Lang ist es her, daß die "Bradys" im Fernsehen liefen. So lang, daß nicht einmal der Verleih sich an den deutschen Titel der beliebten Serie zu erinnern scheint: "Drei Jungen und drei Mädchen" gehört mit ihrem biederen und doch unwiderstehlichen Charme zu den schönsten Erinnerungen an das Fernsehen der frühen 70er Jahre. In der Zeit der Schlaghosen, der Perücken und pastellenen Polyesterhemden schien die unerschütterliche Heiterkeit von Vater Mike und Mutter Carol durchaus zeitgemäß, während die praktische Weisheit der Haushälterin Alice eher traditionsbewußt anmutete. Kein Streich der von Mike mit in die Ehe gebrachten Söhne schien unverzeihlich, und keine Laune der von Carol stammenden Töchter unwiderruflich. Die Harmoniesucht der Brady-Family war einnehmend und korrespondierte vorzüglich mit dem Sound zeitgenössischer Pop-Gruppen. Dies alles rekonstruiert diese Filmversion bis auf das I-Tüpfelchen, darin unterscheidet man sich nicht von vergleichbaren Unternehmungen, den Ruhm von Captain Kirk, der "Addams Family" oder der "Familie Feuerstein" auch im Kino nachhaltig zu festigen. Die Bradys sind noch immer Kinder der 70er Jahre. Ihre Nachbarschaft aber, und hierin besteht der Coup der Autoren, trägt die Züge der 90er: verschrobene Grunge-Klänge haben den harmonischen Pop abgelöst, man kommuniziert via Handy, und das Ozonloch wirft seine Schatten voraus. In dieser Welt nun leben die Bradys, die unbeirrt an ihren Tugenden und ihrer eigentümlichen Ästhetik festhalten, was etwa den Kindern in der Schule einiges Selbstvertrauen abverlangt.Die eigentliche Story hätte in bester Serien-Tradition kaum für eine halbe Stunde gereicht: Ein Steuerbescheid verlangt der Familie allerlei Mühe ab, 20 000 Dollar aufzubringen, ansonsten fiele ihr stilechtes Eigenheim, daß sie verpfänden müßten, in die Hände eines feindseligen Nachbarn. Die kleine, in ihrer Naseweisheit allseits unverstandene Tochter Cindy aber hat die rettende Idee und kann sich nach einem trotzigen Fluchtversuch aus der Familienidylle sogar durchsetzen: bei einem Nachwuchs-Gesangswettbewerb beträgt die Siegerprämie ausgerechnet 20 000 Dollar - und die werden die harmonisierenden Brady-Kinder natürlich im Sturm erobern. Daß man mit dieser Geschichte gleichwohl 89 Minuten füllen kann, ist allein einer schier umwerfenden Detailfülle zu verdanken, deren Liebenswürdigkeit ganz besonders der Regisseurin zuzuschreiben ist. Betty Thomas führt unermüdlich zahllose behutsame ironische Brechungen ein, die zwar den Charme der Entstehungszeit wieder aufleben lassen, ihn gleichwohl aber auch als scheinheilig entlarven und mit den immanenten Tabus konfrontieren. Wie etwa würde Tochter Marcia auf die Annäherungsversuche einer lesbischen Mitschülerin reagieren? Wie urteilte eine Jugendpsychologin der 90er Jahre über die Familie? Entspricht ihr Haus mit einem einzigen Badezimmer überhaupt den sanitären Anforderungen der 90er Jahre? Betty Thomas gelingt das Kunststück, einen Mythos der Populärkultur zu beschwören, ohne seiner Faszination zu erliegen. Wo der verwandte Stoff "Muriels Hochzeit"
(fd 31 136) in nostalgischem Klamauk schwelgte, herrschen in der "Brady Family" Understatement und einfühlsamer Humor. Gelungen ist so eine mitreißende Variation über die Faszination eines vergangenen Zeitgeschmacks, stilsicher und originell, dabei unterhaltend für jeden, der die 70er Jahre erlebt hat oder es gerne nachholen möchte.