden Kommentars, läßt seine Protagonisten sprechen und die Bilder erzählen. Man erlebt Niki als eine Art Pop-Art-Ikone der 70er Jahre in ihrem ersten (auch mitinszenierten und - geschriebenen) Spielfilmdebüt "Daddy", dessen verquaster tiefenpsychologischer Impetus von seinem an experimentelle Stummfilme erinnernden Charme wieder wettgemacht wird. Und man wohnt staunend dem Aufbau der von ihr und Tinguely entworfenen "größten Hure der Welt" bei, in deren überdimensionalen Schoß 1966 im Stockholmer "Moderna Museet" innerhalb von drei Monaten 100 000 Besucher strömten. "Hon - En Katedral" (Sie - eine Kathedrale) wurde zu einem gesellschaftspolitischen Phänomen: Psychologen schrieben über die "übergroße Mutter" jede Menge analysierender Schriften, und in Schweden stieg seit der Eröffnung der Ausstellung sprunghaft die Geburtenrate. Einen Spaß ganz anderer Art vermitteln Nikis wasserspeiende "Nanas" und die "Meta-meca-niques" Tinguelys, die sich im Brunnen vor dem Pariser Centre Georges Pompidou drehen. Sie vermitteln sehr sinnlich und spielerisch die vor Fantasie und Poesie geradezu berstende Arbeit der beiden Künstler. Und wenn Schamoni den Zuschauer auf Tinguelys "Gigantoleum" im Wald von Fontainbleau entführt oder Kinder aus dem Rachen von Nikis "Golem" in Jerusalem zur Erde rutschen, dann verspürt man im Kinosessel eine unbändige Lust, mitzuklettern und mitzuspielen und sich diese "Kunst zum Anfassen" selbst zu erobern. So gesehen ist Schamonis Film nicht nur eine Reise in die innere Welt einer Künstlerin (und ihres Weggefährten), sondern auch eine Reise(-Anleitung) zu den "Schau"-Plätzen ihrer über die ganze Welt verstreuten Kunst. Schamoni bringt dem Zuschauer Niki de Saint Phalle so nahe, daß man am Ende, wenn man ihr am Strand von San Diego begegnet, wohin sie sich wegen ihrer durch das Einatmen von Polyesterstaub entstandenen Atembeschwerden zurückgezogen hat, glaubt, in einem intimen Familienalbum geblättert zu haben. Niki de Saint Phalles schöpferische Kraft ist auch nach dem plötzlichen Tod Tinguelys, der sein Begräbnis mit einer selbst geplanten, schon surrealistsich anmutenden Parade "feiern" ließ, ungebrochen. Die Delphine vor der Küste ihrer neuen Wahlheimat Kalifornien sind ihre neuen "Nanas", und ihre daraus entstandenen "mechanischen Bilder" entwickeln einen ganz eigenen Zauber, wie ihn nur eine Künstlerin entwickeln kann, deren Herz und Sinne sie mehr inspiriert haben als akademische Kunstbegriffe. Das "Monster", das Peter Schamoni im Untertitel seines Films ("Wer ist das Monster - Du oder ich?") anspricht, ist somit trotz aller fruchtbaren Provokation gegen eingefahrene Kunstvorstellungen immer ein liebenswertes geblieben, während das "Monster" auf der Betrachterseite auch schon mal zum "Unmenschen" wurde: Nicht wenige Bürger hätten die 1974 in Hannover aufgestellten drei Nanas am liebsten aus ihrem Stadtbild verbannt. So macht Schamonis Porträt letztlich nicht nur Lust auf Kunst, sondern warnt auch, diese ergreifenden Erlebnisse nicht durch Intoleranz zu verbauen. "Niki de Saint Phalle" ist ein wunderbar komponierter Dokumentarfilm, der es auch meisterhaft versteht, klassische, avantgardistische und jazzige Partituren seinen Bildern zuzuordnen, und der spannender und unterhaltsamer ist als viele Spielfilme.
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