- | Deutschland/Portugal 1994-95 | 100 Minuten

Regie: Wim Wenders

Um einem befreundeten Regisseur bei seinem gescheiterten Stummfilm-Projekt zu helfen, reist ein Toningenieur nach Lissabon. Da der Regisseur zunächst unauffindbar ist, streift er durch die Stadt, sucht die Töne zu den Fragmenten des Stummfilms und verliebt sich in die Musik und die Sängerin einer portugiesischen Gruppe. Schließlich kann er dem zweifelnden Regisseur den Glauben an die Bedeutung traditionellen Kinos zurückgeben. Eine verspielte Hommage an das Kino, die nicht immer die angestrebte Leichtigkeit erreicht, jedoch zur vielfältigen Reflexion über das Kino, seine Vergangenheit, Entwicklung und Zukunft anregt. Ein Film, der von der Liebe zu seinem Metier zeugt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LISBON STORY
Produktionsland
Deutschland/Portugal
Produktionsjahr
1994-95
Produktionsfirma
Road Movies/Madragoa
Regie
Wim Wenders
Buch
Wim Wenders
Kamera
Lisa Rinzler
Musik
Madredeus · Jürgen Knieper
Schnitt
Peter Przygodda · Anne Schnee
Darsteller
Rüdiger Vogler (Phillip Winter) · Patrick Bauchau (Friedrich Monroe) · Ricardo Colares (Ricardo) · Joel Ferreira (Zé) · Vasco Sequeira (Lastwagenfahrer)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras beinhalten u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs, von ihm kommentierte, für den Film nicht verwendete Szenen (12 Min.) sowie ein Werkstattgespräch zum Film zwischen dem Regisseur und dem Journalisten Roger Willemsen (15 Min.).

Verleih DVD
Kinowelt/Arthaus (16:9, 1.78:1, DD5.1 diverse)
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Diskussion
Wer Wenders-Filme und die Gegensätze und Schönheiten Lissabons kennt, für den wird die Affinität des Deutschen zur Hauptstadt Portugals kein allzu großes Geheimnis darstellen. Die Stadt am Tejo steht wie kaum eine andere in Europa für vergangene Größe und verblaßten Ruhm; Erscheinungen der modernen Großstadt und unschuldig-dörfliches Leben stoßen auf engstem Raum aufeinander. Hier scheint die Zeit stillzustehen oder. wie Wenders einmal gesagt haben soll: "In Lissabon fragt man nicht nach der Uhrzeit, sondern nach dem Jahr." Kein Wunder, daß Wenders' Filmgestalt, der Regisseur Friedrich Monroe, ausgerechnet in Lissabon einen Stummfilm über die Stadt drehen will, als habe es die Erfindung von Ton und Farbe (ganz zu Schweigen von digitaler Technik) nicht gegeben. Es lebe die Unschuld des Kinos, als selbst die Parallel-Montage noch zu entdecken war und ein Filmemacher sich nicht den Kopf darüber zerbrechen mußte, wie er eine Edit-Box und anderes technisches Teufelszeug "moralisch" einsetzen kann. In Lissabon darf, nein, man muß einfach nostalgisch werden.

Die Reise nach Portugal beginnt mit einem plumpen digitalen Trick à la Fernseh-Magazin, der eine Postkarte ins Bild schweben läßt. Auf ihr beschwört besagter Friedrich - der schon in "Der Stand der Dinge" (fd 23 469) 1992 in Portugal filmte - seinen Freund Phillip Winter, einen Toningenieur, mit seiner Ausrüstung nach Lissabon zu kommen, um, nach dem Scheitern des Stummfilm-Projekts, mit Tönen doch noch einen brauchbaren Film herzustellen. Winter, ein leutseliger Geselle und ebenfalls ein alter Bekannter aus früheren Wenders-Filmen, macht sich ohne große Umstände auf die gerade mal 2 500 Kilometer lange Reise, während der ihm und seinem Wagen die komischsten (wirklich?) Dinge passieren: Reifenpanne, Verlust des Reservereifens sowie des Auspuffs. Nicht minder banal sind die Momente, in denen Winters innerer Monolog betont witzig sein soll, aber eher den Eindruck erweckt, Wenders wolle den Zuschauer mit Gewalt vom Reiz einfacher Gags und banaler Alltagskomik überzeugen. Leider mangelt es aber am Esprit, den ähnliche Szenen etwa bei Hai Hartley entfalten. So leicht ist die Unschuld des Kinos eben selbst in einem Lissabon-Film nicht wiederherzustellen.

Statt seines Freundes begegnen Winter im lichtdurchfluteten Portugal verschiedene Kinder, die Monroes zurückgelassene Videokamera mit beneidenswertem Selbstverständnis handhaben. Und im dämmrigen Licht typischer alter portugiesischer Häuser trifft er auf die Musikgruppe "Madredeus" und ist gleichermaßen von deren Musik und Sängerin fasziniert. Doch von Monroes Aufenthalt zeugen nur Filmfragmente mit Aufnahmen des Lissaboner Alltags, seine alte Ausrüstung sowie verschiedene Bücher des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa. Dieser muß einen solchen Eindruck auf Monroe gemacht haben, daß er ein Zitat Pessoas direkt an die Wand schrieb: "Wenn es nur nicht überall Menschen gäbe!" Auch Winter kann sich Pessoas Texten (Wenders läßt besonders die relativ unbedeutenden englischen zitieren) nicht entziehen. Neben der Lektüre vertreibt er sich die Zeit bis zu Monroes Auftauchen, indem er samt Mikro in der Stadt auf die Jagd nach genau jenen Tönen geht, die den stummen Filmszenen bislang fehlen. Ein guter Vorwand für Spaziergänge zum alten Aquädukt der Stadt, zur Praça da Figueira, zum Anlegeplatz der Fähren oder zur Brücke über den Fluß Tejo. Denn schließlich entstand Wenders' Film ja auch im Kontext des Ereignisses "Lisboa 94 - Kulturhauptstadt Europas".

Nach einigen geheimnisvollen Begegnungen, die freilich wie Versatzstücke aus anderen Filmen wirken, erwischt Wenders seinen Freund, wie er Pessoa zitierend und mit einer Videokamera bewaffnet durch Lissabon zieht. Er hat das Vertrauen in die Kraft des Kinos verloren. Ganz anders der große 97jährige portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira, den Wenders zeigt, wie er direkt in die Kamera über den Filmemacher als kleinen Gott, über das Kino als Erinnerung und einzige Gewißheit philosophiert. Am Ende läuft er mit jugendlichem Temperament als Chaplin durch eine Gasse Lissabons davon. Doch wohl nicht ganz zufällig kündet ein Werbeplakat an einer Haltestelle vom "Beginn eines glücklichen Endes": Winter überzeugt Monroe von der ungebrochenen Bedeutung des Kinos. Am Ende sieht man, wie sie sich mit der alten Kamera in die Lissaboner Straßen stürzen, als seien sie persönlich in einen Film aus den 20er Jahren geraten.

"Lisbon Story" ist vor allem anderen ein Film über das Kino, seine (vergangene und gefährdete zukünftige) Geschichte und das Verhältnis des Filmemachers zu seinem Medium. Stadt und Plot sind nicht viel mehr als Aufhänger für die Reflexionen eines skeptischen - und auch etwas ratlosen - deutschen Regisseurs im 90. Jahr der Kinematografie. Den unschuldigen Blick Winters vermag Wenders dabei nicht in den Film zu übertragen. Der betont naiven Art der Filmfigur steht ein realer Regisseur gegenüber, dessen "sentimentalische" Haltung gleichzeitig das ursprüngliche Filmerlebnis beschwört und herbeisehnt (als könne er das Kino neu erfinden). der die Erfahrungen, Erwartungen und Veränderungen nach hundert Jahren Kino aber auch nicht folgenlos ignorieren kann. Hier liegen die Gegensätze, die diesen Film so verspannt und in den unglücklichsten Momenten sogar gekünstelt wirken lassen. Kann ein Film, der dermaßen belastet die Filmgeschichte thematisiert und reflektiert, dabei vor allem alte Stilmittel einsetzt, trotzdem überzeugende Wege in die Zukunft weisen oder zumindest Lust auf diese machen? Mit Federico Fellini starb einer, dem man es zutrauen durfte -ihm ist dieser Film gewidmet.
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