Drama | Deutschland/Ungarn 1993 | 80 Minuten

Regie: Dagmar Knöpfel

Ein junger Maler, klassischer Bildungsreisender des 19. Jahrhunderts, lernt bei einem Freund in der ungarischen Pußta eine Gutsbesitzerin kennen, die ein düsteres Geheimnis zu umgeben scheint. Eine stimmungsvolle Verfilmung der Novelle von Adalbert Stifter, die sich in ruhigem Rhythmus der Atmosphäre der literarischen Vorlage annähert und in einer gelungenen Gratwanderung den Schnittpunkt zwischen biedermeierlicher Idylle und abgründigen Nachtseiten der Romantik darstellt. Ein Verstand und Sinne fesselnder Film, der die Sehgewohnheiten eines schnelllebigen Kinos souverän mißachtet. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BRIGITTA
Produktionsland
Deutschland/Ungarn
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Dagmar Knöpfel Filmprod./Movi/Bavarian Filmfund
Regie
Dagmar Knöpfel
Buch
Dagmar Knöpfel
Kamera
Miklós Gurbán
Musik
Lajos Wohner · Tibor Thüringer
Schnitt
Dagmar Knöpfel
Darsteller
Carl Achleitner (Florian) · Tamás Jordán (Major) · Klaus Händl (Gustav) · Zoltán Gera (Gömör) · Eva Igó (Brigitta)
Länge
80 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Diskussion
Warum verfilmt heute eine junge Regisseurin eine Novelle von Adalbert Stifter? "Stifter war eine wesentliche Erfahrung für mich", antwortet Dagmar Knöpfel, Absolventin der Münchner Filmhochschule, "in seinem Schreiben findet man schon den im Film typischen Wechsel zwischen Nachaufnahme und Totale." Wie um den Sinn dieser Erzähltechnik beispielhaft zu demonstrieren, beginnt "Brigitta" mit einer solchen Schnittfolge: das erste Bild zeigt eine Schafherde in der Pußta. Aus der Tiefe der schwarz-weißen Einstellung nähert sich ein Pferdegespann. Die Kamera folgt dieser natürlichen Bewegung und schwenkt in einen anderen Ausschnitt, der die Weite der ungarischen Steppe vermittelt. Schnitt. Ein junger blonder Mann läuft auf die Kamera zu, bis sein Gesicht relativ nahe zu sehen ist. Er nimmt seinen Hut ab und blickt vor sich nach unten. Im Gegenschnitt ist aus der Perspektive seines Blicks ein Blumenfeld zu sehen, das sich vor ihm ausbreitet. Der Mann reagiert auf diesen Anblick mit einem Lächeln, er setzt den Hut wieder auf und geht weiter. Ohne daß ein Wort gefallen wäre oder Pinsel, Stift und Zeichenblock zu sehen sind, ist klar: dieser Mann ist Maler, ein Zweck seiner Reise ist das Studium der Natur. Florian verkörpert den klassischen Bildungsreisenden des 19. Jahrhunderts. Er steht aber auch - und das ist das Verdienst der Szenaristin Dagmar Knöpfel - für Adalbert Stifter selbst, der sich Zeit seines Lebens mehr als Maler denn als Schriftsteller verstanden hat.

Diese Bilder und der ruhige Rhythmus ihrer Montage ist typisch für den Film, den Knöpfel wider alle vordergründigen Marktbedürfnisse und Sehgewohnheiten mit erstaunlich sicherer Hand inszeniert hat. Sie kommt damit der akribischen, detailversessenen Schreibweise Stifters sehr nahe: "Stifter, das ist fünfhundert Seiten Text und zwanzig davon Aktion", sagt Knöpfel. Auch wenn sie nicht Stifters Hauptwerk "Nachsommer", sondern "nur" eine seiner Erzählungen verfilmt hat, kann man sich nicht dem Sog der stillen Bilder und gedämpften Aktionen des Films entziehen, in dem kaum gesprochen, aber doch auf hintergründige Weise kommuniziert wird.

Die Geduld, die Stifter seinen Lesern abverlangt, Dagmar Knöpfel fordert sie genauso von ihren Zuschauem. Die Anstrengung lohnt sich: Es hat in letzter Zeit im Kino kaum eine lyrischere Reise in das Herz einer Landschaft und ihrer Menschen gegeben als den scheinbar ziellosen Weg des an Gottfried Kellers "Grünen Heinrich" erinnernden Malers Florian durch das blühende Land Maroshely zum Gut seines Freundes, des Majors István von Uwar. Die wilden Pferde, die winddurchwehten Felder, die Zithermusik beim Essen an einfachen Tischen im Freien - sie bewegen das Herz auf seltsame Art, die nichts mit Urlaubskatalog-Romantik zu tun hat. Die Nähe der Schafhirten und Feldarbeiter wie der Gutsherren zur Natur hat hier nichts Anheimelndes. Vielmehr vermittelt sich dem fremden Maler, der stellvertretend für das Kinopublikum in den Zauber dieser Welt eintaucht, durch manche unbeantwortete Frage und manchen schweigsamen Blick seines Freundes, daß die Menschen und die Gegend ein Geheimnis umgibt. Das Rätsel stört die Idylle, eine schwer zu greifende Bedrohung überschattet den Zauber. Im Zentrum dieses Rätsels steht eine Frau: die dunkelhaarige, unnahbare Brigitta, die Besitzerin von Maroshely, die auf Florian einen derart starken Eindruck macht, daß sie ihm sogar im Traum erscheint. Aber auch István reagiert auf ihren Namen merkwürdig, er wechselt das Thema oder bricht abrupt auf. Während Florian noch nach einer Erklärung für die seltsame Wandlung sucht, die seinen Freund ergriffen hat, erfährt er durch einen alten Gutsbesitzer von Brigittas Kindheit. Durch diese Binnenerzählung wird die Reflexion über Schönheit und Häßlichkeit, Oberfläche und Tiefe wie in Stifters Novelle zum zentralen Thema des Films.

Die Aktion, die zur Lösung des Geheimnisses nötig ist, ereignet sich im Scheewald. Brigittas Sohn Gustav wird dabei zum Schlüssel des Rätsels, Florian zum Zeugen der Versöhnung, die den Bogen der Geschichte ohne jeden Schwulst zu ihrem Ende bringt. Die letzte Einstellung des Films ist noch einmal ein wunderbarer Beleg dafür, wie nahe in Stifters Erzählungen biedermeierliche Idylle und das Abgründige der Nachtseite der Romantik beieinanderliegen: Von Ferne ist eine Abschiedsszene im Wald zu sehen, der Blick gleitet von einem Ast im Vordergrund über eine kleine Lichtung bis zu der Personengruppe, aus der sich Florian löst. Die Kamera folgt ihm, entfernt sich mit ihm von den Nachblickenden und kehrt nach einem 360-Grad-Schwenk wieder zu ihnen zurück. Was hat heute, fast 130 Jahre nach Stifters Tod, dieser Film zu sagen? Er ist ein Augenöffner, kein rückwärtsgewandter Verklärer, sondern ein Führer durch die Geheimnisse der Natur in die Landschaft des Herzens.
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