Der Geweihte

Drama | UdSSR 1989 | 121 Minuten

Regie: Oleg Tepzow

Ein junger Schauspieler sucht nach seinem Vater, der sich als machtgieriger Anführer einer rechtsnationalen Organisation entpuppt. In einem überspannten Ritual wird er zur Messias-Figur geweiht und geht am Ende in Flammen auf - Opfer des geweihten Unschuldslamms. Hinter der religiös, mystisch und metaphysisch überhöhten Inszenierung taucht die Handlung nur in vagen Linien auf. Eindrucksvoll in seinen sinnlichen, kraftvollen Bildkompositionen, ist der Film problematisch in seiner mystischen Übersteigerung: die Auflösung von realen Problemen in eine irrational-religiöse Sphäre kommt der künstlerischen Kapitulation vor der Wirklichkeit gleich. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
POSWJASCHTSCHJONNY
Produktionsland
UdSSR
Produktionsjahr
1989
Produktionsfirma
Lenfilmstudio, Dritte Künstlerische Arbeitsgruppe
Regie
Oleg Tepzow
Buch
Juri Arabow
Kamera
Valeri Mjulgaut
Musik
Sergej Kurjochin · Pop mechanik
Schnitt
Irina Rudenko
Darsteller
Gor Oganissjan (Wolodja) · David Oganissjan (Wolodja als Kind) · Ljubow Politschuk (Mutter) · Alexander Trofimow (Frolow) · Jelena Bragina (Vera)
Länge
121 Minuten
Kinostart
-
Genre
Drama

Diskussion
Mit Filmen aus der alten Sowjetunion tat man sich als westlicher Zuschauer vergleichsweise leicht. Entweder konnte man sie schnell als linientreue Agitationsfilme abtun oder sie als mehr oder minder verklausulierte Produktionen von mehr oder minder mutigen Dissidenten identifizieren. Nun, da die Zeiten der einfachen Blicke auf das Fremde vorbei sind, gilt es, sich mit ambitionierten Produktionen aus Ländern der GUS auseinanderzusetzen, die verstören, weil sie sich der schnellen Eindeutung widersetzen, indem sie sich nicht simplen politisch-ideologischen Zuordnungen widersetzen, sondern dezidiert Politisches und Magisches kaum entwirrbar verflechten. Und bisweilen scheitert die 1:1-Rezeption schon an der Beantwortung der schlichten Frage, was da Realismus, was surreale Überhöhung oder ironische Brechung ist. "Der Geweihte" ist so ein verstörender Film.

In einem Verschlag, in den aus allen möglichen Löchern und Ritzen ständig nicht identifizierbare Dämpfe dringen, haust der jugendliche Wolodja gemeinsam mit mit ein paar anderen Personen. Während diese halbwegs am real existierenden Leben teilnehmen oder auch nur teilnahmslos auf den Fernsehschirm starren, wo das abgewirtschaftete System sich unaufhörlich in pompösen Militärparaden inszeniert, vergräbt sich der introvertierte und stotternde Wolodja in die Lektüre.

Aber eigentlich träumt er davon, Schauspieler zu werden. In einer Amateurtruppe, die in einer tristen Fabrikhalle eine kühne Interpretation von Goethes "Faust" probt, agiert er als Mephisto. Ein Freund, dessen Vater auf den staatlichen Bühnen Triumphe feiert, macht ihn mit dem "verdienten Schauspieler des Volkes" bekannt, einem Bohémien, der, in einen seidenen Mantel gehüllt, auch hinter der Bühne gern über die Verdienste der Revolution doziert und ein höchst fadenscheiniges Loblied auf die Arbeiterklasse singt. Derweil taucht ein seltsamer taubstummer Verwandter in Wolodjas Verschlag auf und schenkt ihm ein Buch über schwarze Magie in Afrika. Im Traum erscheint ihm daraufhin der Taubstumme als Dämon mit magischen Kräften. Und plötzlich sieht sich Wolodja selbst von höheren Mächten dazu auserkoren, die Welt zu erretten: "Ich bin der Engel der Finsternis, der in die Welt kommt, um das Böse zu vernichten. Der Engel bin ich. Er hat mich geküßt." (Alb-)Traumbilder von einem Küken, das sich in einer Raubtierfalle verfangen hat, korrespondieren mit Sequenzen, in denen LKW in gigantischen Tagebau-Gruben scheinbar gänzlich sinnlos umherkurven. Getragen von überbordender Fabulierlust, gepaart mit einer fantastischen Bildersprache, mutet der Film wie ein ebenso verweifelter wie trotziger Versuch an, den Widrigkeiten der Existenz zu trotzen.

In mancherlei Hinsicht erinnert das Ganze an jene apokalyptischen Bilderwelten, wie sie Andrej Tarkowskij beispielsweise in "Der Stalker" entworfen hat. Andererseits kommt Tepzows Horrorszenario zwischen Industriebrachen, Müll und Mystik weit disparater und damit weniger sinnüberfrachtet als bei dem legendären russischen Regisseur daher. Manchmal geradezu so, als habe sich Tepzow ein paar Horror-Videos angesehen und dazu reichlich Wodka getrunken. Wenn Tepzow Wolodja im Showdown unter gleißendem Scheinwerferlicht auf dem nächtlichen Friedhof einen Sturm entfachen und die Toten aus ihren Gräbern rufen läßt, ist da auch eine gute Portion Witz und Selbstironie im Spiel, die allen konkretisierbaren Erlösungs-Visionen den Garaus macht. So ist das Ganze letztlich mehr lustvolles Spiel mit der Wirklichkeit denn der Versuch einer wie auch immer gearteten Überhöhung. Drehbuchautor Juri Arabow 1990 in einem Interview: "Ich sehe einen Schornstein, aus dem dauernd Rauch kommt, diese häßlichen Hochbauten, den Dreck auf den Straßen. Wenn dies die Wirklichkeit ist, dann kann man sich gleich erhängen." Juri Arabow hat sich - soweit bekannt - bis heute nicht erhängt.
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