Christy
Drama | Irland/Großbritannien 2025 | 94 Minuten
Regie: Brendan Canty
Filmdaten
- Originaltitel
- CHRISTY
- Produktionsland
- Irland/Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2025
- Produktionsfirma
- BBC Film/Fís Éireann/Sleeper Films
- Regie
- Brendan Canty
- Buch
- Alan O'Gorman
- Kamera
- Colm Hogan
- Musik
- Daithi O'Dronai
- Schnitt
- Allyn Quigley
- Darsteller
- Danny Power (Christy) · Diarmuid Noyes (Shane) · Emma Willis (Stacey) · Alison Oliver (Chloe) · Helen Behan (Pauline)
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ein irischer Waisenjunge muss sich kurz vor seinem 18. Geburtstag entscheiden, ob er einen kriminellen Weg einschlägt oder doch etwas Sinnvolles im Leben findet.
Sozialdramen haben ein Herz für Menschen, die von der Gesellschaft benachteiligt werden, weil die aus ärmlichen oder (klein-)kriminellen Verhältnissen stammen oder weil es das Leben generell nicht gut mit ihnen gemeint hat. Die gelungenen Filme schildern den Werdegang der Protagonist:innen, indem sie deren Milieu zeichnen und Zusammenhänge erklären, ohne ideologisch oder moralisch zu werden. Wenn den sozial benachteiligten Figuren dann allerdings ein Plot aufgepfropft wird, der Ausmaße einer griechischen Tragödie annimmt und in Fatalismus verfällt, schießen die Macher meist übers Ziel hinaus.
Mit geringer Frustrationstoleranz
Nicht so der irische Regisseur Brendan Canty in seinem Debütfilm „Christy“. In dem Coming-of-Age-Drama steht ein einsamer und aggressiver junger Held im Mittelpunkt. Christy (Danny Power) ist 17 Jahre und gerade wieder aus einer Pflegefamilie geflogen, weil er deren Sohn in einem Wutanfall eine Lampe auf dem Kopf zerschmettert hat. Christy wird von seinem älteren Halbbruder Shane (Diarmuid Noyes) abgeholt und darf vorübergehend bei ihm wohnen. Seit ihre Mutter vor mehr als zehn Jahren gestorben ist, kennt der Junge nur provisorische Domizile. Der um einiges ältere Shane hat den Absprung in ein bürgerliches Leben geschafft. Mit Ehefrau und Baby wohnt er in einem Arbeiterviertel im Norden von Cork. Jetzt muss er sich um Christy kümmern. Doch es ist schwierig, diesen irgendwo unterzubringen. Da Christy bald 18 wird, kommen fast nur noch Jugendheime in Frage – und die weisen nicht die beste Resozialisierungsquote auf.
Mit Christy zu kommunizieren, ist nicht einfach, weder für Shane noch für Christys Sozialarbeiter. Der Teenager wirkt zurückhaltend, aber eher zugänglich. Doch seine Frustrationstoleranz ist niedrig. Nach einem eher banalen Konflikt schmeißt er den Job in der Malerfirma seines Bruders hin. Schlimmer noch: Er befreundet sich mit seinen kriminellen Cousins an, den Söhnen seiner leiblichen Tante, welche die Gegend terrorisieren. Andererseits aber nehmen ihn die Nachbarn herzlich auf. Pauline (Helen Behan), eine Freundin seiner Mutter, kennt Christy noch von früher. Sie passte auf ihn auf, als er noch ein Kleinkind war. Auch in der jugendlichen Clique des Viertels ist er willkommen. Einem Jungen im Rollstuhl, dem Robot Kid, schneidet er eher zufällig – und sehr gekonnt – die Haare, weil er das einmal gelernt hat. Nun steht für seine neuen Freunde fest: Er hat das Zeug zum Starfriseur.
Vieles ist „grand“
Zu der ebenso überzeugenden wie von Sympathie getragenen Milieuschilderung gehört nicht zuletzt die Sprache der Figuren bei. Christy beendet seine Sätze meist mit „boy“ und benutzt häufig das Wort „grand“ (toll). Es gehe ihm „grand“, auch wenn dies ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Auch Musik oder Dinge können „grand“ sein. Generell nehmen die fast ausschließlich jungen Protagonist:innen kein Blatt vor den Mund. Sie haben eine große Klappe wie The Robot Kid, sind aber herzlich und setzen damit eine Arbeitertradition fort, bei der Taten mehr zählen als feine Worte.
Das Viertel, in dem Shane und nun auch Christy leben, ist eine Siedlung von ärmlichen Einfamilienhäusern. Jobs gibt es kaum, da traditionelle Berufe weggebrochen sind. Doch die Bewohner finden Nischen, um sich ihre Umgebung lebens- und liebenswert zu gestalten, etwa eine große Wiese, auf der gerne gefeiert wird. Der Film beschränkt sich fast ausschließlich auf dieses Viertel, denn es bietet den Protagonisten Geborgenheit. Christy kennt keine andere Stadt als Cork. Die Vorstellung, woanders hinziehen zu müssen, macht ihm Angst.
Geld ist im Viertel kaum vorhanden, doch durch den Zusammenhalt wird vieles einfacher. Die Jugendclique hält sich deshalb auch instinktiv von Christys kriminellen Cousins fern, die auf schnelles Geld aus sind. Die umwerben Christy, und dieser fühlt sich geschmeichelt und akzeptiert, vor allem, wenn Konflikte wegen seiner provisorischen Unterbringung bei Shane ihn wieder aus der Bahn werfen. Mit Drogen zu dealen, erscheint als verlockende Option, um an einfaches Geld zu kommen. Zudem ist Christy bald erwachsen. Er will ein echter Kerl sein und zu den Mackern in Jogginghosen und mit Goldkettchen gehören. Er selbst trägt auch einen Trainingsanzug, darunter aber eine Kette seiner Mutter, eines der wenigen Erinnerungsstücke an sie.
Der Einfluss der Mutter
Durch den Umgang mit den Nachbarn wird auch seine Familiengeschichte aufgerollt; Christy und das Publikum erhalten so mehr Informationen über seine Kindheit und seine Mutter. An sie erinnert er sich nur schwach, doch sie hat durchaus Einfluss auf seine Handlungen. Der Plot entwickelt sich stichhaltig und nicht ohne Spannung, weil man nicht weiß, in welche Richtung Christys Glückspendel ausschlagen wird. Es wird nichts beschönigt und nichts verklärt, sondern einer Gruppe aus der Arbeiterschicht auf sehr authentische Weise Aufmerksamkeit gezollt.
Die jugendlichen Darsteller sind offensichtlich Laien und bewegen sich Recht natürlich vor der Kamera. Neben einem Sozialdrama ist „Christy“ aber vor allem ein Coming-of-Age-Film mit einem schwierigen, aber anrührenden Helden, den der junge Danny Power mal verschlossen und schmollend, dann wieder vorsichtig optimistisch gibt. In den im Film geschilderten Wochen lernt er Konflikte zu meistern und sich auf dem Weg zum Erwachsenwerden neu zu orientieren. Am Ende traut sich der dann 18-Jährige mehr zu, als er davor je zu hoffen gewagt hätte.