Kontinental '25

Romain Antony | 25.02.2025

Ein Obdachloser, ehemaliger Leichtathlet, der nach einer Sportverletzung aus dem Tritt gekommen ist, spielsüchtig, alkoholabhängig wurde und überschuldet seine Wohnung verlor, der sich ein paar Lei durch Betteln, Müll aufsammeln im Dinosaurierpark verdient, lebt und übernachtet im Heizungskeller des Hauses, wo er vorher eine Mietwohnung hatte. Er muss auch dort raus, weil die Immobiliengesellschaft das Haus abreißen will, um dort ein Boutique-Hotel zu bauen. Kennen wir das Vorgehen nicht auch bei uns? Die Gerichtsvollzieherin Orsolya (Eszter Tompa ), in Begleitung von Gendarmen, gibt ihm noch 20 Minuten, um seine Sachen zu packen. Sie hat schon für sein Restmobiliar einen Möbelvan bestellt und ihm einen Heimplatz besorgt. Als die Amtlichen weg sind, nimmt er sich das Leben, erhängt sich an der Heizung. Orsolya geschockt, fassungslos, fühlt sich moralisch schuldig an seinem Tod, auch wenn alle KollegInnen beteuern, dass sie rechtlich richtig gehandelt habe. Die Schuldgefühle wird sie nicht los, obwohl sie die Geschichte detailliert bei vielen Gelegenheiten immer wieder haarklein erzählt. Als gläubige Christin sucht sie in ihrer seelischen Not bei einem Priester der orthodoxen Kirche Hilfe. Einen mit der Familie geplanten Urlaub nach Griechenland sagt sie ab, lässt die Familie, ihren Mann und die Kinder, alleine fahren und bestraft sich mit dem Verzicht auf die Ferien am Strand. Einem ihrer ehemaliger Studenten, einem erwachsenen jungen Mann, dem sie früher als Professorin Latein und Jura vermittelt hat, begegnet sie zufällig. In eine Verabredung mit ihm willigt sie ein. Sie treffen sich, trinken viel Rotwein und härteres. Ion (Gabriel Spahiu) erzählt vom Zen Buddhismus, wo es um Erleuchtung und Schuldbefreiung geht, aber die Religionen erweisen sich als hohle Sprüche und können Orsolyas Schuldgefühle nicht verringern. Mit Ion kommt es in einem Park zum Geschlechtsverkehr. Die Nacht endet mit Übelkeit, Erbrechen. Das Kotzen in der Frühe und die nächtliche Ausschweifung wirken wie eine Befreiung. Orsolya ist entschlossen, nach Griechenland zu fahren und Urlaub mit ihrer Familie zu machen. Die Abläufe der Geschichte werden unterbrochen durch zahlreiche Standbilder von Gebäuden, Immobilien, Luxuswohnungen, Resorts, durch Schranken und Palisaden abgeschirmte Wohnareale. Eine Freundin erzählt ausführlich, wie Roma und Sintis auf Müllhalden leben und manche ihrer Kinder sterben, weil sie medizinisch nicht versorgt werden. Kontinental, ein Film für internationales Publikum gedreht, will auf die desolate Situation von entrechteten, veramten Menschen aufmerksam machen. Die Regierung kümmert sich um Investoren, baut Wohnungen, lässt Immobilienhaie in Rumänien investieren, aber schert sich nicht um Obdachlose, um Menschen am Rande der Gesellschaft, um existentiell durch Armut Bedrohte und Gefährdete. Ihre Versorgung und Unterbringung interessiert nicht, es gibt viel zu wenig Geld für soziale Maßnahmen. Hier wurde das Bürgergeld fast ganz abgeschafft. Eine weitere politische Einlassung im Film betrifft die Einverleibung Siebenbürgens durch Rumänien. Auch die anhaltenden Spannungen zwischen Rumänien und Ungarn, die Situation in Ungarn unter Orban, werden angesprochen und kritisiert; es wird offen formuliert, dass Ungarn ein faschistischer Staat geworden ist. Die Schwierigkeiten der Identitätsfindung von ethnischen Ungarn, die in Rumänien leben, wird thematisiert. Sie fühlen sich zwischen den beiden Nationen hin und her gerissen. Der sozialpolitische Film benutzt die Geschichte des verstorbenen Obdachlosen und der Gerichtsvollzieherin Orsolya als Vehikel, um in subtiler, unaufgebrachter Weise auf das Gewinnstreben der Immobilienfinanz auf Kosten sozial Schwacher hinzuweisen und Versäumnissen aufzuzeigen. Er bemängelt Strukturen einer politischen Führung, die Mittellose in der Gesellschaft ignoriert, ausgrenzt und sich selbst überlässt. Ich habe den Film gemocht, viel über Rumänien erfahren. cf. auch den Filmblog unter: www.filmekommentieren.wordpress.com u.a. mit dem Berlinale Tagebuch 2025