Orson Welles: The One-Man-Band

Dokumentarfilm | Deutschland/Frankreich/Schweiz 1995 | 88 Minuten

Regie: Vassili Silovic

Dokumentarfilm, der mit dem Nachlaß von Orson Welles vertraut macht. Zu sehen ist bislang unveröffentlichtes Material, bestehend aus Kurzfilmen und Entwürfen, die auch Welles' hintergründigen Humor dokumentieren. Die Szenen verbinden sich zu einem vielschichtigen Bild des Menschen Welles, der seine Frustration und Verletzbarkeit hinter durchkalkulierten Fassaden zu verstecken lernte. Ein faszinierender Film, Porträt und filmhistorisches Dokument zugleich. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ORSON WELLES: THE ONE-MAN-BAND
Produktionsland
Deutschland/Frankreich/Schweiz
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Medias Res/Méditeranée/BOA
Regie
Vassili Silovic
Buch
Roland Zag · Vassili Silovic
Kamera
Thomas Mauch
Musik
Simon Cloquet
Schnitt
Marie-Josèphe Yoyotte
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Als Orson Welles 1975 vom American Film Institute den "Lifetime Achievement Award" überreicht bekam, äußerte er, diese Ehrung nur im Namen aller Hollywood-Außenseiter entgegennehmen zu können. Gleichzeitig verband er mit seiner Rückkehr an die Westküste sehr konkrete Hoffnungen auf künstlerische Rehabilitation und schöpferischen Neuansatz. Allein: Er blieb ein "Maverick", ein Außenseiter. Wieder trogen ihn seine Hoffnungen. Als filmgeschichtlicher Repräsentant von "Citizen Kane" (fd 10 261) war er wohlgelitten - nicht aber als tätiger Regisseur. So bildeten die ihm verbleibenden 10 Jahre das letzte Kapitel einer Odyssee des Scheiterns. Schlußpunkt einer Karriere, die 1940 so verheißungsvoll wie keine andere begonnen hatte. Die Eckdaten seiner Biografie, auch die Umstände seiner Austreibung aus Hollywood sind bekannt. Gerade haben die amerikanischen Dokumentaristen Thomas Lennon und Michael Epstein in ihrem "The Battle over Citizen Kane" den Fall Hearst/Welles eingehend rekonstruiert. Es ist dabei nicht ohne Ironie, daß ihre auf Video produzierte Arbeit für den "Oscar" nominiert wurde - eine Würdigung, die Welles selbst verwehrt worden war. Weit weniger bekannt sind die Einzelheiten des über Jahrzehnte hinweg währenden Kampfes um das Dutzend Filme, das Orson Welles seinem langen Leben hat abtrotzen können. Peter Bogdanovichs Interview-Buch "Hier spricht Orson Welles" gab in dieser Hinsicht erstmals eingehender Auskunft. Gänzlich unbekannt waren bis heute allerdings jene Arbeiten, die im Nachlaß des großen Regisseurs verborgen liegen. Aus Geldmangel Fragment gebliebene Projekte, rein privat finanzierte Kurzfilme oder aus Rechtsgründen unveröffentliches Material. Dem aus Slowenien stammenden Regisseur Silovic ist es nun gelungen, Oja Kodar, die langjährige Lebensgefährtin und Mitarbeiterin Welles' (siehe Foto), für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Erstmals bietet sich so ein Blick auf die vielfältige Hinterlassenschaft: Entwürfe, Notizen, Fotografien, Skizzen und Gemälde, vor allem aber sehr viel Filmmaterial. Ein faszinierender Schrein bislang verborgener Kinematografie!

Nur schwer läßt sich der Mythos Welles vom Menschen Welles lösen; zu eng hat der Künstler selbst seinen Nimbus über Jahrzehnte hinweg kultiviert und zum Markenzeichen stilisiert: eine schwergewichtige, Zigarren schmauchende Erscheinung, mit schwarzer Pellerine und breitkrempigem Hut, oft auf die Silhouette reduziert. Nicht zu vergessen die volle, tiefe Stimme - 1938 hatte er mit ihr in der Rundfunk-Adaption von H.G. Wells' "The War of the Worlds" ganze Landstriche in Panik versetzt. Für die Filmgeschichtsschreibung zusätzlich verwirrend ist die wohltemperierte Mimikry, die der Schauspieler-Regisseur zeitlebens mit der eigenen Biografie betrieben hat. So behauptete er immer wieder, als junger Mann Stierkämpfer gewesen zu sein - wie vieles andere kaum überprüfbar. Sein Haus in Spanien samt Filmrollen und Manuskripten sowie Korrespondenz mit Winston Churchill, Sergej Eisenstein, Salvatore Dali u.v.a. sei leider abgebrannt - offensichtlich eine Lüge. Es ist einer der Vorzüge dieses Films, diese Legendenbildungen sanft zu demontieren. Sie werden greifbar als Teil eines Panzers, ohne den Welles den Mechanismen der Filmindustrie noch schutzloser ausgeliefert gewesen wäre. Parallel zu dieser Ernüchterung entfaltet sich sehr geschickt sein hochsensibler und verletzlicher Charakter, der sich ständig zwischen überdurchschnittlicher Begabung einerseits und nicht enden wollenden organisatorischen Problemen andererseits aufzureiben drohte. Die zahlreichen Filmausschnitte belegen indes seine trotz aller Widrigkeiten ungebrochene schöpferische Energie: ohne Produktionsauftrag und Aussicht auf öffentliche Vorführung, von der Garantie auf materiellen Gewinn ganz zu schweigen, realisierte Orson Welles bis zu seinem Tod Sketche und Kurzfilme, nahm als Einzelkämpfer immer wieder Anlauf zu großen Spielfilm-Projekten oder filmte einfach sich selbst beim Rezitieren von Shakespeare-Versen und "Moby Dick"-Passagen. Die ungeliebten Jobs als Darsteller bei in der Mehrzahl zweit- und drittklassigen Produktionen erbrachten ihm das schmale Budget für diese Experimente. Sogar mit den Muppets trat er auf und stellte Werbespots her für japanischen (!) Whisky. Welles selbst formulierte bei der Preisverleihung in Los Angeles 1975 seine Arbeitsweise am treffendsten: "Ich subventioniere selbst meine eigene künstlerische Arbeit. Ich arbeite, um zu arbeiten. Mit anderen Worten: ich bin verrückt."

Angesichts dieser letztlich fehlgeschlagenen Strategie verblüffen die humoristischen Momente im Nachlaß um so mehr. Sein hintergründiger Humor, der z. B. in "Der Prozeß" (1962) noch sehr verborgen aufwartete, bricht sich in einigen Kurzfilmen unverhohlen Bahn. "Stately Homes" (1969) macht sich auf subtile Weise über die britische Aristokratie lustig; "Tailors" (1970) führt die Peinigungen eines übergewichtigen Mannes bei englischen Schneidern vor (und beweist, daß sich Welles sogar über die eigene Körperfülle amüsieren konnte); "Swinging London" (1969) stellt eine Art Stadtführer durch die Klischees des London der späten 60er Jahre dar: Welles verkörpert hier Polizist, Clochard, Peep-Show-Besitzer, Blumenverkäuferin, Hausfrau und eine One-Man-Band in einem. All diese Kurzfilme (auch "Churchill" und "Vienna" - beide von 1967) versprühen in einem so hohen Maß Charme und Esprit, der den Kultserien des "Monty Python Flying Circus" mindestens ebenbürtig ist. Szenen, die Welles ohne den gewohnten Vollbart zeigen, offenbaren auch physiognomisch das wunderbar Kindliche, das er sich bis an sein Lebensende bewahren konnte. Wie Interviews beweisen, war er sich der Notwendigkeit des Infantilen und Naiven im Schaffensprozeß absolut bewußt. Selbst im peinigenden Gespräch mit altklugen Filmstudenten ("Filming, The Trial", 1981) bekannte er sich dazu: physisch und psychisch sichtlich gequält, schwer atmend, setzt er sich den üblichen Fragen nach seiner "verpfuschten" Karriere aus, noch immer darauf bedacht, professionell notwendigen Zweckoptimismus auszustellen. Sein letztes ehrgeiziges Projekt "The Other Side Of The Wind" (mit John Huston als sein Alter ego), von dem er selbst angeblich eine dreistündige Schnittfassung hergestellt hat, existiert offenbar nur als Fragment. "Eine tödliche Niederlage" (Welles). Es sind gerade die vielfältigen Schlaglichter aus dem Nachlaß des Meisters, die sein Bild als sehr menschliche Figur runden. Ob als Magier (der nicht begreift, daß der Film für das Medium der Zauberei denkbar ungeeignet ist), ob als Komiker oder beim Vortrag dramatischer Texte - mit jeder Szene nähert sich Orson Welles als hochdifferenzierter Charakter mehr den Helden seines literarischen Favoriten Shakespeare. Nicht zufällig stellen Verse aus dem "Kaufmann von Venedig" den unbestrittenen Höhepunkt des Films insgesamt dar. Eine relativ unkompliziert scheinende Fernsehproduktion geriet für Welles zur verhängnisvollen Herausforderung. Nach dem Konkurs des Auftragnehmers finanzierte er privat deren Fertigstellung. Damit nicht genug - im Kopierwerk wurden die Negative vernichtet. Aber Orson Welles fährt, von der Idee noch immer besessen, Jahre später mit der 16mm-Kamera in die Wildnis um Los Angeles und spricht den Monolog des Shylock in die Kamera; während der unglaublich intensiven Rezitation bricht er in Tränen aus.

Wie Andrej Tarkowskij ist Orson Welles zerbrochen am Widerspruch des Filmennachens in sich selbst: an der unüberbrückbaren Kluft zwischen den enormen Möglichkeiten individuellen Ausdrucks und den materiellen Notwendigkeiten des Mediums. Beider eher schmales Werk gehört so wie es ist zu den Inkunabeln der Filmgeschichte. Und es ist müßig, darüber zu spekulieren, was bei idealen Arbeitsbedingungen hätte entstehen können. Noch ganze Generationen von Filmemachern und - Wissenschaftlern werden von Welles' Oeuvre profitieren - auch dies eine Ironie des Schicksals.
Kommentar verfassen

Kommentieren